Leerstand in Braunschweig: Teurer Neubau ohne Nutzen
Der millionenteure neue Hauptsitz des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Braunschweig steht seit 2003 leer.
HAMBURG taz | Gräser und Unkraut wuchern in den Fugen der grauen Bodenplatten rund um den modernen Neubau. Schon seit 2013 ist das 16,5 Millionen Euro teure Gebäude in Braunschweig fertig – und steht seitdem leer. Denn obwohl das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Braunschweig dringend eigene Räume benötigt, weil es seit seiner Gründung im Jahr 2002 als Gast in den Räumlichkeiten des Julius-Kühn-Instituts untergebracht ist, bleibt der Neubau wegen eines Technikfehlers unbenutzbar. Erst ein aufmerksamer Anwohner sorgte dafür, dass der Missstand bekannt wurde.
In ihren Anfängen arbeiteten in der Behörde nur 20 Mitarbeiter. Heute sind es bundesweit über 500. Allein 200 davon arbeiten in Braunschweig, aufgeteilt auf zwei Sitze. Als Reaktion auf die schnell steigende Mitarbeiterzahl wurde 2006 der Bau eines modernen Labor-, Verwaltungs- und Archivgebäudes auf dem Gelände des Braunschweiger Thünen-Instituts in Auftrag gegeben.
Ein Hamburger Architekturbüro entwarf die Pläne und der Bund stellte das Geld bereit. Bis zum Richtfest vor fünf Jahren verlief der Bau fehlerfrei, berichtete das BVL. Die damalige Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner (CSU), lobte den „beeindruckenden und modernen Bau,“ der als kostensparend beworben wurde.
Seitdem ist wenig passiert. Das Gebäude sollte Anfang 2013 bezogen werden. Bis heute steht es auf Grund eines IT-Problems leer. Das Bundesamt soll in einem Krisenfall, wie etwa der EHEC-Epidemie im Jahr 2011, als Interventionsbehörde mit einer Task Force „Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit“ eingreifen. „Deshalb musste die Ausfallsicherheit der IT erhöht werden“, sagte der stellvertretende Pressesprecher des BVL Andreas Tief.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) gibt es seit 2002.
Damals spaltete sich das Amt vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin ab.
Die Aufgabe des BVL ist es, Lebensmittel zu testen und eventuelle Risiken, wie etwa Seuchen und Vergiftungen, zu managen, bevor Krisen entstehen.
Der Sitz in Braunschweig ist hauptsächlich für Pflanzenschutzmittelprüfungen zuständig.
Das habe „Änderungen an der Kältetechnik, Stromversorgung sowie der Sicherung der Gebäudehülle“ erfordert, sagte Sebastian Blank von der Oberfinanzdirektion Niedersachsen, die für den Bau zuständig ist.
Einen Plan zur Behebung des IT-Problems gibt es allerdings erst seit Kurzem. Neben der Oberfinanzdirektion Niedersachsen sind noch zwei weitere Stellen für den Neubau zuständig: Auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) sind beteiligt – wer die Federführung hat, bleibt unklar. Die Suche nach einer Lösung habe so lang gedauert, weil „gegenüber den ursprünglichen Planungen heute höhere Anforderungen bestehen,“ sagte Friederike Langenbruch vom BMUB.
Weil das Gelände um den Neubau in den vergangenen Jahren verwilderte, fiel einem Anwohner der Leerstand auf. Der meldete sich beim Bund der Steuerzahler (BdSt). Der Anwohner habe sich über den teuer und luxuriös aussehenden Neubau gewundert, in dem er noch nie jemanden arbeiten gesehen hatte, sagte deren Sprecher Gerhard Lippert.
Die Organisation habe Ende August eine Anfrage an das Ministerium geschickt, um Informationen zum Bau und seinen Kosten zu erhalten. Die Anfrage wurde bisher nicht beantwortet. „Hier werden eindeutig Steuergelder versenkt und es wird unter den Teppich gekehrt. Ohne den Anwohner wäre der Missstand nie an die Öffentlichkeit gekommen“, sagte Lippert.
Das Bundesbauministerium meldet inzwischen, dass das Bundesamt für Verbraucherschutz voraussichtlich im Frühjahr nächsten Jahres in den Neubau einziehen werde, um einen mehrwöchigen Testzyklus zu beginnen. Die Baukosten stiegen um 2,3 Millionen Euro auf 18,8 Millionen Euro. Zusätzlich kämen 7.000 Euro pro Monat für den Schließdienst und Wartungsarbeiten hinzu, erklärte ein Ministeriumssprecher.
Das Bundesamt selbst versichert, dass die Behörde auch ohne den Neubau voll arbeitsfähig sei. „Warum ist dann überhaupt ein neuer Sitz notwendig?“ fragte sich Lippert. Aktuell stehe der großen Investition kein Nutzen gegenüber. „Ich hoffe nur, dass der teure Neubau nicht als Ruine endet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour