Siegeszug des Jumpsuits: Die Königin unter den Anzügen
Der Jumpsuit ist das praktischste Kleidungsstück der Welt. Und sowieso: Wer was regeln will, trägt Einteiler. Am besten in Pink.
Meinen ersten habe ich vor zehn Jahren gekauft – und er hat mein Leben verändert. Der Jumpsuit ist einfach unglaublich praktisch. Nur ein einziges Kleidungsstück und man ist angezogen und hat, im Gegensatz zum Kleid, volle Bewegungsfreiheit. Genial! Aber, höre ich einen Kollegen fragen, ist das auf der Toilette nicht total umständlich? Ist es nicht. Man darf eben nur keinen Jumpsuit mit Knopfleiste oder Reißverschluss am Rücken tragen. Da wüsste ich alleine auch keinen Ausweg.
Der Einteiler scheint nicht nur mich zu überzeugen. War ich vor zehn Jahren in meinem Umfeld noch die Einzige mit so einem Teil, hat sich die Einteilerdichte um mich herum mittlerweile stark erhöht. Warum eigentlich? Ich bin nicht so stylisch, dass ich mich als Trendsetterin bezeichnen würde. Schon gar nicht international. Doch sogar Amal Clooney, Menschenrechtsanwältin und Frau von Schauspieler George Clooney, trägt aktuell am liebsten Jumpsuit, lerne ich im Internet. Wo kommt das Teil eigentlich her?
Es gibt mehrere Bezeichnungen für ein einteiliges Kleidungsstück und mehrere Geschichten dazu. Der Jumpsuit war ursprünglich genau das, was sein Name sagt, nämlich ein Suit zum Jumpen, also ein Anzug zum Springen für Fallschirmjäger. Als futuristische Vision entwarf 1919 der italienische Künstler Thayaht einen Jumpsuit. Er nannte das Stück TuTa und veröffentlichte das Schnittmuster in der Tageszeitung La Nazione. Alle sollten TuTa tragen können, tutta la gente.
Praktisches Kleidungsstück im Zweiten Weltkrieg
Den Overall gab es dagegen schon vorher. Der heißt so, weil man ihn über alles, also „over all“ anziehen kann. Levi Strauss etwa fertigte ab Mitte des 19. Jahrhunderts Denim Overalls, also Latzhosen aus Jeansstoff. Getragen wurde Denim zuvor von Sklaven auf US-amerikanischen Plantagen. Die Blue Jeans ist ursprünglich eine Abkopplung des Overalls und hieß deshalb am Anfang Waist Overall. Und Lee Jeans fertigte 1913 den ersten Overall mit Jacke, den „Lee Union-All“, bis heute ikonische Arbeitskluft.
Der strapazierfähige Overall war lange Arbeitskleidung der Männer – bis in Kriegszeiten auch Hausfrauen mit anpacken mussten. In einem Werbefilm der US-Regierung zur Anwerbung von Frauen für die Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg wird Zuschauerinnen die fiktive Figur Rosie, die Nieterin, vorgestellt. Wir alle kennen sie. Sie ist die Comic-Frau mit den hochgereckten Armen und dem Schriftzug „We can do it!“.
In der Kollektion des Metropolitan Museum of Art wird ein Jumpsuit der Designerin Vera Maxwell aufbewahrt, den sie in den 1940ern für die Frauen in der Sperry Gyroscope Corporation, die Kriegstechnik hergestellt hatten. Den ersten modischen Overall hingegen hat Elsa Schiaparelli im Jahr 1930 entworfen. Auch er ist heute Teil der historischen Modesammlung des MET und sieht eigentlich aus wie die Teile, die heute produziert werden. Weniger Krieg, mehr Alltag, aus Seide, am Rücken leicht ausgeschnitten.
Nicht nur für Popstars
So richtig angekommen in der Modewelt ist der Jumpsuit wohl in den Sechzigern. Als fluffige Form oder Latzhose wird er als Zeichen des Anpackens gerne von Feminist*innen getragen. Und zugleich entstanden in der High Fashion Einteiler in eher schönen statt praktischen Formen. Yves Saint Laurent stellt 1968 seinen ersten Jumpsuit vor, ein obenrum enges Teil mit weiten Beinen. Das kann nicht jede*r tragen. Elvis konnte.
Als er 1973 als erster Musiker überhaupt ein weltweit live ausgestrahltes Konzert im Fernsehen spielte, trug Elvis einen weißen, hyperengen Jumpsuit. Mit Schlag am Bein und roten, goldenen und blauen Nieten. Legendär! Genau wie das wunderschöne weiße Modell mit glitzerndem Pfau darauf. Natürlich hat auch David Bowie damals enge Jumpsuits getragen, und Harry Styles macht das heute auch. Allerdings meist nur als Bühnenoutfit.
Bei den meisten Frauen ohne Popstarambitionen stand der Einteiler auch so für Selbstbewusstsein, passend zu den hohen Schulterpolstern der 80er Jahre. Auch Diana hat ihn getragen! Erst in den 90ern wurden die Frauen modisch wieder gebrechlicher, aber ganz verschwand der lässige Style nie. Elaine Benes trägt in der Serie „Seinfeld“ Jumpsuit. In einem Text über den „Elaine Style“, der 2010 auf die Straßen New Yorks zurückkehrte, zitiert die New York Times die Schauspielerin Julia Louis-Dreyfus mit folgendem Satz über ihren Stil: „Es ging nicht darum, sexy auszusehen. Es ging darum, wie ein Mädchen auszusehen, das Leute herumschubst.“
Um 2000 herum tritt schließlich der Onesie vermehrt in Erscheinung. Onesie steht für one piece, ein Stück. So heißt auch eine norwegische Firma, deren Onesies wie kombinierte Jogginghose und Sweatshirt aussehen. Die Sängerin Katy Perry lief mit einem Onesie rum, dessen Muster aus Salamipizzen bestand. Diese Kleidungsstücke kann man auch ganz bis nach oben zumachen, also den Kopf wegzippen. Ein offensiver Rückzug vor der Welt, der 2022 im Zuge der Energiekrise ein kleines Comeback erlebte, da es sich in den oft warmen Ganzkörperschlafsäcken gut Heizkosten sparen ließ.
2002 brachte der Designer Nicolas Ghesquière für das Label Balenciaga den Einteiler auf den Laufsteg. Das hat dem Jumpsuit sicher einen neuen Anstoß gegeben. Und die Luxusmarke verkauft jetzt noch ganz andere Einteiler: die Pantashoes (zusammengesetzt aus „pants“ und „shoes“). Das sind Schuhe, die auch Hosen sind. Klingt pfiffig, wenn da nur nicht die superhohen Absätze wären. Vielleicht entwickelt sich da noch was – sonst wird das wohl eher Haute Couture bleiben.
Auch Barbie regelt im Overall
Der Jumpsuit hingegen ist mittlerweile voll im Alltag angekommen und wird aktuell meist in flatterigen Sommerstoffen getragen. Ein unschlagbarer Vorteil gegenüber dem Kleid ist dabei, dass bei Hitze im Sommer die Oberschenkel nicht aneinander kleben. Manch eine schubbert sich beim Laufen im Kleid sogar rote Stellen. Der Kapitalismus hat dafür zwar schon eine „Lösung“ erfunden: Deodorant speziell für die Oberschenkel. Na ja. Im Jumpsuit auch verzichtbar.
Von Marketing profitiert der Overall aber auch. Er taucht zum Beispiel in einer Schlüsselszene im neuen Barbie-Film auf. In Pink natürlich. Ich will nicht spoilern, und man mag von Barbie, dem Film und der Farbe halten, was man will, aber diese zentrale Szene sagt ganz klar: In diesem Kleidungsstück werden Dinge geregelt.
Ich trage meinen hellrosa Overall seit zwei Jahren. Und es würde mich nicht wundern, wenn wir immer mehr pinke Overalls auf unseren Straßen sehen. Denn einerseits schmeicheln sie keiner „weiblichen“ Form und gelten oft als zu männlich. Die Farbe gilt hingegen als hypergirlie, maximal feminin. Eine schöne Ambivalenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Greenpeace-Vorschlag
Milliardärssteuer für den Klimaschutz
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen