Liebeserklärung an die Latzhose: Die schöne Art von Kindergarten
Wer gerne mal ein paar Millimeter über dem Boden der Tatsachen schweben will, braucht dafür nur ein einziges Kleidungsstück: die Latzhose.
Es gibt Kleidungsstücke, die machen das Leben im praktischen Sinn leichter. In Hosenröcken zum Beispiel lässt es sich gut Radfahren, und man kann sich darin im Hochsommer auf U-Bahn-Bänke setzen, ohne dass die Schenkel aneinanderkleben. Dünne Daunenjacken sind praktisch, wenn man mit wenig Gepäck verreisen will. Und auch diese Smartphone-Handschuhe, wenn man vom Bequemlichkeitsdiktat des Spätkapitalismus so verhätschelt wurde, dass es wie ein Affront erscheint, für die Bedienung des Handys ein paar Fäustlinge ausziehen zu müssen.
Es gibt aber auch Klamotten, die das Leben auf andere Weise leicht machen. Nicht unbedingt einfacher, aber schöner. Weil sie ihre Träger*innen herausheben aus dem Alltag, ein paar Millimeter über den Boden der Tatsachen, und sie hineinversetzen in eine bestimmte Zeit, an einen bestimmten Ort, oder in ein vergessenes oder ganz neues Gefühl. Die Latzhose ist so ein Kleidungsstück.
Die Latzhose, vor allem das Modell aus Jeans, ist einerseits die schöne Art von Kindergarten. Losrennen, ohne darüber nachzudenken, ob was verrutscht. Sowieso: rennen, nicht für die Fitness oder aus Eile, sondern weil es Spaß macht. Ohne Angst vor Flecken auf der Wiese oder im Sand sitzen. Rausgehen ohne Tasche, weil sich das Nötigste körpernah verstauen lässt (die kleinen Taschen, die bei klassischen Modellen direkt auf den Latz genäht sind, sind ideal für Bonbons, Kleingeld, Tampons oder einen Kuli). Zugleich ist die Latzhose wandelbar – sie funktioniert in Kombination mit T-Shirt und Turnschuhen, mit Hemd und Loafern, mit Jackett oder oben ohne, mit Lippenstift und Stilettos. Und wenn man nicht den Fehler macht, sich in ein Slim-Fit-Modell mit viel zu engen Hosenbeinen zu quetschen, dann ist die Latzhose in jeder dieser Varianten bequem.
Natürlich kann man es auch ein bisschen absurd finden, wenn sich Büroangestellte und Stadtbewohner*innen in proletarische Arbeitskleidung hüllen. Denn in der Mode ist zwar (fast) alles erlaubt, aber unpolitisch ist sie selbstverständlich nicht.
Die Latzhose aus derbem Jeansstoff wurde im 17. Jahrhundert von Sklaven in den USA getragen, während die weißen Plantagenbesitzer und ihre Familien sich vornehmlich in leichte, helle Kleider aus Leinen hüllten. In der Bürgerrechtsbewegung war die Denim-Latzhose ein Symbol für Schwarze Communitys und die Arbeiterklasse. Später trugen Hippies Latzhose in Abgrenzung zur spießigen Anzuggesellschaft, und in Lila wurde sie in den Siebzigern zum feministischen Statement. Bis heute ist sie als Arbeitskleidung in Handwerk, Industrie und Rettungsdiensten verbreitet und schützt je nach Material vor Staub, Farbe oder Funkenflug.
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Es ist immer gut, sich mit Herkunft und Bedeutung von Kleidung zu beschäftigen. Und das nicht nur dann, wenn man zu Fasching ein Kostüm sucht, sondern auch, wenn man sich als somewhat-urban-intellectual-knowledge-worker eine französische Arbeiterjacke oder einen Mao-Anzug an die Kleiderstange hängt. Das hat, wie so oft, weniger mit Verboten zu tun als mit der Chance, etwas dazuzulernen.
Gleichzeitig gilt: Wer heutzutage Latzhose trägt, muss damit überhaupt nichts sagen wollen. Eigentlich ist es sogar ganz erfrischend, wenn etwas mal kein „Statement Piece“ sein will, wenn es nicht in erster Linie an die Außenwelt kommuniziert (Ich trage, also bin ich) sondern vielmehr dem Inneren der Träger*in zugewandt ist. Wenn man anzieht, was glücklich macht – und ein bisschen leichter.
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