Landwirtin über smarte Technik: „Ein Chip zum Türöffnen“
Juliane von der Ohe ist Landwirtin, in der CDU und lebt in einem 28-Seelen-Dorf in Niedersachsen. Die Haustür öffnet sie mit Mikrochips unter der Haut.
taz: Frau von der Ohe, sind Sie ein Cyborg?
Juliane von der Ohe: Vielleicht. Ich hatte das auf meinem Twitter-Account so geschrieben, um die Leute zu triggern. Aber ob ich wirklich einer bin, keine Ahnung.
Würden Sie gern eine Art Maschinenmensch werden?
Auf eine gewisse Art und Weise werden wir auf kurz oder lang alle zu Cyborgs. Wir tragen ja jetzt schon viele Ersatzteile mit uns rum. Ob das Herzschrittmacher sind, Zahnimplantate, künstliche Gelenke oder Insulinpumpen.
Sie haben sich Chip-Implantate unter die Haut setzen lassen. Wieso?
Ich bin ein extrem schusseliger Mensch. Ich habe schon so oft meinen Haustürschlüssel verlegt. Oder was auch oft passiert: Da wir auf zwei Betrieben arbeiten, bleibt der Schlüssel immer mal irgendwo liegen und ich stehe dann vor der Haustür und komm nicht rein. Und als ich dann das Inserat gelesen habe, dachte ich mir: So was brauche ich auch!
Der Mensch
Juliane von der Ohe ist 62 Jahre alt, Landwirtin und CDU-Mitglied. Sie betreibt zusammen mit einer Kollegin eine landwirtschaftliche GbR mit Ackerbau und Schweinemast in Haarstorf bei Uelzen. Die Bezirksvorsitzende der Mittelstandsunion hat dafür gesorgt, dass ihr 28-Einwohner-Dorf ans Glasfasernetz angebunden wird. Dass sie manche wegen ihrer Mikrochipimplantate für durchgeknallt halten, stört die studierte Agrarwirtin nicht. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und ein Enkelkind.
Die Technik
Die Mikrochipimplantate, wie sie auch Juliane von der Ohe hat, nutzen die RFID-Technologie, eine Identifizierung mittels elektromagnetischer Wellen. Diese Technik gibt es seit den 70er Jahren und wird unter anderem bei Chips für Haustiere und Etiketten im Einzelhandel verwendet. Ausgelesen werden können die Chips mittels der sogenannten Near Field Communication, kurz NFC, per Datenaustausch zwischen zwei Geräten mit einer Distanz von etwa 4 Zentimetern. Da sie keine eigene Energiequelle haben, lassen sich die RFID-Chips nicht orten.
Welches Inserat?
Beim Zahnarzt habe ich in einer Zeitschrift die Werbung von einer Berliner Bank gesehen. Die hatten als Top-up zu einem Bausparvertrag ein Türschloss mit einem entsprechenden Transponder zum Öffnen als Implantat in der Hand angeboten. Ich habe mich daraufhin mit dem Thema Bodyhacking und Chipimplantaten auseinandergesetzt. Und auf der Suche nach einem seriösen Ansprechpartner bin ich dann auf einen Hamburger Bodyhacker gestoßen. Mit dem habe ich einen Termin vereinbart und mir meinen ersten Chip implantieren lassen.
Wann war das?
Das war 2019. Mittlerweile habe ich insgesamt drei Implantate.
Und was können die?
Mit dem Implantat in der linken Hand zwischen Daumen und Zeigefinger kann ich meine Haustür öffnen. Und da ist auch meine Visitenkarte drauf, die könnten Sie mit Ihrem Handy lesen. Mit diesem Chip entsperre ich auch meinen Computer, meinen Passwortmanager und mein Entschlüsselungsprogramm, der ist also sehr wichtig. Ich halte meine Hand einfach an ein Lesegerät, was an meinen Computer angeschlossen ist, und fertig. Ich finde das wunderbar. Und hier in der rechten Hand, der ist eigentlich nur so just for fun, den benutze ich nur relativ wenig. Der funktioniert ähnlich wie Zeiterfassungssysteme oder eine Hotelkarte.
Wie groß sind die Implantate?
Stadtmenschen sage ich: Reiskorngröße, aber genauer ist Haferkorngröße. Das verstehen aber nur die Landmenschen.
Wie viel passt da drauf?
Nicht viel. Fotos können Sie da nicht draufladen. Höchstens eins. Aber ich kann den Chip jederzeit per App neu bespielen. Ich habe einen Link zu meiner Homepage und meiner Visitenkarte draufgespielt. Damit gewinne ich dann unendlich viel Platz.
Und wie wird ein solcher Chip implantiert?
Der wird mit einer Kanüle direkt unter die Haut gegeben. So wie bei Hunden und Katzen. Die Stelle zwischen Daumen und Zeigefinger eignet sich gut, da dort nichts ist und der Chip auch gegen Stöße gut geschützt sitzt. Vom Schmerz her: wie ein Wespenstich. Ich habe manchmal blaue Flecken bekommen, aber nichts Dramatisches. Der dritte Chip ist etwas anders.
Was genau ist anders?
Das Implantat sitzt hier im rechten Unterarm, das ist ein bisschen größer, etwa zwei mal drei Zentimeter. Es ist eine Art Minikreditkarte, mit der ich bezahlen kann. Das ist ein neuer, der geht ab wie Schmitz Katze. Den alten musste ich auswechseln lassen, da war etwas draufgefallen, und der funktionierte nicht mehr.
Wo lassen Sie das machen? Beim Arzt?
Nein, Ärzte haben wichtigere Dinge zu tun. Die zwei Chips in der Hand hat mir der Bodyhacker gesetzt. Den Bezahlchip hat mir eine professionelle Bodymoderin gemacht. Das war aufwendiger, das musste aufgeschnitten werden.
Ohne Betäubung?
Da kommen ja etliche Kältesprays drauf. Es zwickt schon, aber eine Bäuerin juckt das nicht. Der alte Chip wurde rausgenommen, der neue reingesetzt, und die Wunde wurde mit drei, vier Stichen genäht. Das passiert alles unter sehr hohen hygienischen Standards. Es gibt aber Leute, die meinen, sie müssten das selbst machen. Das würde ich nicht empfehlen.
Was ist ein Bodymoder?
Der Begriff kommt von Bodymodification, also Körpermodifikation. Ein Bodymoder macht die dollsten Sachen. Piercings oder Tattoos, aber auch Dinge, wo ich sage: Ne, muss man nicht haben. Zum Beispiel Hörner unter der Haut oder eine gespaltene Zunge wie ein Reptil, aber das ist ja jedem selbst überlassen.
Entschuldigen Sie folgende Bemerkung: Sie sind 62 Jahre, Landwirtin, CDU-Mitglied und leben in einem 28-Seelen-Dorf in Niedersachsen. Sie hätte ich jetzt eher nicht in der Bodymoderszene verortet.
Da sind Sie auch in bester Gesellschaft. (Sie lacht laut) Ich entspreche halt nicht dem typischen Klischee einer Person, die Chips implantiert hat. Aber das macht für mich auch den Reiz aus. Man unterstellt der CDU, wie ich finde, zu Unrecht, keine besondere Innovation. Okay, ich bin auch, was die CDU betrifft, nicht der Mainstream. Mainstream ist nicht so meins, ich habe schon immer das Bunte gemocht. Aber ich mach mein Ding auf ’ne nette Art, zumindest halten meine Parteikollegen und -kolleginnen mich aus.
Wie sind denn allgemein die Reaktionen auf ihre Implantate?
Viel Shitstorm. Da ist alles dabei: Verrat des Abendlandes, ich solle verrecken, und, und, und. Das kommt per Brief, per Anruf, über Social Media. Aber ich habe auch einen Heiratsantrag bekommen, also so schlimm ist es dann doch nicht.
Und was sagt Ihre Familie dazu?
Ach, für die bin ich sowieso durchgeknallt. Meine Tochter hat auch einen Chip zum Türöffnen in der Hand, aber mehr macht sie damit nicht. Sie findet das praktisch, aber sie lebt das nicht so wie ich.
Weshalb sind Sie so überzeugt?
Mich überzeugt der Nutzen dieser Implantate. Es sind Alltagserleichterungen für mich, die ich nicht mehr missen möchte. Es gibt Leute, die sammeln diese Implantate just for fun. Es gibt ja die verrücktesten Dinge. Leuchtende Implantate oder magnetische, mit denen man Stecknadeln vom Boden aufsammeln kann. Das ist eher was für die Freaks, was ich vollkommen okay finde. Aber das bin ich nicht. Ich bin zu bodenständig. Neben dem Nutzen geht es mir aber auch noch um was anderes.
Worum?
Mir geht es darum, den technischen Fortschritt mit Implantaten weiter nach vorn zu bringen. Da muss man was tun, auch wenn es im ersten Moment nicht vernünftig ist, aber so haben alle Entwicklungen mal angefangen. Dass mal irgendwann einer etwas begonnen hat, wo andere sagen, wie bekloppt ist das denn? Und wenn es eine Sackgasse wird, dann ist das eben so. So funktioniert nun mal Innovation.
Sie haben kein Problem mit der Rolle eines Versuchskaninchens?
Nein, wieso? Ich bin ja über 60, was habe ich zu verlieren? Ich habe meinem Körper schon mehr zugemutet als dieses Implantat. Ich habe beispielweise über die Hälfte meines eigenen Körpergewichts abgenommen und wieder zugenommen. Ich hatte Amalgamfüllungen, eine Spirale mit Hormonen. Aber das muss jeder selbst entscheiden. Ich fand das schon immer ein spannendes Thema. Vielleicht liegt das auch an meinem Beruf.
An ihrem Beruf?
Ja, wir Landwirte sind pragmatisch und generell technikoffen. Wir arbeiten ja schon lange mit verschiedenen smarten Technologien, wie zum Beispiel Beregnungsanlagen, die je nach Bodenverhältnis die erforderliche Menge Wasser abgeben. Oder smarte Aussaatberechnung, die exakt kalkuliert, wie viel Hektar für verschiedene Pflanzen und wie viel Düngemittel. Wenn es praktische Anwendungen für Chipimplantate geben würde, wären die Landwirte bestimmt dabei.
Es gibt auch Menschen, die haben Vorbehalte gegenüber der Technik, wie Sie sie nutzen.
Ach, Deutschland ist technikfeindlich vom Feinsten. Eine Katastrophe. Das ist wohl diese sogenannte German Angst. Nur ein Beispiel: Ein Kollege, Landwirt, steht bei der Volksbank und tippt seinen Überweisungsträger ein. Ich frage ihn: Wieso machst du das? Er: Homebanking ist mir zu gefährlich. Ich antworte: Was wirklich gefährlich ist, ist die Fahrt zum Bankinstitut. Was ich damit sagen will: Die Leute habe so eine diffuse Angst vor Technologien und setzen sich dann nicht weiter damit auseinander. Ich bin offen für fast alles und hoffe, dass wir uns weiterentwickeln. Technik ist ja quasi ein Vorsprung vor der Evolution.
Haben Sie keinerlei Sicherheitsbedenken?
Nein. Viele Leute denken, ich würde meine Sicherheit preisgeben. Oder man könne mein Konto leerräumen oder mich orten. Das stimmt alles nicht. Die Chips, die ich implantiert habe, sind alle passiv, sie haben keine eigene Energiequelle. Weil keine Signale abgegeben werden können, kann ich nicht geortet werden.
Und der Bezahlchip?
Der funktioniert wie eine Prepaidkarte, auf die ich mithilfe einer App Geld lade, immer nur so viel, wie ich auch im Portemonnaie haben würde. Ich bin generell ein Sicherheitstyp und arbeite gern mit doppeltem Boden.
Es gibt auch Leute, die wollen sich mithilfe von technischen Hilfsmitteln optimieren. Bodyhacker wollen die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten mit Einsatz von technischen Verfahren erweitern. Wie finden Sie dieses Sinnsuche nach einer Optimierung?
