Linke-Fraktionschefin über Oppositionsarbeit: „Olympia ist eine Perversion“
Dora Heyenn, Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaft, über mehr als drei Jahre Oppposition gegen die SPD und die nächste Hamburg-Wahl.
taz: Frau Heyenn, seit dreieinhalb Jahren opponieren Sie und Ihre Fraktion gegen Bürgermeister Olaf Scholz und dessen SPD. Wie groß ist der Frust?
Dora Heyenn: Es war erschütternd zu sehen, dass die SPD schon nach kurzer Zeit glaubte, ihr gehöre wieder die ganze Stadt. Aber gegen diese Arroganz der Macht hat sich die gesamte Opposition gewehrt. Und wir als Linke haben vor allem in der Sozial- und Flüchtlingspolitik gegengehalten. Da musste die SPD doch mehrfach einlenken.
Aber hat sich denn die soziale Lage in Hamburg unter dem SPD-Senat verbessert?
Nein, die soziale Spaltung der Stadt hat sich in allen Bereichen verschärft.
Dann hat die Linke aus der Opposition heraus ja nichts erreicht.
Unsere Vorschläge sind fast alle von der SPD abgeschmettert worden, das verdeutlicht das unterschiedliche Politikverständnis. Wenn Menschen so arm sind, dass sie ihre Wasserrechnung nicht mehr bezahlen können, und dann die städtische Gesellschaft Hamburg Wasser denen den Hahn zudreht, ist das skandalös. Für diese Menschen müssen Lösungen gefunden werden. Wir haben Alternativen vorgelegt, aber dazu war die SPD nicht bereit.
Nicht bereit ist sie auch, eine Flüchtlingspolitik zu machen, die Sie für human halten?
Es gibt zwar mehr Flüchtlingsunterkünfte, das erkennen wir an. Aber vor allem der Umgang mit der Lampedusa-Gruppe ist inhuman.
65, war von 1971 bis 1999 SPD-Mitglied und von 1990 bis 1992 Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein. 2005 ging sie zu WASG, die seit 2007 Die Linke ist. Seit 2008 ist sie Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und Fraktionschefin der Linken. Die Lehrerin ist verwitwet und hat drei Kinder.
Sie fordern Bleiberecht für alle, die nicht mal ihren Namen nennen wollen?
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat bestätigt, dass der Senat eine Art Generalamnestie für diese Gruppe gewähren dürfte. Das aber wird verweigert. Es werden bei Weitem nicht alle Möglichkeiten für eine liberale und menschliche Flüchtlingspolitik ausgeschöpft.
Bei der Umsetzung des Volksentscheids zur Rekommunalisierung der Energienetze schöpft der Senat seine Möglichkeiten auch nach Ihrer Einschätzung besser aus?
Ja, Senat und SPD haben ihre Niederlage akzeptiert, das muss man anerkennen. Beim Stromnetz ist die Umsetzung des Volksentscheids bereits gelungen, bei Gas und Fernwärme noch nicht. Da müssen wir noch genau darauf achten, dass das auch rasch passiert. Was noch nicht gelungen ist, ist die Umsetzung des zweiten Satzes des Volksentscheids: die demokratische Kontrolle. Die Übernahme des Fernwärmenetzes ist um Jahre, bis 2019, nach hinten verschoben worden. Ist das eine Umsetzung des Volksentscheides oder dessen Ignorierung? Da werden wir weiter hartnäckig sein müssen.
In Hamburg dominiert nach fast zehn Jahren (September 2001 - Februar 2011) CDU-geführter Regierungen wieder die SPD.
Wahl 2011: Die SPD erreichte mit 48,4 Prozent die absolute Mehrheit (62 von 121 Mandaten). Die Opposition: CDU 21,9% (28 Sitze), Grüne 11,2% (14), FDP 6,7% (9), Linke 6,4% (8).
Wahl 2015: Eine erneute absolute Mehrheit der SPD ist fraglich. Gefährdet ist der Wiedereinzug der FDP, offen der erstmalige Einzug der AFD.
Die Linke: Sie entstand 2007 durch die Fusion der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) mit der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG). Sie ist seit 2008 in der Bürgerschaft vertreten.
Aber Sie haben offenbar die Hoffnung, dass der SPD-Senat auch bei der Fernwärme den Volksentscheid umsetzen wird?
Hoffen auf die SPD? Na gut, in dieser Frage sage ich mal: Ja.
Haben Sie auch die Hoffnung, dass der SPD-Senat den Begriff Umwelt- und Klimaschutz noch zu buchstabieren lernt?
Das haben die wirklich nicht in ihrem Wortschatz. Das ist denen sowas von egal. Hier mal drei Bäume pflanzen ist doch keine Umweltpolitik! Und dazu dieses unsinnige Busbeschleunigungsprogramm, das ist reine Geldverschwendung. In 30 Jahren ein bisschen U-Bahn statt in zehn Jahren viel Stadtbahn – da werden die BürgerInnen doch für dumm verkauft. Und Radwege nur da, wo sie die Autos nicht stören: Das ist das Gegenteil von Verkehrs-, Umwelt- und Klimaschutzpolitik.
Bei der Verstaatlichung der Reederei Hapag-Lloyd haben Sie aber begeistert mit der SPD gestimmt.
Sie sind polemisch. Von Verstaatlichung kann keine Rede sein. Wir wollen, in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften, die Arbeitsplätze bei Hapag-Lloyd sichern. Das ist gelungen. Natürlich haben wir auch das Risiko gesehen, dass die geschäftliche Seite nicht so rasch so rosig werden könnte, dass die Stadt ihr Geld umgehend zurückbekommt. Aber die Fraktion hält das öffentliche Engagement bei der Reederei nach wie vor grundsätzlich für richtig.
Bisher ist das aber mit 1,2 Milliarden Euro Kosten ein Minus-Geschäft für den Steuerzahler. Wann gibt es denn die versprochenen Renditen?
Ich hoffe bald. Unser Hauptmotiv aber war ganz klar die Sicherung der Arbeitsplätze.
Um jeden Preis?
Natürlich nicht. Aber der Preis war bekannt, er war zu verantworten und das Geld kriegen wir hoffentlich auch bald zurück.
Warum mag die Linke eigentlich keinen Sport? Sie lehnen Olympische Spiele in Hamburg rundweg ab?
Nicht grundsätzlich. Aber was in den letzten zwei Jahrzehnten aus dem Olympischen Gedanken gemacht wurde, ist eine kommerzielle Perversion. Das hat mit Sportsgeist und Völkerverständigung nichts mehr zu tun. Zudem würde es die Stadt sehr viel Geld kosten. Schauen Sie sich doch mal die Investitionsruinen der Winterspiele in Sotschi oder der Fußball-WM in Brasilien an: Diese Gigantomanie ist unverantwortlich.
Die Linie des Senats ist: Das muss nachhaltig sein, sonst machen wir das nicht. Wäre das für Sie ein Grund, neu zu überlegen?
Dann könnten wir noch mal darüber reden. Aber wir bezweifeln, dass es nachhaltige, soziale und bezahlbare Spiele geben kann. Allein die Stadien und Hallen, die gebaut werden müssen.
Angeblich gibt es bereits 30 von etwa drei Dutzend erforderlichen Sportstätten. Müssten nur noch ein paar große dazu kommen wie Olympiastadion und Schwimmhalle. Und ein Olympisches Dorf natürlich.
Eben. Und was passiert hinterher damit? Bereits jetzt wird die soziale und kulturelle Infrastruktur in weiten Teilen zerstört. Deshalb verlangen wir sehr überzeugende Konzepte, sonst lehnen wir das ab. Und außerdem würden Olympische Spiele Preistreiber sein für die Mieten, für andere Lebenshaltungskosten – das würde die soziale Spaltung der Stadt weiter verschärfen.
Bereits hinter uns haben wir die Bezirkswahlen vom 25. Mai mit einer Wahlbeteiligung von nur 41 Prozent: Minusrekord. Hat sich das neue Wahlrecht bewährt oder sollte es geändert werden?
Nein, dafür gibt es keinen Grund. Nachdenken könnte man aber über die Anzahl der Wahlkreise, die mit 54 viel zu hoch ist. Bei der Bürgerschaftswahl gibt es nur 17 Wahlkreise. Das wäre vollkommen ausreichend. Aber das Mehrstimmenrecht mit Panaschieren und Kumulieren hat sich bewährt, da gibt es nichts zu rütteln.
Wäre es nicht sinnvoll, die Bezirkswahlen wieder an die Bürgerschaftswahlen zu koppeln, damit die Wahlbeteiligung wieder zunimmt? 2011 hatte sie noch bei 54,3 Prozent gelegen.
Auch darüber kann man nachdenken.
Der Verein „Mehr Demokratie“ möchte Hamburg als Einheitsgemeinde auflösen und aus den sieben Bezirken eigenständige Großstädte im Bundesland Hamburg machen. Was halten Sie davon?
Auf dem Landesparteitag im Juni hat die Linke beschlossen, dass wir für eine Stärkung der Rechte der Bezirke sind. Dies bedeutet in erster Linie ein eigenes Budgetrecht für die Bezirke. Der Landesparteitag hat die Forderung, die Einheitsgemeinde abzuschaffen, abgelehnt. Wir wollen erstmal den Gesetzentwurf abwarten, den „Mehr Demokratie“ nach der Sommerpause vorlegen will. Dann beginnt vermutlich die Diskussion wieder neu.
Die nächste Bürgerschaftswahl ist in einem halben Jahr, am 15. Februar 2015. Welches sind aus Ihrer Sicht die großen Themen?
Die Schuldenbremse, denn ohne Geld geht leider gar nichts. Und dann Soziales und Schulpolitik.
Möglicherweise verliert die SPD die absolute Mehrheit und braucht einen Koalitionspartner? Stünde die Linke bereit, Verantwortung zu übernehmen?
Prinzipiell ja, aber nicht mit der Hamburger SPD: Die ist zu einem wirklichen Politikwechsel nicht bereit und wir sind nicht bereit, uns als Feigenblatt und Steigbügelhalter herzugeben. Außerdem ist für uns eine Koalition mit Olaf Scholz, dem Architekten der Agenda 2010, nicht vorstellbar.
Nie?
Wenn er sich für die Agenda 2010 entschuldigt, könnten wir nochmal überlegen. Aber das wird wohl nicht passieren.
Werden Sie bei der Wahl im Februar zum dritten Mal als Spitzenkandidatin der Linken kandidieren?
Ich werde mich auf dem Parteitag im Oktober darum bewerben. Wenn die Partei mich haben will, mache ich das gerne wieder.
Für volle fünf Jahre?
Ja. Wenn ich weiter so gesund und fit bleibe, mache ich gerne die volle Legislaturperiode.
Nicht politikmüde?
Keineswegs.
Was machen Sie am 16. Februar 2015, am Morgen nach der Wahl?
Da nehme ich in Berlin vom Parteivorstand die Glückwünsche zu unserem überragenden Hamburger Wahlergebnis entgegen.
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