Lesbische AfD-Chefin Alice Weidel: Rechtsextremes Leitbild
AfD-Chefin Alice Weidel ist rechtsextrem und lesbisch. In einer TV-Runde am Montagabend clashten mal wieder ihre Nebenwidersprüche.
![Eine Nahaufnahme von Weidels Füßen am Rednerpult des Bundestags: Sie trägt verschiedene, bunte Socken in dunklen Schuhen Eine Nahaufnahme von Weidels Füßen am Rednerpult des Bundestags: Sie trägt verschiedene, bunte Socken in dunklen Schuhen](https://taz.de/picture/7538708/14/Alice-Weidel-lesbisch-homosexuell-queer-AfD-1.jpeg)
Direkt davor hat Weidel in der TV-Runde mit Publikumsfragen versucht, ihren eigenen nicht auflösbaren Nebenwiderspruch zu erklären: Dass sie trotz ihres eigenen Lebensmodells, einer homosexuellen Partnerschaft mit zwei Kindern, das Familienbild der AfD vertreten könne. Das besteht bekanntlich aus „Vater, Mutter“ und möglichst vielen Kindern als „Keimzelle der Gesellschaft“.
Weidel selbst lebt hingegen in einer homosexuellen Partnerschaft mit zwei Kindern. Wohnsitz ihrer Regenbogenfamilie: Einsiedel in der Schweiz. Ihre Frau stammt aus Sri Lanka. Schwer vorstellbar, wie sie gemeinsam mit ihrer Familie etwa im thüringischen Sonneberg Urlaub machen würde, wo rechtsextreme Straftaten explodiert sind, seitdem der erste AfD-Landrat im Amt ist. Auch die Fernsehsendung am Dienstagabend hat es mal wieder gezeigt: Die Widersprüche von Alice Weidel scheinen auf den ersten Blick übergroß. Gleich drei Zuschauer fragten dazu nach.
Weidel bekam das – wie schon des öfteren – nicht aufgelöst. Am Ende hielt sie für AfD-Verhältnisse gar so etwas wie ein Plädoyer für die Gleichstellung: Sie lebe in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und glaube, dass diese mit der Ehe gleichgesetzt werden sollte – „ohne das Institut der Ehe zwischen Mann und Frau zu berühren“, wie Weidel sagte. Auf die irritierte Nachfrage eines mittelalten Mannes mit Bart und Brille, warum das dann nicht im Parteiprogramm stünde, antwortete sie: „Weil es selbstverständlich ist. Natürlich. Warum sollten ich und meine Frau nicht gleichgestellt sein wie in normaler Ehe?“ Am Ende lobte sie sogar Robert Habeck mit etwas süffisantem Unterton und schelmischen Grinsen: „Weiter so, Frau Weidel!“
Höcke sieht das durchaus anders
2017 wollte Weidel den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke noch wegen seiner „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ aus der Partei ausschließen. Mittlerweile umarmen die beiden sich bei gemeinsamen Auftritten. Beim Familienmodell haben sie weniger Übereinstimmungen: Höcke hielt unlängst Schmähreden gegen das hier vorherrschende „Regenbogen-Imperium“ und positionierte sich auf der Seite Putins gegen den liberalen Westen. Zur Erinnerung: Homosexualität ist in Russland tabuisiert, Adoption durch gleichgeschlechtliche Partner verboten und Aufklärung darüber strafbewehrt.
In Viktor Orbáns autoritären Ungarn, das Alice Weidel bei einem Besuch in Budapest kürzlich als „großes Vorbild“ bezeichnete, ist öffentliche Aufklärung über gleichgeschlechtliche Liebe ebenso verboten. Homosexuelle Darstellungen gegenüber Minderjährigen ist als „Homo-Propaganda“ illegal. Adoption ist Homosexuellen verboten, Ehen für Homosexuelle gibt es ebenfalls nicht. Der Schutz der Familie gilt explizit nur für heterosexuelle Paare. Der dennoch in Budapest jährlich stattfindende CSD wird regelmäßig gewaltsam von Rechtsextremen angegriffen, wie übrigens auch viele CSDs zuletzt in Ostdeutschland.
Die AfD befeuert exakt dieses Klima. Auf AfD-Parteitagen klingt das dann regelmäßig so: „Familie ist da, wo Kinder sind – diese gesellschaftsverwahrlosenden Sätze kommen mir echt zu den Ohren raus!“, sagte die Thüringer Landtagsabgeordnete Wiebke Muhsal Anfang Januar beim Parteitag in Riesa und bekam viel Applaus. Familien seien da, wo ein Mann und eine Frau gemeinsam Kinder bekämen, betonte sie. Weidel lief kurz danach raus.
Der AfD-Europaabgeordnete Tomasz Froelich sagte 2023 bei seiner Bewerbungsrede auf einem AfD-Parteitag in Magdeburg, er wolle „ein ganz anderes Deutschland“ ohne „Regenbogenterror“. Auch hier verließ Weidel den Parteitag noch während der Rede. Früher hatte Froelich bewundernd mit Blick auf die autoritäre Türkei gesagt: „Sie bevorzugen eine Politik für die Ärmsten der Armen, statt für die Wärmsten der Warmen.“ Und klar, Russland-Fan ist er auch. Das sei in „vielerlei nicht so degeniert wie der Westen“ – „es gibt in Moskau keinen Christopher Street Day, der meiner Meinung nach in Deutschland verboten gehört.“ Nicht zuletzt seine Wahl zeigt: Überzeugungen wie die von Froelich sind keine Seltenheit und von vielen akzeptiert in der Partei.
„Ich bin nicht queer“
Für die radikalisierte AfD kommt Weidel so eine praktische Doppelfunktion zu: Als Feigenblatt und Aushängeschild kann sie über die auch homosexuellenfeindliche Politik ihrer Partei hinwegtäuschen. Gleichzeitig bekommen AfD-Anhänger von Weidel persönlich qua Lesbe die Erlaubnis, schamlos weiter gegen alles „Queere“ zu hetzen. Kaum war sie im Bundestag, wollte die AfD 2018 die gerade erst beschlossene „Ehe für alle“ abschaffen. Der Rechtspolitiker Stephan Brandner, ebenfalls aus Thüringen, hält das weiter für richtig, und will womöglich in der nächsten Legislatur wieder einen Antrag zur Abschaffung der Ehe für alle einbringen.
Wie Weidel einmal selbst im Interview verächtlich sagte: „Ich bin nicht queer, sondern ich bin mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne.“ Und wenn sie nicht gerade zu Hause ist, hetzt sie halt mit im rechten Kulturkampf gegen queere Identitäten und „Genderwahnsinn“. Ähnliches gilt im übrigen auch für Migrant*innen in der Partei, die die AfD gerne herausstellt. Auch darin ist wiederum Weidel groß, wenn sie betont, sie sehe keine Hautfarben und könne keine Rassistin sein, weil ihre Frau ja aus Sri Lanka stamme.
Sven Lehmann (Grüne), der Queerbeauftragte der Bundesregierung, hält vor allem Weidels rhetorische Wendung beim „Institut der Ehe“ verräterisch. Er sagte auf taz-Anfrage: „Sie hat sich keineswegs dafür ausgesprochen, dass Lesben und Schwule weiterhin heiraten dürfen. Im Gegenteil! Ihre Formulierung von einer Gleichstellung, ohne jedoch das Institut der Ehe zu berühren, bedeutet im Klartext gerade, dass ihre Partei die Ehe für Lesben und Schwule wieder verbieten will.“
Sonst könne sie ja klipp und klar sagen, dass ihre Partei die Eheöffnung für Lesben und Schwule befürworte, so Lehmann: „Das tut sie aber gerade nicht. Die Partei plant, zehntausende gleichgeschlechtliche Paare wieder zu entrechten. Sie ist eine Bedrohung für LSBTIQ*.“ Um das zu erkennen, müsse man sich nur die Anträge und Äußerungen ihrer Abgeordneten und ihrer politischen Vorbilder anschauen.
Damit hat er wohl nicht ganz unrecht: Und so stimmen am Ende dann auch vor allem Weidels vielfach selbst unterstrichenen rechtsextremen Überzeugungen zu einem sehr großen Teil mit denen von Björn Höcke überein. Klar ist nur: Urlaub in Ungarn oder auch nur in Sachsen wird Weidel mit ihrer Familie wohl trotzdem nicht machen. Inge Wolf aus der Nordeifel wird all das nicht überzeugen.
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