Lehrermangel erreicht Hamburg: Ab jetzt wird geflickt

Noch wird die Stundentafel abgedeckt, aber einzelne Stadtteilschulen haben deutlich zu wenig Lehrkräfte. Der Schulsenator setzt auf Einzelmaßnahmen.

Schüler einer Grundschule sitzen in ihrem Klassenraum

Inklusion, Ganztag, Pensionierung – alle Länder müssen mehr Lehrkräfte ausbilden Foto: Marcel Kusch/dpa

HAMBURG taz | Wer Mitte der 1980er in Hamburg ein Lehramtsstudium begann, erinnert vielleicht einen gruseligen Willkommens-Sketch von älteren Kommilitonen. Botschaft: „Ihr braucht gar nicht erst zu studieren. Ihr werdet sowieso später alle arbeitslos.“ Das hat sich nicht für alle bewahrheitet. Viele der Boomer landeten später doch im Schuldienst. Und nun auch noch das: Sie werden – kurz bevor sie in Rente gehen – schon vorsorglich vermisst.

Ein Lehrermangel, so schlimm wie lange nicht, soll Deutschland bevorstehen. Der Bildungsforscher Klaus Klemm sagte jüngst einen Mangel von 81.000 Fachkräften in 2030 voraus, auch weil der Bedarf durch Ganztagsunterricht, Inklusion und Zuwanderung steigt.

Obwohl das wohlhabende Hamburg bislang von einem solchen Mangel verschont blieb, bereitet es sich vor: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) lud am Mittwoch ins Rathaus und stellte gleich 13 „weitere Maßnahmen zur Lehrkräftesicherung“ vor.

Das Thema eingeläutet hatte die Linkspartei mit einer Pressemitteilung samt schmissiger Überschrift: „Lehrkräftemangel jetzt auch in Hamburg“. Darin zu lesen ist die Nachricht, dass stadtweit 268,09 Vollzeitstellen für Lehrkräfte unbesetzt sind, davon mit 157,56 die meisten an Hamburgs Stadtteilschulen, jener Schulform, die alle Kinder aufnimmt. Das Hamburger Abendblatt titelte: „So groß ist der Lehrermangel an Hamburgs Schulen“.

Zur Not Lehrkräfte umverteilen

Nur, was heißt groß? Bei dieser Vorlage lief Rabe wieder mal zu großer Form auf und versuchte, seinem Spitznamen „Graf Zahl“ gerecht zu werden. „Wir reden davon, dass in Hamburg 104,5 Prozent Stellen zugewiesen werden“, sagte er später am Tag. Von diesen seien mit den 268,09 Vollzeitstellen nur 1,74 Prozent nicht besetzt. „Ich finde, man kann immer von Mangel sprechen. Aber man braucht auch noch mal einen Blick auf das, was in Deutschland wirklich als Mangel bezeichnet wird, damit man diese Zahlen richtig ansehen kann.“ Ein Bundesland im Osten sei in der Not schon dabei, Bachelor-Absolventen zu verbeamten.

Es treffe zu, dass das Defizit an den Stadtteilschulen mit umgerechnet 2,61 Prozent größer sei, fuhr Rabe fort. Dort gebe es aber immer noch eine Versorgung von 101,9 Prozent. Der Unterricht sei also gesichert. Das größere Defizit liege an den aktuell hohen Flüchtlingszahlen aus der Ukraine, die sich stärker bei der Stadtteilschule wiederfänden. Hinzu komme, dass die Stadtteilschule bewusst Anspruch auf mehr Lehrkräfte habe, weil es dort mehr Kinder gibt, die von zu Hause „wenig Rückenwind“ hätten. Dort kämen auf 1.000 Schüler rund 100 Pädagogen, während es an den Gymnasien nur etwa 70 seien.

Nun gibt es einzelne Stadtteilschulen, denen gleich zehn, elf oder gar 18 Lehrkräfte fehlen. Hier versprach Rabe, würden die Schulräte versuchen, eine Umleitung von Lehrkräften von anderen Schulen zu organisieren. Das könne man auch anweisen.

Ein krisensicherer Arbeitsplatz

Wunderlich ist nur, dass in Hamburg seit Jahren fast alle Lehramtsstudienfächer extrem hohe NCs haben. Sprich: Ganz viele junge Leute wollen diesen krisensicheren Beruf ergreifen. Hamburg müsse die Zugangsbeschränkungen fürs Lehramt abschaffen, forderte die Linke Stephanie Rose. „Zudem ist es wichtig, der hohen Abbruchquote zu begegnen“, sagte GEW-Landeschef Sven Quiring.

Auch Ties Rabe geht davon aus, dass Hamburg jedes Jahr 900 neue Lehrkräfte braucht, und kündigte an, die Stadt werde die Referendars- und Studienplätze erhöhen. Wegen der Studienbedingungen werde mit der Uni geredet. Außerdem will er mehr Quereinsteiger an die Schulen holen und Pensionäre fragen, ob sie weiter unterrichten.

Die GEW forderte indes, Hamburg brauche eine „antizyklische“ Strategie. Nötig sei jetzt, massiv mehr Stellen zu schaffen, um später für steigende Schülerzahlen gewappnet zu sein. Vielleicht müssen manche von damals im Hörsaal noch mal ran?

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