Lars Ricken über sein Karriereende: "Es wird zur Qual"
Lars Ricken spielt nicht mehr Fußball. Der Dortmunder über Talent, den Fluch des Erfolgs und das Revierderby. Sein Tipp: "1:0" für den BVB.
taz: Herr Ricken, nach 15 Jahren Profifußball haben Sie Ihr Karriereende verkündet. Warum?
Lars Ricken: Wenn man hinsichtlich des Fitnesszustands den eigenen Ansprüchen nicht mehr genügt und sich morgens beim Aufstehen fragt, wie kriege ich die nächste Trainingseinheit rum, dann wird es zur Qual. Ich habe 15 Jahre auf hohem Niveau gespielt, doch jetzt reicht es nicht mehr für den Leistungsport.
Sie gelten bis heute wahlweise als Riesentalent, ewiges Talent, Phlegmatiker oder großer Unvollendeter. Nerven Sie diese Zuschreibungen?
Phlegmatiker höre ich zum ersten Mal. Diese Bandbreite der Meinungen über mich zeigt, dass ich Fans und Journalisten nicht ganz egal gewesen bin. Vielleicht muss man da auch ein wenig dankbar sein, dass man nicht nur als Mitläufer gesehen wurde.
… und die Reduzierung Ihrer Erfolge auf das legendäre Tor im Champions-League-Finale 1997 gegen Juventus Turin?
Es ist nun mal so, dass dieses Tor mein wichtigstes war und ich damit verbunden werde. Es gibt Schlimmeres. Zu Beginn meiner Karriere hatte ich den Ansporn, etwas zu leisten, das über meine Karriere hinaus Bestand hat. Das ist mir mit den Titeln und mit dem Tor wohl gelungen.
Wie gut war der Fußballer Lars Ricken wirklich?
Ich hatte sicher nicht die außergewöhnlichen Talente eines Andi Möller mit seiner Schnelligkeit oder Karl-Heinz Riedles Kopfballstärke. Aber natürlich hatte auch ich meine Qualitäten. Ich war sehr zielorientiert, hatte eine gewisse Siegermentalität. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass ich in wichtigen Spielen eine besondere Bedeutung hatte.
Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken: Sind Sie zufrieden, wie es gelaufen ist?
Ich kann damit, wie es gelaufen ist, sehr gut leben. Es gibt bei Borussia Dortmund niemanden, der mit diesem Verein so viele Titel gewonnen hat wie ich. Ich will nicht sagen, dass ich immer alles richtig gemacht habe. Aber zumindest scheint nicht alles falsch gewesen zu sein.
Als der BVB 2005 kurz vor der Insolvenz stand, haben Sie auf Teile Ihres Gehaltes verzichtet. Unter Thomas Doll wurden Sie dann in die Amateur-Elf abgeschoben. Trotzdem sind Sie dem Verein treu geblieben. Was bedeutet Ihnen der Klub?
Letztlich habe ich diesem Verein alles zu verdanken, was ich sportlich erreicht habe. Ich glaube aber, dass ich das in etwa gleichwertig zurückgezahlt habe. Nach der Doll-Geschichte hatte ich nicht die interessanten Angebote. Ich hätte auch nie als Mitläufer irgendwo hingehen können, sondern über 34 Spiele vorneweg gehen müssen. Ich war skeptisch, ob ich das körperlich schaffe.
Warum ist diese Loyalität mit einem Verein heutzutage so außergewöhnlich?
Wenn wir keine Spieler mehr hätten, die den Verein wechseln wollen, dann gäbe es keine Transfererlöse mehr. Fußball ist zu einem Wirtschaftszweig geworden, weshalb relativ kurzfristig auf Erfolge geguckt wird. Wenn man aber den Nachwuchs stärker fördert, auf junge Spieler setzt, so wie es in Dortmund der Fall ist, dann werden wir wieder mehr Spieler sehen, die in einem Verein groß werden und dort auch lange bleiben.
Als Jungprofi waren Sie der Hoffnungsträger der Generation Rumpelfuß. Würde das Talent Lars Ricken heute ebenso mit Erwartungen überfrachtet wie Mitte der 90er Jahre?
Hätte ich damals nicht so erfolgreich gespielt, wäre die Erwartungshaltung vielleicht nicht so hoch gewesen - der Fluch meiner frühen Erfolge. Ich hatte das Glück, dass ich Mitte der 90er-Jahre in einer Wahnsinnsmannschaft gespielt habe. Wenn es dann mal nicht so gut lief, war ich natürlich nicht der erste Ansprechpartner, sondern all die Sammers und Reuters. Ganz anders ein Lukas Podolski, der in Köln schon mit 18 Jahren vor die Kameras gezerrt wurde. Er hat es in dieser Hinsicht sicher etwas schwerer gehabt als ich.
Was würden Sie Talenten wie Marco Marin, Toni Kroos oder auch dem Dortmunder Nuri Sahin für Ihre Karriere raten?
Ich will nicht aus der Ferne irgendeine Floskel raushauen und Tipps geben. Bei Nuri Sahin bekomme ich mit, dass er vernünftig ist und reflektiert. Ich habe das Gefühl, dass die Jungs nicht nur sportlich gut ausgebildet, sondern auch mental auf die Bundesliga vorbereitet sind.
Am Freitag ist Derbytag: Dortmund spielt auf Schalke. Aufgeregt?
Ich freue mich auf das Spiel, freue mich es im Fernsehen zu schauen. Es ist aber nicht so, dass ich die letzten Nächte nicht mehr schlafen konnte.
Wie hoch gewinnt der BVB?
Das wird ein klarer 1:0-Sieg.
Apropos prestigeträchtiges Spiel: Werden Sie sich mit einem Abschiedsspiel verabschieden? Wie wäre es mit einer Neuauflage des Klassikers gegen Juventus Turin?
Ich habe schon einige Abschiedsspiele gemacht und mich auf dem Platz immer ein bisschen unwohl gefühlt. Ich wusste nie, ob das eine Juxveranstaltung ist oder nicht. Ich brauche das auch nicht, um mich selbst zu beweihräuchern. Deshalb wird es das nicht geben.
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