piwik no script img

Landleben in OstdeutschlandVon der Hand in den Mund

Alternativ leben: Die Bewohner des Gut Pommritz in Sachsen wollten nach der Wende eine Landkommune aufziehen. Was ist daraus geworden?

Martin Reichert (r.) bleibt wegen seiner Obstbäume. Daniel Kossahl ist mit einer Herde Zwergziegen nach Pommritz gekommen Bild: Sven Döring

POMMRITZ taz | Am Morgen erzählt Katrin Altwein, der Verein Neue Lebensformen habe sich vor Kurzem noch einmal an Kurt Biedenkopf gewandt. Immerhin hatte der sächsische Ministerpräsident 1992 mit dem Philosophen Rudolf Bahro das Projekt Lebensgut Pommritz angeschoben, hatte veranlasst, dass das Land Sachsen dem Verein das Gutshaus in der Oberlausitz und 80 Hektar Land überließ, um kurz nach der Wende in der DDR eine Utopie zu verwirklichen: ein Leben im Einklang mit der Natur.

Es ging um nachhaltiges Wirtschaften, um dörfliches Leben im 21. Jahrhundert. „Sinngemäß hat Biedenkopf geantwortet: Ihr schafft das schon.“ Es ist still im Gutshaus. Sie dreht einen Schlüssel in der Hand. Von dem 84-jährigen Biedenkopf wird keine Hilfe mehr kommen. Von Bahro sowieso nicht. Der ist 1997 gestorben.

Licht fällt durch das Fenster ins karge Wohnzimmer. Katrin Altwein hat sich mit ihren damals drei Kindern 2005 für Pommritz entschieden. Die Krankenschwester wollte raus aus Dresden, ihren Kindern ein anderes Leben bieten. Eigentlich ist das Lebensgut auf einem guten Weg, versichert sie.

„Wir haben uns Stück für Stück entwickelt.“ Es gibt den Obstbau, den Gästebetrieb, die Ziegenhaltung, die Käserei, die Bäckerei, den Ökolandbau. Manche Betriebe auf dem Hof haben sich selbstständig gemacht, andere sind Vereinsbetriebe geblieben. Es gibt eine Holzheizung und eine Pflanzenkläranlage. Und – „ganz wichtig“ – es gibt die „Sophia“, die Lernwerkstatt für Philosophie und Ethik. „Die Entwicklung ist da. Es ist eine Spirale, die nach oben führt“, schließt Katrin Altwein und lässt den Finger in die Höhe kreisen. 25 Erwachsene und 13 Kinder leben zurzeit hier. Nach der ursprünglichen Planung sollten es jetzt 200 sein.

Kartoffeln & Kapital

In der Landwirtschaft existiert sie noch: die DDR. Gigantische Ackerflächen, riesige Monokulturen. Während im Westen die Betriebsflächen rund 55 Hektar betragen, sind sie im Osten fast sechsmal so groß. Verantwortlich ist die Politik. Das Instrument war die BVVG: ein Nachfolgeunternehmen der Treuhand, das die Ackerflächen der DDR privatisierte. Die konservierten Agrarstrukturen machen Ackerflächen nun für Aktiengesellschaften zu interessanten Anlageobjekten. Tausende Hektar sind schon aufgekauft worden. Experten sprechen angesichts der Konzentration bei wenigen Konzernen von einer „neofeudalen Landverteilung“.

Das Malheur hat einen Namen

Von mancher der ursprünglichen Ideen haben die Bewohner Abschied genommen. Von gemeinschaftlicher Kasse und gemeinschaftlichem Arbeiten sei schon lange nicht mehr die Rede. Auch das gemeinsame Mittagessen werde derzeit nicht gepflegt, räumt Altwein ein. Überhaupt scheint es in Pommritz inzwischen unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft zu geben. Die einen suchen vor allem ein Dach überm Kopf, erzählt sie, andere wollen etwas Gemeinsames machen, aber doch gern für sich wohnen. Man müsse auf diese Bedürfnisse Rücksicht nehmen, sagt Altwein, ihr Credo: „Eine Gemeinschaft ist so stark wie ihr schwächstes Glied.“ Andere waren da ungeduldiger. „Maik war der Ansicht, wir müssen alles größer und schneller machen.“

Maik – der Name wird heute noch oft fallen. Er löst hier in Pommritz ambivalente Gefühle aus. Maik Hosang, Jahrgang 1961, ein Oberlausitzer aus Bautzen, Philosoph, Bahro-Schüler, lange Jahre Vereinsvorstand und Spiritus Rector des Lebensguts, ist inzwischen aus der Gemeinschaft exkommuniziert. So sieht es Katrin Altwein. Die Gründe? Hosang habe Misstrauen gesät und eigenmächtig ein katastrophales Bauprojekt eingefädelt, das dazu geführt hat, dass das Schicksal von Pommritz am seidenen Faden hängt. Daher der Brief an Biedenkopf. Kurzum – das Malheur trägt einen Namen: Maik.

„Wir haben es immer geschafft, kreditfrei zu wirtschaften – bis vor drei Jahren.“ Katrin Altwein nimmt Anlauf, die Finanzlage zu beschreiben, da steht ein hagerer Mann mit zusammengebundenen roten Hosen und schütterem Bart in der Tür – Martin Reichert, Vereinsvorstand und Chef des Obstbaus. Reichert führt durch lange schummrige Flure ins Freie.

Das Gutshaus scheint im Inneren ein Labyrinth, von außen wirkt es wie eine Burg. Die Stufengiebel sind wie Zinnen. Manches Bäumchen wächst aus der Fassade. Vor dem Haupteingang ragt eine Eiche in den Himmel. In dem ursprünglichen Rittergut richtete das Königreich Sachsen 1864 eine landwirtschaftliche Versuchsanstalt ein, die wegen ihrer Forschungen zur Verbesserung der Landarbeit Weltruf erlangte. Pommritz war schon immer Avantgarde.

Wie ein Tanz

Drei Sensen hängen von der Decke. Reichert greift eine, geht auf den Hof, stellt die Beine auseinander, beginnt mit dem Oberkörper in lautlosem Takt zu schwingen und lässt das Sensenblatt über das Gras sausen. Es wirkt wie ein Tanz. Reichert gibt inzwischen Seminare. Doch die Sense macht kein Futter. Die Halme sind kurz, sie köpft nur ein paar Kleeblätter.

Das Mähen mit einer Sense war eine Kunst. Martin Reichert hat sie wieder ans Licht geholt. Alles habe er sich selbst beigebracht, erzählt er. „Stück für Stück.“ Seine Sensenseminare sind gefragt. Die Mittelscheune mit ihren Solaranlagen, die nebenan sandfarben leuchtet, ist ein Blickfang auf dem Gutshof, wo Haupthaus und Nebengebäude noch sehr an das DDR-Volksgut erinnern. Und sie ist der Mühlstein, der das Gut in die Tiefe reißen könnte, erzählt Reichert auf dem Trampelpfad zur Streuobstwiese.

Hinter dem Rücken des Vereins habe der damalige Vorstand, allen voran Maik Hosang, einen Investor aufs Gut geholt, um die baufällige Scheune für 140.000 Euro zu sanieren. Der Verein habe dem auch zugestimmt, räumt Reichert ein, allerdings nur, wenn sich das Projekt selbst trägt. „Der Maik hat hier zwanzig Jahre regiert auf ’ne Art und Weise …“ Reichert lässt den Satz offen.

Als die Solarpaneele auf dem Scheunendach glänzten, präsentierte der Investor die Schlussrechnung: 412.000 Euro. Der Vorstand wurde abgesetzt, Hosang verstoßen. Seitdem streitet man sich mit dem Investor vor Gericht. Vorsichtig setzt Reichert beim Reden seine nackten Füße und geht über ein Meer aus Klee. Die 140.000 Euro muss das Lebensgut auf jeden Fall zahlen. Den ersten Prozess haben sie verloren. Der zweite Prozess läuft noch. Es geht um Baumängel und um Rechnungsbetrug.