Einem Ideal entsprechen zu wollen oder seinen eigenen Körper unzureichend empfinden, das finde ich traurig. Und die ganze Sache mit dem Körperkult ist auch ziemlich dramatisch. Ob man da jetzt ein technisches Hilfsmittel heranzieht, ist für mich erst mal zweitrangig.
Manche wollen sich sogar Superkräfte verleihen. In Kalifornien hat eine Gruppe von Biohackern Augentropfen im Selbstversuch entwickelt, die es möglich machen, nachts zu sehen.
Oh, das wäre was für Jäger. Ne, im Ernst. Jeder kann ja ausprobieren, was er möchte. Nur da, wo es gesundheitsgefährdend wird, da ist für mich die Grenze.
Hätten Sie gern eine Superkraft?
Essen, so viel ich will, ohne dick zu werden. Wenn das ginge, wäre ich zu allem bereit. Da könnte ich nicht widerstehen.
Ihre Begeisterung für Technik hat ihren Ursprung in der Serie „Raumschiff Enterprise“. Stimmt das?
Ja! „Raumschiff Enterprise“ hat mich infiziert. Im Mai 1972 gab es die Erstausstrahlung der Serie im deutschen Fernsehen, und seitdem war ich angesteckt. Mich hat dieser technische Schnickschnack total fasziniert, schon allein die Vorstellung, mit einem Computer zu sprechen. Das war für mich unvorstellbar. Heute nutze ich sehr oft Sprachcomputer. Das ist schon genial. Der Replikator ist ja mittlerweile auch Realität. Wir reden über In-vitro-Fleisch, also ein künstlich hergestelltes Fleisch. Oder die Übersetzungsprogramme. Mithilfe unserer Smartphones können wir uns überall auf der Welt verständigen. Ich finde das einfach toll.
Planen Sie noch mehr Implantate?
Nein, aktuell nicht. Worauf ich wirklich hinarbeite, ist das Gesundheitsimplantat mit der Speicherung meiner medizinischen Daten. Wenn der Notarzt kommt, kann er mit einem entsprechenden Lesegerät aufrufen und hat alle notwendigen Informationen sofort und kann mir schnell helfen im Notfall. Auch Notfallmediziner sagen, dass es hilfreich sei, Informationen wie Medikamentenunverträglichkeiten, Allergien, Blutgruppen sofort zu haben, weil man so mehr Menschenleben retten könnte. Aber dazu brauchen wir Standards.
Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist problematisch. Gesundheitsdaten sind sehr sensibel. Datenschützer warnen vor mangelndem Schutz der Patientendaten. Wie sehen Sie das?
(Seufzt genervt) Es scheitert am Datenschutz, ja. Wir sind noch meilenweit von einer Lösung entfernt. Ich habe darüber auch ein paar Mal mit Jens Spahn gesprochen, als der noch Gesundheitsminister war, aber das Thema fasst keiner an, das ist schade. Ich bin offen, mich da weiterzuentwickeln, vor allem in den Bereichen, wo Technologie uns Nutzen bringen kann. Ich sage Kritikern auch immer: Ich bin offen, wenn ihr was Besseres habt, dann immer mal her damit. Mich ärgert das.
Was genau?
Dass wir da nicht vorwärtskommen. Es gibt so viel Segen, den wir durch technischen Fortschritt haben. Vor allem in der Medizin. Implantate, die taube Menschen wieder hören lassen, wie meinen Nachbarn. Der saß, nachdem er das Implantat bekommen hat, nur vor der Musikanlage und hat geheult vor Glück. Oder smarte Insulinpumpen, Prothesen und, und, und. Und da wollen ja auch alle den Fortschritt. Aber wenn es um die eigene Blutgruppe geht, machen alle dicht. Obwohl man so ja auch Leben retten könnte.
Haben Sie nie bereut, die Implantate zu haben?
Ne. Ich würde es jederzeit wieder machen und ärgere mich höchstens, dass ich es nicht schon längst früher gemacht habe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels