Landesweite Kontrollen ab Montag: Deutsche Grenzerfahrungen
Ab Montag soll es deutschlandweit Grenzkontrollen geben. In Frankfurt (Oder) am Übergang zu Polen gibt es diese fast seit einem Jahr. Ein Rundgang.
„Herzlich willkommen beim Brückenplatz. Wir nennen das hier auch Café Blabla“, sagt Kurzwelly. „Das versteht jeder.“ Es ist der Donnerstag vergangene Woche. Neben dem Parkplatz steht ein Schild: „Dies ist ein offener Ort. Alle dürfen sich hier zu Hause fühlen und ihre Ideen einbringen“, steht dort in acht Sprachen. Kurzwelly geht am Schild vorbei und in die ehemalige Sporthalle hinein.
In jeder Ecke der Turnhalle steht etwas, Kurzwelly zeigt auf einen großen runden Tisch, um den etwa 20 Stühle stehen: „Hier treffen wir uns jeden Mittwoch.“ In einer anderen Ecke stehen Fahrräder, Werkzeug liegt herum. „Das ist unser Repariercafé“, sagt Kurzwelly. „2014 hat Słubfurt viele neue Bürger bekommen“, erzählt er. „Ein Kollege und ich sind zur Flüchtlingsunterkunft gegangen und haben gefragt, ob jemand singen möchte, wenig später haben wir gemeinsam Lieder aus Eritrea, Deutschland, Kamerun, Polen, Syrien und Afghanistan gesungen.“ Seitdem engagiere sich Kurzwelly für Geflüchtete.
An Pressspanplatten lehnen Pappschilder: „Stop pushbacks“ und „Bürgerrechte für alle“. In den vergangenen Monaten haben sie Demonstrationen organisiert. Grenzkontrollen gibt es hier genauso wie an den Übergängen zu Tschechien und der Schweiz bereits seit vergangenem Oktober. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte sie damals angeordnet, um gegen Schleuseraktivitäten vorzugehen. An der Grenze zu Österreich kontrolliert Deutschland schon seit dem Herbst 2015, als Zehntausende Geflüchtete über die Grenzen kamen. Nun sollen die Kontrollen im Zuge des Anschlags in Solingen auf ganz Deutschland ausgeweitet werden. Kurzwelly befürchtet, dass Deutschland und die anderen europäischen Länder sich weiter gegenseitig abschotten und die EU zerfällt.
Die alte Turnhalle liegt ein paar hundert Meter vom Ufer der Oder entfernt und damit von der Grenze. Kurzwelly spaziert in Richtung der Stadtbrücke, die Deutschland mit Polen verbindet. Er ist Aktionskünstler, hat in Bonn studiert und ist 1990 nach Polen gezogen, 1998 nach Frankfurt: „Wenn ich in den ersten Jahren in Frankfurt im Supermarkt an der Kasse stand und angerufen wurde, ein polnischer Freund dran war und ich Polnisch geredet habe, dann habe ich die Blicke gespürt.“ Es habe viele Vorurteile gegenüber Polen gegeben, das sei heute anders: „Frankfurt hat sich zu einer offenen Stadt gemausert, aber das droht jetzt wieder zu kippen.“ Kurzwelly sagt, dass die Grenzkontrollen die deutsch-polnischen Beziehungen belasten.
Grenzkontrollen? Soll es gemäß Schengen gar nicht geben
Die 252 Meter lange Stadtbrücke führt über die Oder. Sie verbindet Frankfurt und das polnische Słubice. Ein riesiges weißes Zelt steht zwischen den zwei Spuren – der Spur nach Polen und der nach Deutschland. „Anfangs hat die Polizei die Autos einfach auf der Straße angehalten“, erzählt Kurzwelly. Wenig später wurde der Grünstreifen zwischen den Spuren asphaltiert, das weiße Zelt aufgebaut, das wie ein Tunnel aussieht. Hier kontrolliert die Bundespolizei, so wie auch an den Autobahnen. An vielen anderen Stellen, zum Beispiel bei Küstrin und an der „grünen Grenze“, gibt es dagegen keine Kontrollen.
Eigentlich soll es laut dem Schengen-Abkommen innerhalb der Europäischen Union keine Grenzkontrollen geben. Nur „im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung ihrer öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ können sie eingeführt werden. Die Mitgliedstaaten müssen die EU-Kommission über die Kontrollen informieren. Im Februar und Mai verlängerte Faeser die Kontrollen mit der offiziellen Begründung, die illegale Migration und Schleuserkriminalität weiter zu bekämpfen.
An der Straße, einige Meter vor dem Zelt, stehen drei Polizisten. Einer hält eine Polizeikelle in der Hand. Hinter ihnen stehen vier blaue Container. „Wir ziehen dann jemanden raus, wenn uns etwas verdächtig vorkommt“, erklärt der Beamte. „Ein Auto, ein Kennzeichen, die Personen im Wagen“, sagt er. Wann und wo kontrolliert wird, dazu dürfe er nichts sagen. Ein paar Meter weiter, unter dem weißen Zelt, steht ein Auto. Ein paar Beamte schauen in den Kofferraum. Heute fließt der Verkehr, doch das sei nicht immer so, sagt Kurzwelly.
Er spaziert die Brücke weiter entlang Richtung Polen. Bis zur Mitte, der Grenze, hängen Wahlplakate wegen der Landtagswahlen am nächsten Sonntag in Brandenburg, die meisten sind von der AfD. Am polnischen Ufer angekommen, grüßt Kurzwelly einen Bekannten. Sie wechseln ein paar Sätze. Kurzwelly ist hier in Słubice genauso gut vernetzt wie in Frankfurt.
