Lehmann-Rauswurf wegen Rassismus: Es tut sich was

Dass Jens Lehmann seine Ämter wegen Rassismus verliert, zeigt einen positiven Trend. Nur: Teilhabekämpfe mittels Kündigungen bergen auch Gefahren.

Dennis Aogo steht im Trikot des VfB Stuttgart im Stadion

Er hat Lehmanns rassistische Äußerung öffentlich gemacht: Fußballer Dennis Aogo Foto: Robin Rudel/imago

Nachrichten an den falschen Absender führen selten zu einem glimpflichen Ende. Denn im Zweifel enthalten sie die ehrliche Meinung, die man dem Gegenüber gewohnheitsmäßig vorenthält. Der Button „Allen antworten“ hat schon manche Karriere beendet. Die falsch adressierte rassistische Whatsapp-Nachricht, die Ex-Torhüter Jens Lehmann, bis Dienstag noch im Aufsichtsrat von Hertha BSC, an Ex-Fußballer Dennis Aogo geschickt hat, ist dabei aber schon von besonderer Skurrilität und Blödheit. Und als gesellschaftlicher Fall hochinteressant.

Lehmann, am Dienstagabend noch in Amt und Würden, schickte eine Nachricht an Aogo, der heute beim Sender Sky arbeitet: „Ist Dennis eigentlich euer qotenschwarzer?“ (sic), versehen mit lachendem Smiley. Aogo reagierte daraufhin geistesgegenwärtig via Instagram mit den Worten: „WOW dein Ernst? Die Nachricht war wohl nicht an mich gedacht!!!“ Auf dem Screenshot ist zu sehen, dass die beiden zuvor letztmals 2019 kommuniziert hatten.

Am Mittwochmorgen räumte Lehmann ein, dass der Screen­shot echt sei. Dazu postete er einen höchst durchschaubaren Rechtfertigungsversuch – nämlich den Versuch, das Wort „Quotenschwarzer“ auf Fernsehquoten umzudeuten: „Als ehemaliger Nationalspieler ist er sehr fachkundig und hat eine tolle Präsenz und bringt bei Sky Quote.“

Gegenüber der Bild-Zeitung führte Lehmann diese kindische Aussage so aus: „Sie (die Äußerung) war überhaupt nicht so gemeint, sondern positiv. Da er als Sky-Experte fachkundig ist und in seinem Auftreten sehr stark. Und deshalb auch die Quote erhöht. Da die WhatsApp von meinem Handy rausging, übernehme ich die Verantwortung dafür.“

Häufig genutzte Strategie

Lehmann wendet dabei eine Strategie an, die nach rassistischen Äußerungen häufig genutzt wird: Es sei, erstens, alles ganz falsch verstanden worden. Zweitens habe es Rassismus überhaupt nicht gegeben, weil ja etwas ganz anderes gemeint gewesen sei. Drittens lässt er mit dem Satz: „Da die WhatsApp von meinem Handy rausging“, auch noch raunend seine Urheberschaft im Ungefähren.

Unmittelbar darauf kündigte die Tennor-Gruppe von Hertha-Investor Lars Windhorst Lehmanns Beratervertrag und beendete sein Mandat im Aufsichtsrat. Der Verein distanzierte sich „von jeglicher Form des Rassismus“ und begrüßte den Schritt. Es ist der zweite vergleichbare Fall bei Hertha in kurzer Zeit. Erst vor wenigen Wochen war der Torwarttrainer Zsolt Petry wegen diskriminierender Aussagen entlassen worden.

Lehmanns Verhöhnung ist rassistisch und perfide. Hertha hat richtig gehandelt

Beides zeigt zunächst mal eine positive Entwicklung: dass sich auch im Fußball Dinge verändern. FußballerInnen wehren sich mithilfe sozialer Medien viel vehementer gegen Diskriminierung als einst, und ihre Kämpfe haben gesellschaftliche Konsequenzen. Gut lässt sich das an Lehmanns eigener Karriere nachvollziehen, die seit jeher von einer Abwertung zur nächsten schlingert.

2014 etwa konnte Lehmann noch recht ungestört bei Sky homophobe Aussagen verbreiten. „Komisch“ hätte er wohl auf einen schwulen Mit­spieler reagiert, sagte Leh­mann, denn: „Man duscht jeden Tag zusammen.“ Außerdem habe man Hitzlsperger sein Schwulsein im Spiel nicht angesehen. 2021 hätte er womöglich schon deshalb seine Anstellung verloren. Das ist auch das Verdienst von Menschen wie Aogo.

Eine Frage des Einflusses

Zugleich ist Wandel aber auch immer eine Frage des Einflusses jener Gruppe, die betroffen ist. Und der Sprechenden. Als der Gladbacher Trainer Heiko Vogel vor einigen Monaten mit hart sexistischen Aussagen („Frauen haben auf dem Fußballplatz nichts zu suchen“) auffiel, war keine Sekunde eine Entlassung im Gespräch, es ging eben um Frauen. Manche Diskriminierung wird stärker geahndet als andere. Auch als kürzlich zwei Union-Spieler unter Rassismusverdacht gerieten, baute sich schnell eine Mauer des Schweigens auf – sie waren eben Spieler, keine Torwarttrainer.

Angesichts von Lehmanns regelmäßigen Entgleisungen ist es erstaunlich, dass ein Verein wie Hertha, der sich regelmäßig gegen Diskriminierung positioniert, den Mann vor gut einem Jahr überhaupt anheuerte. Der Ausgang war vorhersehbar. Und es bleibt das ungute Gefühl, dass beim Sender Sky jemand sitzt, mit dem Lehmann offenbar unbesorgt rassistische Nachrichten austauscht.

Die Entlassung des Ex-Torhüters ist aber noch auf einer anderen Ebene gesellschaftlich interessant. Im Kampf insbesondere gegen Rassismus hat sich die Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis zu einem zentralen Mittel entwickelt. Oft fordert die erregte Onlinecommunity diese Maximalstrafe – „Rauswurf!“ – ein, oder Unternehmen handeln vorbeugend. Und oft trifft es, wie bei Torwarttrainer Zsolt Petry, die verzichtbaren, schwächeren Angestellten. Bayern-Star Robert Lewandowski, sportlich gesehen unverzichtbar für den FC Bayern, käme nach einer vergleichbaren Aussage gewiss mit einer Geldstrafe davon.

Die Konjunktur der Kündigungen ist gefährlich

Dass ausgerechnet die Kündigung der Arbeitsstelle Konjunktur hat, ist eine gefährliche Entwicklung, bei der Kapitalismus und Antirassismus einander auf oft unkluge Weise die Hand reichen. Sie entrechtet Angestellte weiter, jedes Statement kann die Kündigung bedeuten. Wo aber Arbeit überlebenswichtig ist, muss Entlassung ein höchst sorgsam abzuwägendes Gut sein, keine reflexhafte Forderung. Oft steht sie in keiner Relation zur Aussage.

Viele Faktoren gehören einbezogen: Heftigkeit der Äußerung, Wiederholungstat, Macht des Täters oder der Täterin, kultureller Hintergrund, Persönlichkeit, Einschätzung durch das Umfeld, persönliche Reaktion. Das Interview, das der Angestellte Zsolt Petry gab, war im Kontext der derzeitigen ungarischen Gesellschaft, der er entstammt, leider recht gewöhnlich. Eine Geldstrafe und eine antidiskriminierende Schulung hätten mehr erreicht. Auch, um Menschen nach Möglichkeit mitzunehmen, nicht zu verstoßen.

Anderes gilt für Lehmann: Wiederholungstäter, reich und einflussreich, in einer demokratischen Gesellschaft aufgewachsen, gegenüber seinen Statements uneinsichtig und überheblich. Er hätte sich aus tausend Gründen nie so äußern dürfen, seine Verhöhnung ist rassistisch und perfide. Hertha hat diesmal völlig richtig gehandelt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.