Realityshow „Queer Eye“: Solidarisch heulen

Die populäre Netflix-Serie „Queer Eye“ geht in die vierte Staffel. Ihr Erfolgsrezept: maximale Empathie und null toxische Männlichkeit.

Fünf Menschen schauen freundlich auf etwas außerhalb des Bildes

Die Fab Five (v. l.): Tan France, Jonathan Van Ness, Karamo Brown, Antoni Porowski, Bobby Berk. Foto: Netflix

Wer unter der Woche durchs deutsche Privatfernsehen zappt, weiß bescheid: TV-Produzent_innen lieben Vorher-nachher-Shows. Ob es nun um einen neuen Kleidungsstyle geht, straffere Brüste, eine Hausrenovierung oder radikalen Gewichtsverlust – es gibt nichts, was man nicht vor laufender Kamera „optimieren“ kann. Und mit der richtigen Prise Herabwürdigung lässt sich dabei auch noch ein selbstgefälliges Publikum wunderbar unterhalten.

Mit diesen Sendungen hat „Queer Eye“ nicht das Geringste gemein. Zwar geht es auch hier um neue Frisuren, schönere Wohnungseinrichtungen und schicke Schuhe, allerdings unter einer ganz anderen Prämisse: maximale Empathie. Hier lautet das Credo nicht: „Du bist ein Freak, pass dich der Norm an!“, sondern: „Du bist toll, deshalb tun wir dir was Gutes.“

Teilnehmer_innen werden von ihren Liebsten nominiert, weil sie eine schwierige Zeit durchgemacht haben oder sich ständig für andere aufopfern. Die Fab Five, bestehend aus fünf charismatischen queeren Personen, kommen in die meist weit vom Schuss gelegene Kleinstadt, um die Lebensqualität der Nominierten mit kleinen Kniffen und tiefgründigen Gesprächen zu verbessern.

Emotionale Intelligenz

Die von Netflix produzierte US-Realityshow zählt zu den populärsten Angeboten auf der Streamingplattform und geht gerade in die vierte Staffel. Ihr Erfolgsrezept basiert auf der diversen Zusammenstellung der Nominierten (von der weißen Waffenliebhaberin bis zum Schwarzen lesbischen Adoptivkind), der emotionalen Intelligenz der Fab Five sowie einer Art Seelenreinigung in Form unaufhörlichen Geheules. Die Nominierten weinen, die Fab Five weinen, das Publikum weint. Und das meist aus Anerkennung und Liebe, nicht aus Mitleid.

Es sind die kleinen Feinheiten, bei denen „Queer Eye“ alles richtig macht, ohne es an die große Glocke zu hängen. So ruft Stylist Jonathan Van Ness bei afroamerikanischen Nominierten meist einen Schwarzen Stylisten hinzu, weil er sich nicht anmaßt, Schwarze Haarstile zu imitieren.

Koch Antoni Porowski hält zum Glück keine belehrenden Vorträge über gesunde Ernährung im Süden des USA, wo Deftiges beliebt ist – sondern will im Gegenteil mehr über die örtliche Küche lernen, um beim Kochen unter die Arme greifen zu können.

Wo die Stärke Karamo Browns liegt, dessen Job vage mit „Kulturexperte“ beschrieben wird, zeigt sich in der zweiten Folge, die den Höhepunkt der neuen Staffel markiert: Der Nominierte Wesley sitzt im Rollstuhl, seit er vor Jahren mehrmals angeschossen wurde. Er hat seine Drogendealerkarriere hinter sich gelassen, ist Aktivist und empowert Menschen mit Behinderung.

Heimliche Agenda

Als er erzählt, dass er nie erfahren habe, weshalb er überhaupt angeschossen wurde, arrangiert Karamo Brown ein Treffen zwischen Täter und Opfer. Schnell löst sich die Anspannung aller Beteiligten, als Wesley meint, er könne den Standpunkt des inzwischen aus der Haft entlassenen Täters (er hatte sich bedroht gefühlt) nachvollziehen, und letztlich seien sie beide als Schwarze arme Männer Opfer dieses Systems, das sie gegeneinander bewaffne.

In dieser einen Szene, die nicht länger als ein paar Minuten geht, stecken fast alle sozialen Probleme unserer Zeit: Rassismus, Waffengewalt, toxische Männlichkeit. Der Kampf gegen Letzteres scheint ohnehin die heimliche Agenda von „Queer Eye“ zu sein. Vier schwule Männer und eine nichtbinäre Person (Stylist Jonathan Van Ness hatte kürzlich sein Coming-out) ziehen durchs Land, um Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten Mut zuzusprechen und zu umarmen.

Hier sind Diversität und Self-Care nicht nur leere Marketingfloskeln einer neoliberalen Leistungsgesellschaft. Die feinfühlige und zugängliche Art, wie „Queer Eye“ Vielfalt zelebriert, macht deutlich, wie eine solidarische Gesellschaft aussehen kann.

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