Berichte über Pushbacks
„Im April 2024 hat mich eine Bekannte angerufen. Sie hat von zwei Flüchtlingen erzählt, die hier in einem Park im Gebüsch saßen“, sagt Kurzwelly. „Ich habe meinen Rucksack voll mit Essen gepackt und bin rüber. Die beiden Jemeniten, die ich dort getroffen habe, waren total unterkühlt.“ Sie hätten der deutschen Polizei gesagt, dass sie Asyl beantragen wollten, aber die habe sie abgewiesen. Belegen lässt sich das nicht, aber immer wieder gibt es Berichte über Pushbacks an der deutsch-polnischen Grenze. „Ich bin mit den beiden zur Grenze, wollte das vermutete Missverständnis aufklären, aber auch bei diesem Mal wurden die beiden abgewiesen“, sagt Kurzwelly.
An einer Bushaltestelle sitzt ein junger Mann und schaut auf sein Handy. Er erzählt, er studiere an der Viadrina, der Uni in Frankfurt. „Manchmal komme ich aber zum Mittagessen rüber.“ In Polen sei das günstiger. Ein Kumpel aus der Uni komme aus Mittelamerika und habe ihm gesagt, er wolle nicht mit nach Polen kommen: „Er meinte, dass er fast immer kontrolliert wird.“ Nachdem Kurzwelly Geld gewechselt hat, geht er zurück über die Brücke, vorbei an der Polizei, und verabschiedet sich. Weder er noch andere Fußgänger*innen werden angehalten.
Auf dem Frankfurter Rathausplatz ist an diesem Donnerstagvormittag Markttag. An einem Wagen, der Kaffee verkauft, unterhalten sich drei Händler an einem Stehtisch. „Gut, dass kontrolliert wird“, sagt einer von ihnen. 40 Prozent derer, die hier rüberkämen, begingen Straftaten, behauptet er. Belege dafür gibt es auch dafür nicht. Einem der anderen Händler ist das sichtlich unangenehm. Er versucht, seinen Kollegen zu unterbrechen. Was „die Faeser da macht“, sei ein Tropfen auf den heißen Stein: „Messerstechereien hat es doch früher auch gegeben“, sagt er. „Und Messerverbote auf Festen und in der Bahn bringen gar nichts.“
Am Bahnhof stehen mehrere Busse. In der 983, die über die Grenze fährt, wartet ein Fahrer. Der Bus ist noch leer, gerade versucht er, ein Einmachglas mit gekochtem Gemüse zu öffnen. „Ich bin die Strecke heute dreimal gefahren. Jedes Mal fahre ich langsam. Die Polizisten schauen dann von außen in den Bus.“ Bei der ersten Tour habe ihn ein Polizist gefragt, ob ihm etwas aufgefallen sei. „Nur die Üblichen, habe ich gesagt, der Polizist hat gelacht und mich durchgewunken.“ Zuvor sei er auf der Strecke länger nicht im Einsatz gewesen. Das letzte Mal, im Juni oder Juli, sei mehr kontrolliert worden: „Da sind die Polizisten häufiger in den Bus gekommen und haben Pässe kontrolliert.“
Ein Ploppen. Das Weckglas ist nach größerer Kraftanstrengung endlich offen. Was er von den Kontrollen halte? „Als Pendler finde ich es nervig. Aber als deutscher Steuerzahler finde ich es wichtig, dass es Kontrollen gibt, dass die Ausländer nicht alle reinkommen“, sagt er und lächelt.
Angst vor Brandenburg-Wahlen
Ein paar Straßen hinter dem Bahnhof steht neben einem Imbissladen ein weißer Flachdachbau. Das Haus sieht nach einem kleinen, verlassenen Lagerraum aus. „Alrahman Moschee Kulturzentrum“ steht auf einem Schild an der Hauswand. Mohammed Ibrahim öffnet die unscheinbare weiße Tür. Seine schwarzen und grauen Locken sind kurz und kraus. Er winkt einen herein und bittet, die Schuhe auszuziehen und im Regal zu den anderen Paaren zu stellen.
Mohammed Ibrahim aus Sudan über das Verhalten der Polizei an der deutsch-polnischen Grenze
Auf dem gesamten Boden liegen Teppiche. Zwei Vorhänge bilden einen abgetrennten Bereich. Dahinter stehen ein paar Stühle um einen weißen Campingtisch. Ibrahim setzt sich. Er erzählt, dass er sich im Verein „Muslime an der Oder e. V.“ engagiere. Er stammt aus dem Sudan und lebt seit 2017 in Deutschland. „Ich wohne in Frankfurt, aber zum Einkaufen und Tanken fahre ich nach Polen. Mindestens zweimal die Woche.“ Alleine am Steuer werde er etwa jedes fünfte Mal kontrolliert, schätzt Ibrahim. „Wenn ich mit einer anderen Person fahre, die auch schwarz ist, dann werden wir immer kontrolliert.“ Solange die Kontrollen verfassungsmäßig seien, habe er nichts dagegen, sagt Ibrahim: „Ein sicheres Land ist gut für uns alle.“
Die anstehenden Landtagswahlen am Sonntag machen ihn Sorgen: „Heute habe ich in der Stadt ein AfD-Plakat gesehen. ‚Es ist Zeit, die Asyl-Industrie stillzulegen‘ stand da“, sagt Ibrahim. „Ich war total schockiert, was ist das denn? Es gibt keine Asylindustrie. Menschen fliehen vor Krieg: ganz egal, ob in der Ukraine, in Sudan, meiner Heimat, oder Gaza.“ Ibrahim gestikuliert mit seinen Händen und ringt nach Worten. „Bei der Europawahl ist die AfD in Brandenburg stärkste Kraft geworden. Ich hoffe, es wird dieses Mal anders.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene