Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen
Krimi in NRW: Bei der Wahl am Sonntag geht es zwischen Ministerpräsident Wüst (CDU) und Herausforderer Kutschaty (SPD) bis zuletzt um jede Stimme.
Zum Königsmacher dürften die Grünen werden, für die sich zwischen 16 und 18 Prozent entscheiden wollen. Deren Spitzenkandidatin Mona Neubaur hält sich ein Bündnis sowohl mit Wüst als auch mit Kutschaty offen. „Wer Grün will, muss Grün wählen“, erklärt die 44-Jährige seit Wochen mantraartig. Das bedeutet: Wer den Drittplatzierten bei mehr Klimaschutz, bei der Energie- und Verkehrswende am weitesten entgegenkommt, wird Regierungschef. „Es gibt keinen Automatismus für Koalitionen“, sagt Neubaur.
Doch klar ist: Das seit 2017 mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag regierende Bündnis aus CDU und FDP wird abgewählt. Die FDP liegt derzeit mit 6 bis 8 Prozent etwa gleichauf mit den Rechtsextremisten der AfD. Mit 3 Prozent nicht ins Landesparlament schaffen dürfte es die Linke.
Neubaur hofft auf ein Zweier-Bündnis, in dem „die Verständigung einfacher“ sei – also auf den NRW-Klassiker Rot-Grün oder eben Schwarz-Grün. Machtoptionen für die FDP bietet nur Jamaika – oder eine Ampel wie im Bund. Kutschaty erklärt jedenfalls, auch dann eine Regierungsbildung versuchen zu wollen, wenn die SPD nicht die stärkste Kraft im Landtag wird.
Wüst und Kutschaty setzen auf die politische Mitte
Auf den letzten Metern punkten wollen Wüst und Kutschaty in der politischen Mitte. Deutlich wurde das beim TV-Duell im WDR am Donnerstagabend, bei dem sich beide zum einzigen Mal in diesem Wahlkampf allein gegenüberstanden. Beide traten sachlich und höflich auf, beide warben mit mehr Polizist:innen, mehr Lehrer:innen, mehr Wohnungen. Unterschiede wurden dennoch deutlich.
Beide zeigten sich erschüttert über den vereitelten Anschlag eines offenbar rechtsextremistischen 16-jährigen Schülers auf ein Gymnasium in Essen-Borbeck. Während Wüst es schnell schaffte, mit Warnungen vor „Clan-Kriminalität“ einmal mehr Stimmung gegen Migrant:innen zu machen, mahnte Kutschaty, der selbst in Borbeck lebt, mehr Prävention an. Selbst CDU-Innenminister Herbert Reul hatte erklärt, bei dem geplanten Amoklauf könne es sich auch um den „dringenden Hilferuf eines verzweifelten jungen Mannes handeln“, den „massive psychische Probleme und Suizidgedanken“ trieben.
Punkten konnte Kutschaty mit seiner Forderung nach jährlich 100.000 neuen Wohnungen in NRW. Er setzt auf mehr öffentlichen Wohnungsbau, fordert kostenlose Kitas. Wüst konterte mit Erfolgen seiner Regierung – mit schnellem Internet an 70 Prozent der Schulen, mit 700.000 Laptops für Schüler:innen aus finanzschwachen Familien, mit 400.000 neuen Arbeitsplätzen seit 2017. Verkehrspolitik war dagegen kein Thema.
Dabei war Wüst bis zum Abgang des katastrophal gescheiterten CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet selbst Verkehrsminister, und es werden an diesem Wochenende erneut Tausende für eine Stärkung des Radverkehrs demonstrieren. Probleme machen Wüst auch Streiks an den Unikliniken: Die Beschäftigten fordern nicht mehr Geld – sondern ein Ende der „krankmachenden Arbeitsbedingungen“.
Wahlkampf bis zur letzten Minute
Kämpfen werden beide bis zum Samstagabend. Kutschaty erwartete am Freitag SPD-Kanzler Olaf Scholz, Parteichef Lars Klingbeil und die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal in Köln, macht am Samstag in Essen, Düsseldorf und Gelsenkirchen Straßenwahlkampf. Die um einen progressiven Anstrich bemühte CDU nennt das „Canvassing“. Wüst setzt auf Schleswig-Holsteins Wahlsieger Daniel Günther, ist auf dem Land etwa in Steinfurt und Minden-Lübbecke unterwegs. Beide wissen: Am Sonntag könnten wenige tausend Stimmen wahlentscheidend sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl