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Langjähriger Landeschef verlässt FDPHolger Zastrow will nicht mehr

Wegen der Bundespolitik seiner Partei verlässt Holger Zastrow die FDP. An den Liberalen in der Regierung übt der langjährige Politiker scharfe Kritik.

Holger Zastow tritt aus der FDP aus Foto: Robert Michael/dpa

Dresden/Berlin afp/taz | Der langjährige Partei- und Fraktionschef der FDP in Sachsen, Holger Zastrow, ist aus der Partei ausgetreten. „Ich habe heute nach 30 Jahren die FDP verlassen“, schrieb Zastrow am Dienstag bei X, vormals Twitter. Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen und „hochemotional“. „Aber es geht nicht mehr“, erklärte Zastrow. Er begründete seinen Schritt mit der politischen Ausrichtung der FDP und ihrer Rolle in der Bundesregierung.

Der 55-Jährige war 20 Jahre lang, von 1999 bis 2019, FDP-Landeschef in Sachsen und von 2004 bis 2014 auch Fraktionsvorsitzender im Landtag. 2011 bis 2013 war er auch stellvertretender Bundesvorsitzender.

Zastrow sagte der Bild-Zeitung, er habe er sich von der FDP „entfremdet“. „Es tut mir in der Seele weh, aber es geht nicht mehr. Ich ertrage die Berliner Politik nicht mehr.“ Dabei nahm er vor allem Anstoß an der gemeinsamen Politik mit den Grünen, die er als „No Go“ bezeichnete. „Eine Wahlniederlage nach der anderen, eine uns einst zugewandte Klientel nach der anderen wendet sich ab, aber man macht weiter – bis zum bitteren Ende“, so der 55-Jährige.

Aus der FDP hieß es, man bedauere die Entscheidung Zastrows. Die Partei verwies aber auch auf eine Distanzierung, die sich in den vergangenen Jahren vollzogen habe. „Holger Zastrow hat sich große Verdienste um die FDP und den Freistaat Sachsen erworben. Wir bedauern, dass ein seit seinem Ausscheiden als Landesvorsitzender über viele Jahre währender Prozess der Entfremdung heute einen Schlusspunkt gefunden hat“, erklärte eine Partei-Sprecherin gegenüber der taz.

2014 und 2019 trat Zastrow als Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl im Freistaat an, in beiden Fällen verpasste die FDP den Wiedereinzug ins Parlament. Nach der Niederlage 2019 zog sich Zastrow aus den Parteiämtern zurück.

Harte Kritik an der Bundesregierung

Der Chef einer Werbeagentur legte stets Wert darauf, kein reiner Berufspolitiker zu sein. So ging er auch nicht als Minister in das bis 2014 in Sachsen regierende Kabinett aus CDU und FDP. Seine Entscheidung zum Parteiaustritt habe wenig mit der Situation in Dresden und Sachsen zu tun, auch „wenn ich den Kurs der Landespartei kritisch sehe“, schrieb Zastrow nun bei X. Die Partei habe sich insgesamt aber „nicht zum Guten“ verändert.

Seine Vorstellungen von liberaler Politik seien andere als die von Bundes-FDP und Bundestagsfraktion. Inhaltlich stand Zastrows FDP zu Zeiten seiner sächsischen Parteiführerschaft für einen straff wirtschaftsliberalen Kurs. „Als Ossis wissen wir aus Erfahrung, wohin Planwirtschaft, naive Staatsromantik und Wohlfühlsozialismus führen“, hatte er mal seine Haltung begründet. Linkstendenzen in seiner Partei und die Energiewende galten ihm daher als Teufelszeug.

Die FDP sei Teil der „vermutlich schlechtesten Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik“, die Ampel stehe nicht für liberale Werte, kritisierte Zastrow nun. Dass die FDP sich auf diese Regierung eingelassen habe, sei „ein historischer Fehler“ und werde sich bei den bevorstehenden Wahlen niederschlagen.

Die Rede des FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner bei der Bauerndemonstration am Montag in Berlin sei für ihn „der letzte Tropfen“ gewesen. Dies habe gezeigt, wie weit die FDP inzwischen von der „Lebenswirklichkeit unserer Klientel“ entfernt sei.

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6 Kommentare

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  • Also ich wäre auch verärgert darüber, was Wissing, Ian und Co da so anstellen, allerdings wohl aus einer anderen Perspektive mit einer anderen Kritik als Holger Zastrow. Seine Worte hören sich aber nicht danach an, dass er sich zukünftig seriöser Politik zuwendet. Ach, die Spaßparteiler*innen haben's nich' leicht.

  • Holger Zastrow: "Ich ertrage die Berliner Politik nicht mehr.“ Dabei nahm er vor allem Anstoß an der gemeinsamen Politik mit den Grünen, die er als „No Go“ bezeichnete"

    Wie es ausschaut ist Zastrow ein Neoliberaler 'durch und durch', dem sogar die Lindner'sche Politik nicht neoliberal genug ist.

    taz: "Linkstendenzen in seiner Partei und die Energiewende galten ihm daher als Teufelszeug."

    Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz ist wohl nichts für diesen Herrn. Nun ja, er wird sicherlich eine neue politische Heimat finden, denn für seine politischen Vorstellungen gibt es ja in Deutschland seit einiger Zeit eine "Alternative".

  • Es sollte nicht unerwähnt bleiben, wer (aus meiner Sicht) selbst zur Entfremdung beigetragen hat. Der Mann versucht in der Dresdner Kommunalpolitik regelmäßig, Mobilitätspolitik der 1960er Jahre durchzusetzen; 2019 entstand durch die u. a. von ihm betriebene zeitweilige Verhinderung eines projektierten und bereits beauftragten Radweges ein Schaden von vermutlich ca. 70000 EUR für die Stadt, das alles wegen laut Gutachten einer einzelnen Sekunde längerer Fahrtzeit für PKW; der Radweg wurde (als bei der nächsten Stadtratswahl die Mehrheit wieder wechselte) doch gebaut und wie zu erwarten gab es keine neue Beeinträchtigung für den Autoverkehr. Mindestens bei der Aktion hat sich Herr Z. ganz gewiss nicht mit Ruhm bekleckert, jedoch ist mir bis dato keine öffentliche Entschuldigung bekannt.

    • @LeFix_Cycles:

      Zitat aus einem Artikel der Sächsischen Zeitung vom 21.11.2023 bzgl. eines Streitgesprächs mit Herrn Zastrow und Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn:



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      Aus Sicht von Holger Zastrow muss Dresden vor allem aus Sicht des Autofahrers gedacht werden. "Wir dürfen Dresden nicht nur zwischen der Neustadt und der Uni betrachten. Wir haben einen großen ländlichen Raum. Für viele bleibt das Auto erste Wahl." Vielen Umfragen, die das anders sehen, steht Zastrow kritisch gegenüber, vermutet dahinter die Radfahr-Lobby. "Glückwunsch an den ADFC. Ich wünsche mir manchmal, dass die Autofahrer sich wehren, dass sie auch organisiert sind."



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      Da kann ich nur den Kopf schütteln...

  • Als sei der Kommunismus das einzige Trauma des Ostens. Nach der DDR kam der Raubzug der liberalisierten Märkte. Soviel zum Freiheitsbegriff des FDP.

  • „Als Ossis wissen wir aus Erfahrung, ..." - Als Bewohner der östlichen Bundesländer habe ich im Vergleich zu DDR-Zeiten in den letzten 3 Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, dass ein straff wirtschaftsliberaler Kurs auch nur zu jeder Menge Unzufriedenheit der Menschen führt. Kompromissfähigkeit vermisse ich bei ihm. Deswegen gab's wohl auch das Wahldesaster 2014 und 2019.