Landesverfassungsgericht: Das Modell Juli Zeh
Berliner Parlamentarier zeigen sich offen dafür, wie gerade im Brandenburger Landtag auch in der Hauptstadt Promis von außen ins Verfassungsgericht zu wählen.
Führende Rechtspolitiker im Abgeordnetenhaus haben sich offen für die Idee gezeigt, auch an den Berliner Verfassungsgerichtshof prominente Persönlichkeiten außerhalb juristischer Berufe zu holen. Der Brandenburger Landtag hatte zuvor Juli Zeh, eine von Deutschlands meistgelesenen Schriftstellerinnen zum Mitglied des Verfassungsgericht des Landes gewählt. „Ich kann mir vorstellen, dass man da den Blick weitet“, sagte der taz der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sven Kohlmeyer. Ähnlich äußerten sich Benedikt Lux (Grüne) und Sven Rissmann (CDU).
Das Verfassungsgericht besteht in Berlin wie in Potsdam aus neun Mitgliedern, die das Parlament auf Vorschlag der Fraktionen wählt und die dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen. In Berlin, wo das Gericht in den nächsten Monaten etwa entscheiden muss, ob das Volksbegehren zu mehr Videoüberwachung verfassungsgemäß und damit zulässig ist, dauert ihre Amtszeit sieben, in Brandenburg zehn Jahre. Drei der neun Mitglieder müssen Berufsrichter an anderen Gerichten sein. Drei weitere das zweite juristische Staatsexamen haben, wodurch sie auch als Berufsrichter arbeiten könnten.
Drei Mitglieder können laut Verfassung Laien sein
Für die drei verbleibenden Mitglieder aber macht die Verfassung weder in Berlin noch in Brandenburg Vorgaben. „Da haben sich die Leute, die die Verfassung geschrieben haben, ja wohl etwas bei gedacht, dass sie das so formuliert haben“, sagt CDU-Mann Rissmann. Jenen ging es offensichtlich darum, auch vox populi, Volkes Stimme, an grundlegenden Fragen des Landes zu beteiligen: Nicht-Juristen, die aber dennoch einen klaren Blick auf die Dinge haben.
„Umgesetzt ist das allerdings nur wenig“, räumt Rissmann ein. Grünen-Rechtspolitiker Benedikt Lux verweist darauf, dass man immerhin auch Hochschuldozenten in das Gericht holte. Neben den drei Berufsrichtern mit Präsidentin Sabine Schudoma, die zugleich Präsidentin des Landessozialgerichts ist, gibt es drei Rechtsanwälte, eine Rechtsprofessorin von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, einen Oberverwaltungsgerichtschef a.D. Ebenfalls Rechtsanwalt war ein in diesem Jahr verstorbenes Mitglied. Jura-Laien sind, obwohl die Verfassung sie ja ausdrücklich zulässt, nicht vertreten.
Dresen und Havemann
Brandenburg handhabt das schon länger anders. 2012 wählte der Landtag in Potsdam Andreas Dresen zum Verfassungsrichter, den Regisseur so bekannter Filme wie „Sommer vorm Balkon“ oder „Halbe Treppe“. Dresen hat zwar studiert, aber nicht Jura, sondern Regie. Schon 1999 hatte das Parlament auf Vorschlag der PDS den Sohn des DDR-Regimekritikers Robert Havemann, Florian Havemann zum Richter gewählt.
Die am Mittwoch gewählte Schriftstellerin Juli Zeh ist zwar durch ihre viele 100.000 Mal verkauften Bücher bekannt geworden, vor allem das brandenburgische Dorf-Epos „Unterleuten“. Jura-Profi ist sie dennoch: Zeh studiert Rechtswissenschaften, absolvierte das Jura-Refendariat und die beiden nötigen Staatsexamen, sattelte noch einen internationalen Master-Rechtsabschluss drauf, denn LLM, und erwarb den Jura-Doktortitel.
Doch auch diese Variante – juristisch ausgebildet, aber in anderen Berufen oder gesellschaftlichen Bereichen vorbildhaft tätig – fehlt am Berliner Verfassungsgericht. SPD-Rechtsexperte Kohlmeyer, selbst neben seinem Abgeordnetenmandat als Anwalt tätig, nennt die Entscheidung für Zeh „eine großartige Wahl, die die Brandenburger Kollegen getroffen haben.“ Das könne „einen anderen Blick auf die Dinge“ bringen. Kohlmeyer mag damit nicht die jetzige Zusammensetzung kritisieren – „wir haben eine exzellente Auswahl von Richterin am Verfassungsgericht.“
Drei Richterstellen 2019 zu besetzen
Sein CDU-Kollege Rissmann erkennt auch den manchmal erhellenden Blick von außerhalb, warnt aber davor, sich an Prominenz zu orientieren, um der Arbeit des Gerichts mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen: „Einen Promi nur wegen der Prominenz zu berufen, ist nicht sinnvoll.“ Es komme auf die jeweilige Gestalt an, „weil Persönlichkeit fehlende Fachlichkeit ausgleichen muss“, sagt Rissmann.
Die nächste Möglichkeit, an der Zusammensetzung des Gerichts etwas zu ändern, besteht nächstes Jahr. Die neun Mitglieder werden nicht alle zusammen, sondern – ähnlich dem US-Senat – jeweils nur zu einem Teil gewählt. Das soll eine gewisse Kontinuität und bessere Arbeitsfähigkeit gewährleisten. Eine Wiederwahl ist anders als in der Politik allerdings ausgeschlossen.
Kommendes Jahr sind so drei der neun Plätze in Berlin neu zu besetzen. Wer das Vorschlagsrecht dazu hat, lässt die Verfassung offen. „Das obliegt dem politischen Geschick der Fraktionen“, sagt der Sprecher des Abgeordnetenhauses, Ansgar Hinz. In der SPD-Fraktion geht man davon aus, dass die SPD dran ist, zwei der Posten zu besetzen, darunter den Gerichtsvorsitz, die AfD einen. Die befragten Rechtspolitiker mochten sich aber nicht darauf fest legen, dass es tatsächlich so kommen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen