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Leichtathletik bei den ParalympicsDer Goldspringer

Parasportler Markus Rehm springt weiter als jeder deutsche Athlet ohne Handicap. Bei den Olympischen Spielen durfte er trotzdem nicht starten.

Will zu Olympia, wird aber immer wieder ausgeschlossen: Markus Rehm Foto: Annegret Hilse/reuters

BERLIN taz | Ja, wo springt er denn? Klar, in Tokio, bei den Paralympics, um Gold zu gewinnen. Am Mittwoch fand der Wettkampf von einem der wohl bekanntesten Parasportler Deutschlands statt: dem Weitspringer Markus Rehm. Und tatsächlich hat er Gold gewonnen. 8,18 Meter weit ist er gesprungen, fast 80 Zentimeter weiter als der Zweitplatzierte, der Franzose Dimitri Pavade.

Live zu sehen war das in Deutschlands Fernsehen nicht. Das ZDF hatte sich rechtzeitig vor Beginn von Rehms Weitsprungwettbewerb aus der Übertragung der Paralympics verabschiedet. Es ist wahrlich kein Wunder, dass der Mann, der weiter springen kann, als der beste deutsche Weitspringer ohne Beeinträchtigung jemals gesprungen ist, die paralympische Bühne verlassen möchte.

Nichts hätte sich der 33-Jährige sehnlicher gewünscht, als bei den Olympischen Spielen gegen die besten Weitspringer der Welt anzutreten. Da hat der Grieche Miltiadis Tentoglou mit 8,41 Metern gewonnen, einer Weite, die Rehm schon des Öfteren übertroffen hat. Bei 8,62 steht sein Para-Weltrekord und er ist sich sicher, dass es nicht an der Karbonschiene liegt, die im Wettkampf seinen rechten Unterschenkel ersetzt.

Im Parasport kann schon lange keiner mehr mit Rehm mithalten. In Tokio hat er sein drittes paralympisches Gold gewonnen. Dem Weitspringer reicht das nicht. Er möchte den Behindertensport verlassen. Doch World Athletics, der Internationale Leichtathletikverband, will ihn nicht in seine Wettkämpfe integrieren.

Klage vor Sportschiedsgericht abgewiesen

Vor den Spielen in Rio 2016 hat Rehm das noch hingenommen. Fünf Jahre später wollte er sich einklagen. Der Deutsche Leichtathletikverband gab ihm Rückendeckung, die Olympianorm hatte er ja locker geknackt. Und was sollte schon schiefgehen? Schließlich war die Regelung, der zufolge Parasportler den Beweis zu erbringen hatten, dass ihre Prothese ihnen keinen Vorteil verschafft, für nicht sportrechtens erklärt worden.

Tja, das wüsste Rehm sicher auch gerne. Bei den Olympischen Spielen durfte er jedenfalls nicht starten. Seine Klage vor dem Interna­tionalen Sportschiedsgericht CAS wurde abgewiesen. Auf die Begründung wartet Rehm bis dato vergeblich. „Frustrierend“ sei das, hatte der Leichtathlet vor seinem Wettkampf immer wieder gesagt.

Und so springt er weiter seinen Konkurrenten davon. Für ihn ist jeder Wettkampf ein Argument in eigener Sache. In der Weltrangliste ist er etwa einen Meter vor dem zweitbesten Paraspringer seiner Klasse. Er fragt sich und die Sportgerichtsbarkeit, wie das sein kann, wenn es angeblich so federleicht ist, mit der Karbonschiene in die Grube zu segeln.

Zwar gibt es Studien zum Thema, aber die sind alles andere als eindeutig. Im Anlauf, so haben Wissenschaftler erforscht, sei die Schiene eher hinderlich, beim Absprung eher hilfreich. Darüber wird noch viel diskutiert werden. Doch dahinter liegt eine ethische Frage, die sich die Leichtathletikwelt stellen muss: Ist es vertretbar, einen der besten Weitspringer der Gegenwart von Wettkämpfen auszuschließen?

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3 Kommentare

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  • Wie schon in den Fällen Pistorius oder auch Semeya geht es nicht darum, ob ein Sportler mit grundlegend anderen körperlichen (und/oder technischen) Voraussetzungen so gute Leistungen erbringt wie die Besten seiner Wunsch-Leistungsklasse, sondern ob die Voraussetzungen hinreichend vergleichbar sind, dass der Wettkampf unter den Ungleichen fair bliebe. Das ist eben umstritten, und wird hoffentlich irgendwann mal so entschieden werden, dass Alle am jeweiligen Leistungssport Beteiligten damit leben können.

    Was bis dahin NICHT hilft, ist die ständige Konzentration auf den einen Sportler, der doch ach so gerne bei den nicht Behinderten, den Frauen etc. starten würde - und da dann wahrscheinlich dick absahnen könnte. Zum einen ignoriert das die ganzen Sportler, die NICHT die speziellen Eigenschaften der wortreich beklagten Einzelfälle haben und auch gerne ihre faire Chance bekommen wollen. Zum Anderen ist die Schwerpunkt setzung auf die tollen Leistungen auch nicht zielführend: Z. B. Caster Semenya hätte es im Zweifel leichter, als Teilnehmerin von Frauenwettkämpfen akzeptiert zu werden, wenn sie NICHT bei guter Tagesform die restliche weibliche Weltelite so kraftvoll in Grund und Boden rennen würde.

  • Echt schwierig. Man würde so einem hochmotivierten Sportler natürlich gönnen, den Traum von der Olympiateilnahme zu leben. Ich fühle mich auch an den Fall von Caster Semenya erinnert. Wie die Gerichte auch entscheiden: Irgendjemand wird sich immer benachteiligt fühlen.

    Im Idealfall ist ein Wettbewerb fair, wenn sich Menschen mit vergleichbaren Voraussetzungen beteiligen. In der Realität ist das sowieso nie der Fall, weil Menschen nun mal nicht gleich sind. Die Natur diskriminiert, und man kann trotz aller medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritte nur wenig dagegen tun.

    Im Basketball spielen fast nur besonders großgewachsene - ist das nicht auch unfair? Sollte man deswegen nicht Kindern und Jugendlichen erlauben, Wachstumshormone einzunehmen, damit sie Basketballprofi werden können?

    Der Steuermann im Achter ist meistens eine besonders leichte Person - werden da nicht große und schwere Menschen diskriminiert?

    Im Schachsport haben nur Menschen mit hohem IQ eine Chance, Großmeister zu werden. Irgendwie unfair.

  • Die Chancengleichheit, die im modernen Leistungssport eh nicht gegeben ist, ist auch im paralympischen Sport seit langem nicht gegeben.



    Athleten wie Rehm profitieren gegenüber Sportlern aus industriell und technisch weniger weit entwickelten Ländern enorm ... der Wettbewerb ist deshalb dort (wie auch im olympischen Sport) eh eine Farce.

    Bei einer Zulassung Rehms würde dazu die Büchse der Pandora geöffnet.



    Wer bitte will denn kontrollieren, ob Hilfsmittel im Weitsprung (und allen anderen Disziplinen, die dann freigegeben werden müssten) den Nachteil lediglich exakt ausgleichen und nicht zu Vorteilen führen?



    Zur sozialen Chancenungleichheit und der Ungleichheit durch unterschiedlich strenge Dopingpraxis in verschiedenen Ländern, käme dann noch die mögliche Ungleichheit durch "technische" Aufrüstung.

    Bei allem Verständnis für das Recht auf Selbstverwirklichung für einen Sportler mit Handicap - das ist es nicht wert.