piwik no script img

Landtag beendet Kieler Rocker-AffäreJede Menge Fehler

Polizeiskandal, Politikskandal, Medienskandal: Die Kieler Rocker-Affäre hat viele Facetten – jetzt hat der Kieler Landtag einen Schlussstrich gezogen.

15 Regalmeter Akten kamen zusammen, aber einen Haupt­schuldigen präsentierte der PUA nicht Foto: Matthias Hoenig/dpa

Neumünster taz | Es endete undramatisch: Ohne lange Debatte nahm der Landtag in Kiel den Abschlussbericht zur „Rocker-Affäre“ zur Kenntnis. Auf über 1.000 Seiten kommt der Parlamentarische Untersuchungsausschusses (PUA) zu dem Ergebnis, dass zwar Fehler gemacht wurden, es aber kein Systemversagen gab. Die Affäre selbst, deren Wurzeln ins Jahr 2010 reichen, hat über lange Zeit das politische Klima in Schleswig-Holstein geprägt. Nach der Wahl im Mai scheiden viele Beteiligte aus der aktiven Politik aus.

Geht die Landespolizei sauber mit V-Leuten und deren Informationen um, und gibt es Mobbing in der Behörde? Diese beiden parlamentarischen Anfragen stellte Patrick Breyer, damals Landtagsabgeordneter für die Piratenpartei, im Frühjahr 2017. Er bezog sich auf den „Subway-Überfall“, eine Messerstecherei zwischen den Rockergruppen Bandidos und Red Devils in einem Lokal in Neumünster im Januar 2010 und den Umgang der Polizei mit Aussagen der Beteiligten.

Die Medien berichteten, vor allem die Kieler Nachrichten (KN) stiegen ausführlich ein – die Rocker-Affäre entwickelte sich rasch auch zu einer Medien-Affäre, bei der die Zeitungen im Land selbst zu Akteurinnen wurden. Einen Höhepunkt gab es im Juli 2017, als die KN schrieb, die Polizei würde Redaktionsmitglieder bespitzeln und überwachen – „ein ungeheuerlicher Vorwurf, dem wir nachgehen mussten“, sagte Tim Brockmann (CDU), der im Landtag an die Anfänge des Ausschusses erinnerte.

Der Bespitzelungsvorwurf stellte sich als falsch heraus, die KN musste zurückrudern. Im Abschlussbericht, dem alle Landtagsfraktionen zugestimmt haben, ist von „haltlosen öffentlichen Anschuldigungen“ die Rede, die die Aufklärung der „tatsächlichen Fehler“ erschwert hätten.

97 Sitzungen mit 58 Zeugen

Wie groß oder klein diese Fehler waren, darüber herrschte während der vierjährigen Laufzeit der parlamentarischen Untersuchung Streit zwischen den Fraktionen. 2020 wollte die CDU den Ausschuss am liebsten einstellen, unter anderem wegen der Kosten – nach rund zwei Jahren hatten die Sitzungen bereits 7,6 Millionen Euro verschlungen. Die Riesensummen kamen durch die große Zahl von Beteiligten, Zeugen und Beschuldigten zusammen, die teilweise in jeder Sitzung durch eigene Rechtsbeistände vertreten waren.

Auch Gutachten und aufwendige Sicherheitsverfahren kosteten Geld. Der Ausschuss wurde auf Wunsch der SPD und der an der Regierung beteiligten Grünen fortgesetzt. 97 Sitzungen absolvierten die Ausschussmitglieder, in denen sie 58 Zeugen und drei Beschuldigte befragten. 15 Regalmeter Akten kamen letztlich zusammen.

Es habe einen „rechtsstaatlich bedenklichen Umgang mit Quellen“ gegeben, zitierte Kai Dolgner (SPD) im Landtag aus dem Abschlussbericht. Der Ausschuss stellte fest, dass ein hochrangiger Bandido am Tag des Kampfes im „Subway“ mit der Polizei zusammenarbeitete – offiziell zum V-Mann wurde der Rocker aber erst später. Damit hätte seine Aussage eigentlich wie die aller anderen Zeugen und Verdächtigen behandelt werden müssen. Das passierte aber nicht, und zwei Polizisten, die dagegen protestierten, wurden versetzt.

„Von zufälligem,Bockmist’ kann hier nicht die Rede sein“, sagte Grünen-Obmann Burkhard Peters. Er störte sich an einer „Fehlerkultur des letzten Jahrhunderts“, die sich in den Reaktionen der Polizei auf Kritik zeigte. Der PUA zeige erste Erfolge: Im Land seien „enge Leitplanken zur Regelung des VP-Einsatzes geschaffen“ worden. Auf Bundesebene solle unter der Ampel-Koalition eine vergleichbare Regelung in der Strafprozessordnung folgen.

Hochrangige Beamte entlassen

Auch wenn der Ausschuss Fehler feststellte, präsentierte er keinen Hauptschuldigen. Opfer gab es im Lauf der Zeit dennoch, unter anderem durch das Misstrauen zwischen den Beteiligten. Von einem „Klima der Angst“ in der Polizei war die Rede, und Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sah sich einer Polizeiführung gegenüber, „die sich im Auftreten gegenüber dem Ministerium sehr einig war“. Er entließ mehrere hochrangige Beamte und wurde daher vom Lager derer, die an eine Polizeiverschwörung glaubten, als Aufklärer gefeiert.

2020 verlor Grote sein Amt – es ging um einen Chat zwischen einem KN-Journalisten und einem Polizei-Gewerkschafter, in dem unter anderem das Wort „Pimmelnase“ fiel. Die Staatsanwaltschaft Kiel, selbst eine Akteurin in der Rocker-Affäre, brachte Grote damit in Verbindung, der Ministerpräsident entließ seinen Parteifreund. Ermittlungen wegen Untreue gegen Grote wurden im November 2021 eingestellt.

Patrick Breyer, dessen Verdacht 2017 die Aufklärung der Affäre in Gang setzte, sieht sich „in zentralen Punkten bestätigt“. Er glaubt, dass „die Zusammenarbeit des Rockers mit der Polizei wohl auch deshalb geheim gehalten werden sollte, weil das Innenministerium gleichzeitig ein Vereinsverbot gegen die Bandidos in Neumünster betrieb“. Auf Breyer kommt ein juristisches Nachspiel zu: Der V-Mann-Führer klagt dagegen, dass sein Name auf Breyers Homepage genannt wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare