Leihmütter aus der Ukraine: Babys für die ganze Welt
Ein Corona-Einreiseverbot trennt 73 Neugeborene von ihren Eltern. In der Ukraine wird über Leihmutterschaft nun neu diskutiert.
Liebevoll gepflanzte Blumen im Vorgarten eines dreistöckigen Hauses im zentralen Kiewer Stadtteil Tatarka zeigen dem Besucher, wo er oder sie angekommen ist: Die Pflanzung ergibt die Inschrift „BioTexCom“. Zwei Störche aus Holz deuten an, worum es in der Privatklinik geht: Geburten. BioTexCom hat sich auf Geburten durch ukrainische Leihmütter, die kinderlosen europäischen Paaren deren Kinder austragen, spezialisiert. Aber auch In-vitro-Befruchtungen, Schwangerschaftsuntersuchungen, Kryo-Konservierung von Geschlechtszellen und Embryonen finden laut Internetseite der Firma dort statt.
Im Gebäude herrscht eine Atmosphäre gepflegter Gemütlichkeit. Ledersessel im Gang, Plasmabildschirme auf den Toiletten und Mitarbeiterinnen, die in Plastiküberschuhen weitgehend geräuschlos über den Korridor gehen. Marina Moskaljuk wartet im ersten Stock. Das Angebot, für diesen Text anonym zu bleiben, lehnt sie ab. Sie steht zu ihrer Entscheidung, Leihmutter zu sein – trotz einer neu aufgeflammten Debatte im Land.
In der Ukraine ist Leihmutterschaft erlaubt
Ein Youtube-Video zeigt 73 Neugeborene, die derzeit in einem Kiewer Schlafsaal auf ihre Eltern warten. Doch die kommen nicht. Die Babys haben alle zwei Mütter und einen Vater, betreut werden sie von Krankenschwestern. Die meisten ihrer Eltern leben in Frankreich, Australien, China, Spanien und den USA. Ausgetragen wurden sie von ukrainischen Leihmüttern. Die haben ihren Job erledigt, sind längst wieder bei sich zu Hause, irgendwo in der Ukraine. Und die Eltern, die über eine Agentur eine Ukrainerin beauftragt hatten, für sie ein Kind auszutragen, das biologisch von mindestens einem Elternteil stammt, können nicht einreisen, da die Ukraine vor dem Hintergrund der Coronakrise Grenzüberschreitungen für Ausländer erschwert hat.
Während ukrainische Behörden an einer Lösung zur Ausreise der Kinder arbeiten, hat das Video aus dem Neugeborenen-Schlafsaal die Diskussionen in der Ukraine über die ethischen Aspekte und ein mögliches Verbot der Leihmutterschaften, vor allem unter Beteiligung ausländischer Eltern, neu entfacht. Die Ukraine ist eines der wenigen Länder in Europa und Asien, in denen sie überhaupt noch erlaubt sind.
Marina Moskaljuk kennt die Diskussion und beginnt unser Gespräch mit einer Antwort an die Kritiker: „Ich weiß, viele verurteilen mich. Doch die das tun, ernähren nicht meine Kinder, pflegen nicht meine Eltern. Ich bin doch nicht auf den Strich gegangen oder ins Ausland, habe meine 68-jährige kranke Mutter nicht alleine gelassen.“
Antonina Kabanez
Moskaljuk kommt aus einem Dorf im Rayon Schaschkowskij im Gebiet Tscherkassy. Sie ist ausgebildete Außenhandelskauffrau, hat jedoch nie in diesem Beruf gearbeitet. Die geschiedene Mutter von zwei Kindern ist Verkäuferin, hat ein kleines Café an einer Schnellstraße. „Ich habe einmal davon geträumt, dass ich meiner kinderlosen Freundin ein Kind austrage. War natürlich nur ein Traum. Aber dann habe ich eine Anzeige dieser Klinik gesehen. Ich hatte mir gerade überlegt, dass ich unsere Wohnung schon lange renovieren wollte.“
Die biologischen Eltern ihres ersten Kindes waren ein britisches Ehepaar. Nein, schwer sei es ihr nicht gefallen, das Kind nach der Geburt abzugeben. „Ich habe mich psychologisch auf diese Aufgabe vorbereitet. Mir war bewusst, dass ich nur das Gefäß bin für diese Kinder. Das erste Kind war für mich wie ein Freund.“
Die Branche kämpft um ihren Ruf
Antonina Kabanez war zwei Mal Leihmutter. Sie hat die Kinder auf die Welt gebracht, weil sie Geld brauchte. 15.000 Dollar sind üblich. Für die Geburt von Zwillingen hat sie 25.000 Dollar erhalten. „Ich kann nicht sagen, dass ich bitterarm war. Wir wollten mehr haben, wollten die Wohnung renovieren, ein Auto kaufen“, erinnert sie sich.
Nicht bei allen sei das so. Sie habe auch Frauen kennengelernt, die eine Abtreibung hinter sich hatten und nun einem Kind Leben geben wollten. Ihr sei bewusst geworden, dass sie etwas Gutes getan habe. „So viele glückliche Menschen habe ich noch nie gesehen.“ Ihre eigenen Kinder, der Sohn ist 25 Jahre, die Tochter 12, hätten ihre Entscheidung unterstützt. Schon mehrfach ist sie im ukrainischen Fernsehen aufgetreten. Das tue sie, weil sie Frauen unterstützen möchte, die eine Ächtung fürchten.
Die Branche kämpft derweil um ihren Ruf. „Immer wieder wird insinuiert, Leihmutterschaft habe etwas mit Menschenhandel zu tun“, erklärt Wjatscheslaw Samsonenko, Jurist der Klinik BioTexCom, gegenüber der taz. „Doch die Leihmütter sind per Vertrag geschützt. Im Vertrag ist festgehalten, was bei einer Fehlgeburt passiert, was im Falle eines Ablebens der Eltern geschieht, wann welche Summen ausgezahlt werden.“
Außerdem sei sichergestellt, dass das Kind genetisches Material mindestens eines Elternteils habe. Und das Kind erhalte die Staatsbürgerschaft des Landes der Eltern. Würde man Leihmutterschaft verbieten, so Samsonenko, der einräumt, dass die überwiegende Mehrheit der Kunden von BioTexCom aus dem Ausland kommt, würde diese in die Illegalität getrieben. Er fordert stattdessen eine staatliche Regulierung.
Rechte der Kinder ungeklärt
Leihmutterschaft müsse beispielsweise als Verbrechen geahndet werden, wenn es keine genetische Verbindung zwischen einem Elternteil und dem Kind gebe oder die Schwangerschaft ohne Einverständnis der Frau ausgetragen werde. Auch müsse es strenge Vorschriften zur Einhaltung des Datenschutzes geben. Dieser Ruf nach Regulierung ist sicherlich auch der Defensive geschuldet, in die die Befürworter der Leihmutterschaft durch das Video gedrängt wurden. „Ich habe geweint, als ich die Fotos der Neugeborenen gesehen habe, die derzeit die Klinik nicht verlassen können“, erzählt auch Antonina Kabanez mit zittriger Stimme.
Ljudmilla Denisowa, die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments und der ukrainische Ombudsmann für Kinderrechte, Nikolaj Kuleba, wollen Ausländern gänzlich verbieten, Kinder von Ukrainerinnen austragen zu lassen. „Derartige Leistungen für Ausländer“, so zitiert das Portal lb.ua die Menschenrechtsbeauftragte, „können in erster Linie die Rechte von Kindern verletzen und zu einer Situation führen, in der die Ukraine nicht in der Lage ist, ihre Bürger zu schützen.“
Leihmutterschaft, so Kuleba auf seiner Facebook-Seite, verletze die Rechte der Kinder. „Die Kommerzialisierung und Erlaubnis einer derartigen ‚Leistung‘ fördert einen unkontrollierten Verkauf ukrainischer Kinder in das Ausland“, so Kuleba, der befürchtet, dass die Ukraine ein „internationaler Onlineshop für Babys“ werden könnte.
Auch wenn BioTexCom die Lage sehr rosig darstelle, hätten viele Leihmütteragenturen einen schlechten Ruf in der Ukraine, zitiert die Frauenzeitschrift Marieclaire Sergii Antonov, den Direktor des Kiewer „Medical and Reproductive Law Center“. Es gebe keine ukrainischen Gesetze, in denen die Rechte von durch Leihmutterschaft entstandenen Kindern festgehalten seien. „Nicht immer berücksichtigen die Verträge die Interessen aller Beteiligten“ kritisiert Antonov.
Sechsmal hat es nicht geklappt
So berichtete im Mai die Ukraijnska Prawda – Shittja von einem Fall, der sich vor vier Jahren ereignet hatte. Nachdem sich bei der Geburt herausstellte, dass das Kind eine Behinderung hatte, erklärten die ausländischen Eltern, dass sie es nicht haben wollten. Gleichzeitig übermittelten sie der ukrainischen Geburtsklinik ein Schreiben, in dem sie diese ermächtigten, lebenserhaltende Maßnahmen einzustellen. Diesen Wunsch hat man den Eltern nicht erfüllt. Und so lebt die vierjährige „Brizza“, wie die Krankenschwestern das Mädchen nannten, derzeit in einem Kinderheim in der Ostukraine.
Marina Moskaljuk ist inzwischen wieder schwanger, im siebten Monat ist sie jetzt. Dieses Mal mit Zwillingen, und die sind für ein anderes Paar aus Großbritannien. „Ich bin für sie die siebte Frau. Sechsmal hat es nicht geklappt, haben die Kinder nicht überlebt. Ich hoffe, dass es dieses Mal klappt.“
Mit zwei weiteren Leihmüttern lebt Marina in einer von der Klinik angemieteten Wohnung. Ihre eigenen Kinder sind bei der Oma. Zu den Eltern der von ihr ausgetragenen Kinder hält sie weiterhin Kontakt, wie auch Antonina Kabanez: „Als diese mir kürzlich ein Bild von dem Jungen in einem Schwimmbad schickten, habe ich meinem Sohn gesagt: ‚Ich glaube, ich habe einen Weltmeister im Schwimmen auf die Welt gebracht.‘“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“