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Lee Miller, DHM und die Sprache von 1945Bilder der Erinnerung – Triumph und Inszenierung

Was wir zeigen und was nicht. Lee Miller, Befreiung und die Berliner Schau „Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa“.

Ausstellung „Undzer veg in der frayheyt“, DP-Camp Bergen-Belsen 1945. Sie wurde dort im früheren Festsaal der Wehrmacht gezeigt Foto: © Yad Vashem Photo Collection/DHM Berlin

Die Fotografin Lee Miller dokumentierte die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau durch die US-Armee. Im KZ Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar waren von Juli 1937 bis April 1945 etwa 277.800 Menschen inhaftiert. Etwa 56.000 starben dort.

Miller war für den New Yorker Condé Nast-Verlag als Kriegsberichterstatterin akkreditiert und berichtete für die Modezeitschrift Vogue. Kurz danach fotografierte sie am 30.April 1945 auch die Leichenberge im KZ Dachau. Soldaten der US-Armee hatten Dachau einen Tag zuvor befreit. Sie porträtierte auch einige der Überlebenden.

In der Filmbiografie „Die Fotografin“ verkörpert Kate Winslet die historische Lee Miller. Der Kinospielfilm von 2024 erzählt Millers Geschichte zunächst relativ konventionell. Herausgestellt wird ihre Geschichte als Model und Muse, weniger das Zusammenspiel von Antifaschismus und Surrealismus.

Doch erzählt „Die Fotografin“ auch von der Notwendigkeit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie sie die Deutschen begingen, zu dokumentieren, sowie den Skrupeln, wie man solche Bilder der Welt zumuten kann und sollte.

Kunst nach Auschwitz

Adornos berühmtes Diktum, „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, richtete sich nicht ­gegen ­Poesie. Der Philosoph kritisierte, man solle wegen eines läppischen ­l’art-pour-l’art-Effekts sich nicht provokativ einer Ästhetik des ­Schreckens bedienen.

Besucherinnen und Besucher stehen Schlange vor dem Eingang zu der Ausstellung „The Horror Camps“, London, Mai 1945 Foto: © Daily Express/Hulton Archive/Getty Images; DHM Berlin

­Ähnlich sahen es die ­Betroffenen der Nazi-Gewalt selber. Wie die am ­Wochenende eröffnende Schau „Gewalt ausstellen“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin verdeutlicht, gingen Überlebende der Konzentrationslager, der Schoa, der nationalen Widerstandsarmeen und der Alliierten Befreier 1945 ­sofort ­daran, ­Ausstellungen zur NS-Besatzung zu ­organisieren.

Unmittelbar um 1945 dienten sie der Selbstvergewisserung und des Beweises, um so auf eine ­Zukunft ohne ­Naziterror blicken zu können. (Besprechung der Ausstellung folgt)

Verständnis und Inszenierung

Erste Schauen wie „The Horror Camps“ in London oder „Warschau klagt an“ in Polen besuchten 1945 Hunderttausende. DHM-Direktor Raphael Gross und Kuratorin Agata Pietrasik beschreiben diese als Ausgangspunkt eines frühen gemeinsamen europäischen Verständnisses. Eines, das damals in Teilen auch die Sowjets mittrugen.

Und Lee Miller? Als gute Avantgardistin suchte sie die Obszönität der gerade noch erlebten Dachauer Mordmaschinerie ästhetisch für den Moment zu überwinden. Sie legte sich in Hitlers Badewanne in der Münchner Prinzregentenstraße und ließ sich dabei fotografieren. Ein inszenierter Triumph für die Ewigkeit.

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