Letzte Staffel „Orange Is the New Black“: Das Ende der Knast-Geschichten
„OITNB“ hat serielles Erzählen entscheidend verändert und Netflix groß gemacht. Am Freitag kommt die 7. Staffel. Doch wie geht es für Netflix weiter?
Gewalttätig drückt Gefängniswärter Hellmann (Greg Vrotsos) Alex (Laura Prepon) Drogen, in ein Kondom verpackt, in den Mund. Es ist Heroin im Wert von 1.500 Dollar, das Alex an die anderen Insassinnen verticken soll. Doch bevor sie dazu kommt, muss sie die Drogen erst einmal schlucken, denn es steht eine Durchsuchung im Gefängnis von Litchfield an. Wird sie mit den Drogen erwischt, droht ihr eine längere Haftstrafe; weigert sie sich, wird Hellmann ihr Gewalt antun – und fängt sie an zu dealen, bekommt sie Stress mit den anderen Dealerinnen des Gefängnisses. Wer im Gefängnis überleben will, muss sich an die Regeln halten. Und zwar an die Regeln der Wärter*innen und die der Insass*innen – und dann gibt es da ja auch noch das Gesetz.
Die strukturellen Schwierigkeiten des US-amerikanischen Gefängnissystems werden auch in der siebten Staffel von „Orange Is the New Black“ (OITNB) verhandelt. Die Netflix-Serie von Jenji Kohan dreht sich um den Alltag in einem Frauengefängnis mit all seinen Facetten. Gefängnisserien gibt es zuhauf, doch OITNB ist anders, war von Anfang an anders. Mit ihrer Art des seriellen Erzählens, der diversen Besetzung und der dichten Geschichte hebt sie sich vom bisher bekannten Fernsehen ab und zeigt, wie Serien zum Streamen gemacht sein müssen.
Die Serie basiert lose auf den persönlichen Erfahrungen von Piper Kerman, einer weißen privilegierten US-Amerikanerin, die in den 2000ern wegen Drogenschmuggels ein Jahr ins Gefängnis ging und darüber ein Buch schrieb. In OITNB heißt ihre fiktionale Version Piper Chapman und wird von Taylor Schilling verkörpert.
Eine unsympathische Antiheldin, die erst durch ihre Mitinsassinnen lernen muss, dass die Welt nicht nur aus gut und böse, richtig und falsch besteht. Später wird in jeder Folge eine andere Figur ins Zentrum gestellt, etwa die der Gloria Mendoza, die vor der häuslichen Gewalt ihres Mannes zu fliehen versucht und aus Geldnot in die Kriminalität rutscht. Oder Taystee, die in der ersten Staffel aus dem Gefängnis entlassen wird. Doch mit der zurückgewonnenen Freiheit nicht umgehen kann und bewusst gegen ihre Bewährungsauflagen verstößt, um zurück in ihr gewohntes Umfeld, das Gefängnis, zu kommen.
Divers und hochaktuell
Dass Serien überhaupt als Qualitätsfernsehen angesehen werden, begann um den Millenniumswechsel herum mit „The Sopranos“ und „The Wire“. Inzwischen sind die Ansprüche weiter gestiegen. Die Serie OITNB zeigt mit ihren Figuren eine große Breite an Identitäten, sexuellen Orientierungen, nichtweißen Menschen, Geschlechtern und Lebenserfahrungen. Die Insass*innen sind polyamourös, trans, bi, hetero, homo oder „gay for the stay“.
Es sind Schwarze und weiße Frauen oder PoC, arme und reiche, gesunde oder Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen. Durch die verschiedenen Perspektiven auf den Gefängnisalltag werden Themen wie Rassismus, Sexismus oder Transfeindlichkeit thematisiert – und zwar so brutal, wie diese Themen in der Realität eben sind. Manchmal sogar so brutal, dass man nicht hinschauen kann.
Den Versuch, OITNB in ein Genrekonzept zu pressen, sollte man lieber unterlassen. Die Serie, von vielen als Dramedy bezeichnet, ist satirisch, ist Thriller, ist gesellschaftspolitisch und rührend. Und vor allem hochaktuell.
Die siebte Staffel befasst sich mit der US-Einwanderungsbehörde ICE. Ex-Insassin Blanca (Laura Gómez) findet sich kurz nach ihrer Entlassung in Abschiebehaft wieder. „Es sieht aus wie ein Gefängnis, es riecht wie ein Gefängnis, aber es ist kein Gefängnis – es ist schlimmer“, sagt sie zu Maritza (Diane Guerrero), einer ehemaligen Mitinsassin, die auch abgeschoben werden soll. Das passt in eine Zeit, in der Donald Trump mit Razzien gegen Menschen ohne Aufenthaltspapiere droht und an der Grenze zu Mexiko Lager mit menschenunwürdigen Zuständen existieren.
Immer wieder wird der Serie vorgeworfen, rassistische Stereotype zu reproduzieren. Sie zeichne Schwarze Frauen und Latinas als unreflektierte und gewalttätige Menschen. 2016 wurde die Debatte durch ein Foto zusätzlich befeuert. Darauf zu sehen: die 16 Schreiber*innen der Serie – nur zwei davon PoC. Mittlerweile ist der writers’ room deutlich diverser. Dadurch, dass die Serie jedem Charakter eine eigene Geschichte zukommen lässt, ist sie, was die Repräsentation von Minderheiten angeht, deutlich weiter als andere.
Neue Erfolgsserie gesucht
OITNB ist nicht die erste Eigenproduktion von Netflix, das war 2013 wenige Monate zuvor „House of Cards“. Doch der Politthriller, der die Geschichte eines skrupellosen weißen Manns auf dem Weg ins Präsidentschaftsamt erzählt, hätte auch ohne Probleme im linearen Fernsehen laufen können. OITNB dagegen ist zum binge-watching gemacht; sonst kommt man bei der dichten Geschichte kaum hinterher. Der US-amerikanische Streaminganbieter gibt nur sehr selten Zahlen heraus, doch laut einem Pressesprecher gehört OITNB zu den erfolgreichsten Angeboten von Netflix.
Da aber mit der siebten Staffel die Gefängnisserie enden wird, steht Netflix damit vor einer neuen Aufgabe.
Vor zwölf Jahren stieg das US-amerikanische Unternehmen in das Video-on-Demand-Business ein, 2014 expandierte es unter anderem auch nach Deutschland. Anstatt die künftigen Nutzer*innen davon zu überzeugen, dass Streaming das neue Ding ist, und Netflix zu bewerben, warben sie mit ihren Eigenproduktionen. Wochenlang waren damals die Protagonist*innen von OITNB übermenschengroß am Potsdamer Platz zu bewundern. Das funktionierte – mittlerweile hat Netflix nach eigenen Angaben 152 Millionen zahlende Nutzer*innen.
Doch nach der Vorstellung der aktuellen Quartalszahlen im Juli ist die Aktie um mehr als 12 Prozent eingebrochen. Konzernchef Reed Hastings führt das auf die Preiserhöhungen in einigen Ländern zurück und fügt hinzu, dass die jüngsten Serien nicht so viele Nutzer*innen angezogen hätten. Mit „House of Cards“ und OITNB brechen dem Unternehmen zwei Erfolgsserien weg. Es bleiben zwar noch „Stranger Things“, die laut Netflix zu den meistgesehenen Serien zählt, „Haus des Geldes“ oder „Sex Education“, doch wenn Netflix sich nicht von den Konkurrenzanbietern abhängen lassen will, braucht es neue Produktionen, die mit Sehgewohnheiten brechen und ein Massenpublikum anziehen.
Mit der fünften Staffel wagten die Produzent*innen von OITNB vor zwei Jahren ein Experiment – das scheiterte. Die Handlung spielte sich an drei Tagen ab und zeigte einen Gefängnisaufstand, doch trotz actionreicher Szenen kam keine Spannung auf. Auch in der darauffolgenden Staffel – wo die Nachwehen der Riots behandelt wurden – wollte das nicht so richtig gelingen. Die Kritiken fielen schlecht aus, und Serienmacherin Kohan sagte gegenüber dem New Yorker, dass sie mit der Staffel unzufrieden gewesen sei.
Mit der siebten Staffel hat OITNB nun aber zu alter Stärke zurückgefunden. Während Piper versucht, sich in der wiedergewonnenen Freiheit zurechtzufinden, steht Taystee (Danielle Brooks) im Mittelpunkt der Staffel. Die Insassin wurde am Ende der sechsten zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Für einen Mord, den sie nicht begangen hat, verraten von ihrer besten Freundin. Kaum vorstellbar, dass dieser Plot in einer Staffel auserzählt wäre.
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