Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW: Sahras Knechte
Wer im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Mitglied werden will, muss warten. Interne Dokumente zeigen: Die Partei hält sich gezielt Unterstützer zweiter Klasse.
Eigentlich müsste es für alle Parteien das Ziel sein, mehr Mitglieder zu gewinnen. Sie bringen frischen Elan, eine breitere Basis, zusätzliche Beiträge und helfende Hände für den Wahlkampf. Dieser Tage freut sich etwa die Partei Die Linke über einen rasanten Zuwachs und begrüßte tausende neue Mitglieder allein in der letzten Woche.
Anders das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). „Wir wollen langsam und kontrolliert wachsen, um das Projekt nicht zu gefährden“, heißt es schon in dem Formular, das Anwärter*innen für eine Parteimitgliedschaft ausfüllen müssen. Dass die Bearbeitung der Mitgliedsanträge aufgrund der „noch sehr geringen Parteiressourcen einige Zeit in Anspruch nehmen“ könne, ist dort ebenfalls zu lesen. Wer die Partei sofort unterstützen möchte, könne „Unterstützer“ werden. Ein kleines Kästchen zum Ankreuzen ist dafür bereits auf dem Mitgliedsantrag vorgesehen.
Manche sollen seit der Parteigründung auf die Bewilligung ihrer Mitgliedschaft warten, also seit über einem Jahr. Die lange Wartezeit und ausgiebige Überprüfungen der potenziellen Neu-Mitglieder, teilweise mit mehrfachen persönlichen Interviews, hatten für viel Frust und mediale Kritik gesorgt. „Warum können Leute, die sich seit Monaten engagieren und die man jede Woche trifft und kennt, nicht stimmberechtigte Mitglieder werden?“, fragen auch parteiinterne Kritiker*innen gegenüber der taz. Vermehrt kehren Unterstützende und Mitglieder der Partei den Rücken. Erst im Januar hatte die Partei daher einen Kurswechsel angekündigt und versprochen, mehr neue Mitglieder aufzunehmen.
Doch Recherchen der taz zeigen nun: Die lange Wartezeit für neue Parteimitglieder war und ist nicht nur eine Frage von Ressourcen. Der taz liegen dazu interne Dokumente und Ton-Mitschnitte interner Treffen des BSW vor. Sie belegen eine gezielte Strategie hinter der Restriktion für Neu-Mitgliedschaften. Das BSW baut demnach auf eine doppelte Struktur, mit wenigen ausgewählten Parteimitgliedern und einer großen Gruppe an Unterstützer*innen.
Anders gesagt: Das BSW ist eine Zwei-Klassen-Organisation aus Partei-Elite und nützlichen Gehilfen. Eine Kader-Partei. Die Jura-Professorin Sophie Schönberger, Expertin für Parteienrecht, hält diese Praxis für rechtswidrig.
Ein Sprecher des BSW erklärte auf Anfragen der taz: „Wir weisen diesen Vorwurf entschieden zurück. Unsere Gremien arbeiten demokratisch und transparent.“
Heimliche Aufnahmen und interne Dokumente zeigen Zwei-Klassen-Struktur
In der Praxis des BSW haben Parteimitglieder Stimmrechte und Chancen auf Ämter und Mandate. Für Unterstützer*innen hingegen soll eine eigenen „Unterstützerorganisation“ aufgebaut werden. Sie dürfen zu Veranstaltungen einladen und für die Parteiinhalte werben, im Wahlkampf helfen oder sogar bei Wahlen als Kandidat*innen jene Plätze füllen, die wenig Aussicht auf Erfolg versprechen. Für die Partei schuften – ja. Aber offiziell mitentscheiden? Nein.
Das geht unter anderem aus einem heimlichen Ton-Mitschnitt eines internen Treffens von Parteikadern aus Niedersachsen hervor, der im Sommer 2024 entstand und der taz zugespielt wurde. Anwesend war bei der Gelegenheit unter anderem Holger Onken, mittlerweile Co-Landesvorsitzender des BSW in Niedersachsen. Onken ist der Ehemann der BSW-Bundesvorsitzenden Amira Mohamed Ali. Es sei wichtig für ihn, „dass die Unterstützer natürlich respektvoll behandelt werden“, erklärt Onken bei dem Treffen in kleinem Kreis. Diese seien „im Grunde genommen wie Mitglieder, nur ohne Stimmrecht.“
Die taz hat mit mehreren aktiven und ehemaligen Parteimitgliedern und Unterstützer*innen gesprochen. Viele sind frustriert, vermissen innerparteiliche Mitbestimmung, sprechen von einem autoritären Führungsstil der Clique um Sahra Wagenknecht, von „Vetternwirtschaft“ und einer „Partei-Diktatur“.
Einer der Kritiker ist Norbert Weber. Er war Gründungsmitglied des BSW im Januar 2024. Mittlerweile kritisiert er die Parteistrukturen als „autokratisch“. Nach einem Streit um eine vermeintlich eigenmächtige Gründung eines BSW-Landesverbands in Hamburg fiel Weber in Ungnade, es läuft ein Parteiausschlussverfahren.
Für die meisten Unterstützer*innen sieht Weber kaum eine Chance, Parteimitglied zu werden. Das regt ihn auf. „Wir haben in Hamburg Unterstützer, die seit dem ersten Parteitag vertröstet werden“, erzählt er. Den Antragssteller*innen sei gesagt worden, dass sie fünf, sechs Wochen warten und verstehen müssten, dass alle Anträge geprüft würden, da man keine AfDler und Linksextremisten haben wolle. „Die haben den Mitgliedsantrag ausgefüllt, haben eine Einzugsermächtigung für Spenden gegeben und das war's dann. Seitdem werden sie seit über einem Jahr hingehalten“, sagt er.
Unterstützende dürfen spenden – aber nicht mitbestimmen
Als den Antragsteller*innen in Aussicht gestellt worden sei, dass sie Vollmitglied werden dürfen, hätten sie eine Einzugsermächtigung für 100 Euro und mehr jeden Monat gegeben. „Sie dürfen zahlen und das war's dann“, sagt Weber. Und wer viel spende, für den gehe es dann auf einmal ganz schnell mit der Mitgliedschaft. „Die Partei braucht ein Fußvolk, um Plakate aufzuhängen und Stellschilder aufzubauen. Dafür sollen sie gut sein, aber nicht, um mitzubestimmen.“
In einem „Leitfaden für Unterstützerkreise für das BSW in Niedersachsen“ werden die zwei Klassen des BSW deutlich. Der Leitfaden wurde im November 2024 per E-Mail unter anderem von Onken und dem Landesvorstand verschickt und liegt der taz vor. „Die Unterstützerkreise sind keine offiziellen Parteigliederungen und nicht befugt, im Namen des Landesverbands oder der Partei zu sprechen“, heißt es darin im vierten von insgesamt neun Punkten. „Sie organisieren sich eigenständig, um die politischen Ziele des BSW Niedersachsen zu unterstützen“, heißt es weiter.
So richtig eigenständig sollen die Unterstützer*innen dann aber doch wiederum nicht sein. „Alle Presse- und Außenkommunikation muss zwingend mit der Landesgeschäftsführung abgestimmt werden“, so schreibt es der BSW-Landesvorstand in einem weiteren Punkt des Leitfadens. Und auch wenn Veranstaltungen organisiert werden, gilt: „Bei der Auswahl von Referenten und Themen ist darauf zu achten, dass diese im Sinne des BSW sind.“ Gleichwohl: „Bei jeglicher Kommunikation zu solchen Veranstaltungen ist darauf zu achten, dass nicht der Eindruck erweckt wird, es würde sich um Parteiveranstaltungen handeln.“
Was wie ein unentschiedenes Rumgeeier wirkt, ist strategisch genau so gewollt. Warum Unterstützer*innen nach außen nicht als BSW auftreten sollten, erklärt Onken bei einer Sitzung im engeren Kreis von Parteikadern: „Sonst können wir darauf warten, bis die erste Unterstützergruppe, die sich als BSW ausgibt, dann den ersten Holocaustleugner einlädt“, sagt Onken und schiebt hinterher: „Das wird zwingend passieren. Wenn das nur eine Unterstützergruppe ist, kann man immer noch sagen 'Nee, das ist nicht in unserer Verantwortung gewesen.’“ Das sei laut Onken der Hintergrund dieses Vorgehens.
Wagenknecht-Zirkel will seine Macht erhalten
Was in dem Gespräch auch deutlich wird: Offenbar geht es dem BSW nicht nur um die inhaltliche Linie der Partei, sondern auch um den Machterhalt der auserwählten Mitglieder. Onken referiert mehrere Beispiele, in denen Anwärter*innen zu große Ambitionen gezeigt hätten. Da sei etwa ein Professor gewesen, mit dem er sich in vielen Dingen einig gewesen sei, bis der Mann erklärt habe, er wolle in den Bundestag, um sich für das bedingungslose Grundeinkommen einzusetzen. Für Onken ein sofortiger Grund, den Eintritt abzulehnen. „Das ist natürlich ein inhaltliches, aber auch ein Problem in der Vorgehensweise, dass man praktisch mit dem Eintritt den Anspruch erwirbt, in den Bundestag zu kommen“, erklärt Onken.
Gleichzeitig diskutierte die Runde, dass vor allem für Wahlen genug Leute zusammenkommen müssten, um überhaupt alle Wahlkreise abzudecken. Statt Parteimitgliedern könnten als Nachrücker auch Unterstützer*innen aufgestellt werden, so eine der Ideen. Sozusagen: als Lückenfüller.
Holger Onken, Co-Vorsitzender des BSW in Niedersachsen, auf einem internem Treffen
Dass dieses restriktive Mitglieder-Management kritikwürdig sein könnte, weiß auch Onken und erklärt in kleinem Kreis ganz offen: „Wenn man ein demokratietheoretisches Ideal der Basisdemokratie hat, was eigentlich vernünftig und wünschenswert ist, dann ist das eine Katastrophe, was wir hier machen. Aber es ist politisch absolut notwendig, wenn man sich anguckt, in welchem Zustand Deutschland ist und was hier so gewählt wird.“
Auf Anfrage der taz erklärte ein Sprecher des BSW: Aussagen aus einem „widerrechtlich angefertigten und illegal in Umlauf gebrachten angeblichen Audio-Mitschnitt aus dem Jahr 2024“ könne man weder bestätigen noch auf dessen Korrektheit überprüfen. Der Mitschnitt liege dem BSW nicht vor. „Dieses Vorgehen, ausgerechnet zwei Tage vor der Bundestagswahl, wirft nicht nur Fragen auf, sondern zeigt, dass offenbar eine weitere Schmutzkampagne gegen das BSW beabsichtigt ist.“
„Wir setzen beim Mitgliederwachstum auf Qualität statt auf Geschwindigkeit“, erkärte der BSW-Sprecher. Die Parteienlandschaft der letzten Jahre sei voller Beispiele, in denen das Ignorieren dieses Prinzips zu einer Unterwanderung der jeweiligen Parteien und deren Radikalisierung geführt hat. Für das langsame Wachstum habe man sich daher bewusst entschieden.
Als Unterstützer könne sich jeder registrieren. Hier erfolge keine Prüfung seitens der Partei. Eine Mitgliedschaft bedeute, dass sich eine Person mit den programmatischen Zielen einer Partei identifiziere, sich zu den demokratischen und grundgesetzlichen Prinzipien in Deutschland bekenne und diese unterstütze. „Darum prüfen wir die Mitglieder vor der Aufnahme. Das setzt selbstverständlich auch voraus, die Ambitionen der Einzelnen zu verstehen“, so der BSW-Sprecher. „Wir wollen eine ehrliche, verantwortungsvolle und lösungsorientierte Politik im Sinne der Wähler und Wählerinnen gestalten und das entspricht nicht dem Anspruch von Einzelnen, die das BSW nur als persönliches Sprungbrett für den Bundestag nutzen wollen, um ihre machtpolitischen Ambitionen zu verwirklichen.“
„Hunderte“ neue Mitglieder, Tausende in Wartestellung
Nachdem in den letzten Monaten die Kritik von wartenden Partei-Anwärter*innen lauter wurde, reagierte das BSW im Januar. Auf dem Bundesparteitag in Bonn erklärte Generalsekretär Christian Leye: „Wir werden im Laufe dieses Jahres deutlich anwachsen.“ Man erwarte „viele Hunderte von neuen Mitgliedern“.
Die Aussage klingt vielversprechend. Wer aber nachrechnet, dem können Zweifel kommen: Allein in Niedersachsen umfasst die Liste an registrierten Unterstützer*innen laut BSW-Angaben rund 3.000 Einträge – Leute, die wegen des strengen Aufnahmeregimes bisher nicht Parteimitglied werden durften. Viel kleiner dürfte deren bundesweite Anzahl wohl nicht werden, wenn nun laut BSW bis Ende des Jahres bundesweit nur „Hunderte“ neue Mitglieder aufgenommen würden.
Sophie Schönberger, Jura-Professorin, Uni Düsseldorf
Sophie Schönberger bezweifelt generell die Rechtmäßigkeit der Aufnahmepraxis des BSW. Schönberger ist Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Düsseldorf und Co-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRUF). Ihr Urteil über die zögerliche Aufnahme von Neu-Mitgliedern durch das BSW ist eindeutig: „Das ist in dieser Form unzulässig“, sagt die Juristin der taz.
Parteien dürften sich zwar ihre Mitglieder frei aussuchen und müssten die Ablehnung eines Aufnahmeantrages auch nicht begründen. Sie könnten aber nicht unabhängig von der persönlichen Prüfung und unabhängig vom Individuum pauschal Mitgliedsanträge liegen lassen. Das sei beim BSW aber der Fall. „Damit haben sie faktisch einen Aufnahmestopp und das ist genau das, was das Parteiengesetz verbietet.“ Dabei gehe es auch um die innerparteiliche Demokratie und Mitbestimmung. „Die verfassungsrechtliche Funktion der Parteien ist es, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken und das ist in der liberalen Demokratie ein offener Prozess.“
Als Partei eine Unterstützergruppe zu haben, sei auch bei anderen Parteien üblich und an sich nicht problematisch, „solange die Partei offen dafür ist, dass die Unterstützer auch eintreten können. Das ist beim BSW aber offenkundig nicht gewünscht“, sagt Schönberger. Sahra Wagenknecht orientiere sich an Sammlungsbewegungen anderer Länder, etwa in Frankreich. „Das hat mit unseren deutschen Vorstellungen im Parteienrecht jedoch wenig zu tun.“ Beim BSW konzentriere sich die Macht auf wenige Menschen an der Spitze. Für Schönberger ist das „eine Kader-Partei nach dem Typ DDR.“
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