Und geht es auch um das Überleben einer Vision? „Ja, wie dörfliches Zusammenleben ohne Konsumgesellschaft möglich ist“, erklärt Reichert, verschwindet im Gestrüpp und kommt mit duftenden Äpfeln zurück. Die Querelen haben ihm zugesetzt, viele Bewohner sind weggegangen. Auch Reichert hat sich mit dem Gedanken getragen. Aber Bäume lassen sich nun mal nicht ausreißen, sagt er.

Obst in Permakultur

Mit Leichtigkeit scheint er die mit Äpfeln beladene Karre zu einem Garten hinüberzuschieben, den man verwildert nennen möchte. Doch weit gefehlt. Es ist die erste große „Permakultur“, klärt Reichert auf. Die Kunst besteht darin, Pflanzen so anzubauen, dass sie einander im Positiven bedingen und die Pflege sich auf ein Minimum reduziert. „Man ist nur noch am Ernten“, sagt er und liest Mirabellen auf. Gelegentlich pustet er ein paar Erdkrümel weg und steckt die Pflaume in den Mund. „So komme ich doch noch zu meinem Frühstück.“ Reichert ist Rohköstler und die Permakultur sein Speicher.

Von der Hand in den Mund – wenn nur alles so einfach wäre. Es scheint wie ein Garten Eden, einer, durch den der Unhold streift. „Hallo Maik!“ grüßt Reichert einen Wanderer, der aus dem Grün freundlich lächelnd aufgetaucht ist und schnell wieder verschwindet – Maik Hosang. Hosang wohne in der „Villa“ neben dem Gutshaus, bestätigt Reichert. In dem Anwesen residierten einst die Gutsdirektoren.

Am Nachmittag schließt Katrin Altwein mit dem Schlüssel, den sie seit den Morgenstunden gehütet hat, die Philosophische Lernwerkstatt „Sophia“ auf, eine neonerleuchtete Mischung aus Kirche und Kuriositätenkabinett. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten der interessante Versuch einer sinnlichen Darstellung von philosophischen Fragestellungen und Gedankengebäuden.

Die christliche Trinität, Platons Höhlengleichnis, die Kabbala, Nietzsche, Marx und Freud – alles ist zu Unikaten geronnen. Und in der Mitte des Saales leuchtet er wieder, der Garten Eden. Adam und Eva friedlich im Paradies, allerlei Getier, und über allem der Herrgott mit feurigem Haupt. Ob sich die Pommritzer in dem Bild erkennen?

Neuer Investor?

„Katrin, erzähl die ganze Wahrheit!“ Halb lachend, halb warnend hat Hosang der Frau im Vorbeigehen auf dem Hof wie ein Masseur an den Nacken gefasst. Leicht konsterniert blickt sie ihm nach. Später sitzt Hosang entspannt unter der Eiche. „Nein, ich bin gar nicht ausgeschlossen“, entgegnet er lächelnd. Dafür habe es nie die nötige Mehrheit gegeben. Der 52-Jährige ist Professor für Kulturphilosophie an der Fachhochschule Zittau/Görlitz.

„Die Krise als Chance“, postuliert er lächelnd. Das Lebensgut müsse den Kinderschuhen entwachsen, es gehe nicht um Rückzug, sondern um Offenheit in einer vernetzten globalen Welt, von Ökologie bis Philosophie. Zu viele hier sähen Pommritz nur als Rückzugsort. Und was die Finanzen betreffe, habe er einen neuen Investor gefunden. „Wir sind an einem guten Punkt.“ Eine Stiftung könnte das Lebensgut mit neuen Kräften und Kompetenzen entwickeln. In der sanierten Scheune, Hosang weist hinüber, könne man die „Sophia“ endlich angemessen präsentieren.

Auf ein Ereignis möchte er unbedingt hinweisen, bittet Hosang. Das „Festival der Liebe“, ein Seminar des von Rudolf Bahro gegründeten Instituts für Sozialökologie, das in Pommritz unter Hosangs Leitung weiterwirkt. Bei Bahro könne man lesen, worum es geht – „Einander Freund zu sein auf dem Weg zum Göttlichen“, sagt Hosang ins kleine Rund. Die drei Zuhörer, die bei der Ansprache geschwiegen haben, starren auf den Holztisch, über den Fliegen huschen. Das Festival findet übrigens in Berlin statt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!