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Lektor über abgelehnte Bücher„Man kann nicht sagen: Ich weiß auch nicht recht“

Der langjährige Rowohlt-Lektor Uwe Naumann über abgelehnte Bestseller, die Notwendigkeit von Meinungsstärke und das Lästern hinter Verlagstüren.

Für Au­to­r*in­nen nicht einfach, dort mit ihrer Arbeit zu landen: öffentliches Bücherregal, hier in der Hamburger Rathauspassage Foto: dpa | Christian Charisius
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Herr Naumann, von „1.000 Augen“ profitiere der Verlag, hat sein Gründer Ernst Rowohlt mal gesagt. Es entscheiden also viele Menschen mit über das Programm?

Uwe Naumann: Sie entscheiden mit, ja, und vor allen Dingen erteilen viele Menschen Ratschläge. Verlagsarbeit ist immer Teamarbeit, das hat sich bis heute nicht geändert. Ernst Rowohlt war ja eine sehr eindrucksvolle Gestalt, ein Hüne. Aber er sagte immer: Jetzt guckt nicht nur auf mich, guckt, wer die Leute sind, die im Hintergrund mitarbeiten. Die sind mindestens so wichtig wie ich.

taz: Als einer, der im Hintergrund mitarbeitet: Erleben Sie solchen Respekt?

Naumann: Doch, das ist tatsächlich so. Wenn Sie sich vorstellen, dass bei Rowohlt jeden Tag Dutzende von Manuskripten eingehen, viele hundert Autoren betreut und beurteilt werden wollen – das kann kein Einzelner oder keine Einzelne. Das ist tatsächlich Teamarbeit.

Bild: Stephan Jockel
Im Interview: Uwe Naumann

73, seit 1985 Mitarbeiter im Lektorat des Rowohlt-Verlags. Er ist unter anderem Herausgeber der Reihe „rowohlts monogra­phien“.

taz: Hat sich die Zahl der Manuskripte geändert? Gab es auch Konjunkturen?

Naumann: Es waren immer sehr viele. Rowohlt ist ein sehr eingeführter Name, sehr populär. Das heißt, wenn jemand schreibt und egal, ob er schon ein Buch gemacht hat oder nicht, denkt er: Wo kann ich das hinschicken? Ich kann ja mal bei Rowohlt anfragen. Vieles davon ist nicht wirklich druckbar oder druckenswert. Aber es gibt immer wieder Perlen dazwischen.

taz: Sie sind für das Sachbuch zuständig. Werden Ihnen da andere Sachen angeboten, als den Kollegen, sagen wir: bei Suhrkamp?

Naumann: Bei einigen anderen Verlagen finden Sie eine stärkere akademische Ausrichtung. Wir sagen immer: Wir sind ein populärer Verlag. Die Bücher müssen für viele lesbar sein. Und so versuchen wir das auch zu machen.

taz: Zumal eine kollektive Entscheidung für oder gegen ein Buch braucht den Austausch. Der geschieht offenbar in Schriftform. Hat das einen tieferen Grund?

Naumann: Es geht natürlich auch mündlich, über den Flur sozusagen – das ist dann nicht dokumentiert. Es gibt aber, das ist ein Rowohlt-Wort, das „Votum“: dass also ein Gutachten geschrieben wird, das kann fünf Zeilen lang sein, aber auch fünf Seiten. Das wird dann der Verleger-Persönlichkeit vorgelegt und eventuell auch diskutiert. Wenn es da Uneinigkeit gibt, wird meist ein zweites Votum angefordert, um sicherzugehen, liegen wir da jetzt richtig oder nicht? Irrtümer sind natürlich vorbehalten …

taz: Solcher Schriftverkehr landet bei einem ordentlichen Unternehmen dann auch im Archiv. Einen Abend lang lassen Sie Außenstehende daran teilhaben, unter dem Motto: „Ein Text, den man gerne aus der Hand legt“.

Naumann: Das stand in einem Votum über den Schriftsteller Hans Sahl, Verfasser war Kurt Kusenberg, einer der wichtigen Lektoren des Hauses Rowohlt. Der hatte so eine Saftigkeit. Das Buch ist dann beim Fischer-Verlag erschienen. Die Idee ist ja: Da liegt ein Manuskript oder auch ein fertiges Buch, manchmal geht es ja um Lizenzausgaben. Und die Frage ist: Will man das drucken oder nicht? Da muss man auch zu einer Meinung kommen. Man kann da nicht sagen: Ich weiß auch nicht recht. Überhaupt: Meinungsstark müssen Lektoren sein.

taz: Und die Zeit drängt vermutlich immer?

Naumann: Ich bin ja schon eine Weile dabei, da traut man sich auch zu, nach wenigen Seiten ein Urteil zu fällen.

taz: Haben Sie auch schon danebengelegen?

Naumann: Doch, schon. Ein Beispiel, das mir immer noch nachhängt: Michael Moore, „Bowling for Columbine“, so ein Amerika-Verriss aus der Ära George W. Bush. Damals war Moore hier noch nicht bekannt. „Bowling for Columbine“ wurde sein erstes Buch in Deutschland. Wir saßen zusammen, der Verleger Alexander Fest, ich und noch jemand und sagten: Na ja, dass Amerika Mist ist, wissen wir doch alle. Diesen Autor kennt aber keiner. Und dann sah er auch noch aus, wie er halt aussieht. Wir haben das abgelehnt – es wurde ein veritabler Bestseller.

taz: Interessante Größe, die Vorzeigbarkeit eines Autors, einer Autorin.

Naumann: Es ist schon so, dass man darauf auch achtet. Niemand muss einen Schönheitswettbewerb gewinnen, aber präsentabel sein im weitesten Sinne, auch eloquent im Auftreten. Man muss ein Interview geben können, eine Lesung durchführen – und das muss Spaß machen für die Zuhörer.

taz: Gilt das auch fürs Sachbuch?

Naumann: Doch, das ist genauso ausgeprägt. Wenn jemand nur so akademisch daher formuliert, in hochkomplexen Satzstrukturen, dann ist er für ein Rowohlt-Buch eigentlich nicht geeignet.

taz: In anderer Hinsicht müssten sich aber bei Sachbüchern noch mal andere Fragen stellen als bei einem Roman. Einfach weil, was darin steht, auch stimmen muss. Bloß: Sie als Lektor können sich gar nicht in allen Bereichen gleich gut auskennen, oder?

Naumann: Klar, doch, das tue ich. Nein, man ist als Lektor ein Allrounder und muss ganz vieles können und kennen. Aber ich habe auch das Recht und sogar den Auftrag, wenn ich unsicher bin, Gutachter heranzuziehen. Entweder schon bei der Entscheidungsfindung, ob wir ein Buch machen wollen, oder wenn das Manuskript dann fertig ist. Das kostet ein kleines extra Honorar, ist es aber wert: Die Fachgutachter finden dann doch noch kleine Pünktchen, die korrigiert werden sollten.

Der Termin

Vortrag und Gespräch “‚Ein Text, den man gerne aus der Hand legt‘. Kontroverse Meinungen über Bücher aus internen Dokumenten des Verlags, vorgestellt von Michael Töteberg und Uwe Naumann“: Mi, 5. 2., 19 Uhr, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg/Vortragsraum.

Ausstellung „Tausend Augen“ zur Geschichte des Rowohlt-Verlags: bis 2. 3., Ausstellungsraum im Erdgeschoss, täglich bis 24 Uhr geöffnet, Eintritt frei

taz: Zusammen mit Ihrem Kollegen Michael Töteberg entreißen Sie nun einige Beispiele für solche internen Aushandlungen dem Archiv. Verraten Sie uns einen großen Namen, um den es heute gehen wird?

Naumann: Zum Beispiel Rosamunde Pilcher, die ja den Rowohlt Verlag genährt hat über viele Jahre. Da gibt es interessante Dokumente aus der Frühzeit, als sie noch nicht durchgesetzt war, wo alle skeptisch waren, ob sich rechnet, was wir dafür ausgeben. Es kommt aber auch einer der ersten Rowohlt-Autoren überhaupt vor: Franz Kafka. Dessen allererstes Buch ist bei Rowohlt erschienen: „Betrachtung“, das ist auch Teil der Ausstellung. Oh, und ein Name, der wichtig für Hamburg ist: Peter Rühmkorf. Der war beides: Er war das Opfer eines wütenden Gutachtens, als er noch nicht durchgesetzt war; nach dem Motto: Das ist ja nur ein Halbdichter, der taugt nichts. Dann wurde er aber sogar selbst Lektor und hat dann von seiner Seite aus scharf geurteilt. Das ist amüsant und gleichzeitig auch lehrreich: Dass man vielleicht manchmal behutsam sein soll in seinem Urteil.

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