Laizismus in Deutschland: Die religiöse Zumutung
Volker Kauder glaubt nicht, dass Kinder in einer homosexuellen Lebensgemeinschaft aufwachsen wollen. In der Debatte wird deutlich: Der Laizismus muss gestärkt werden.
Volker Kauder von der CDU ist ein frommer Mann, und die Religion muss man den Menschen lassen. Volker Kauder von der CDU glaubt an Gott, und er glaubt daher auch nicht "dass sich Kinder wünschen, in einer homosexuellen Lebensgemeinschaft aufzuwachsen".
Gesagt hat er dies in einem Interview mit der Frankurter Rundschau, in dem es um Weihnachtsfeiern bei der CDU (Chris de Burgh hat gesungen) und die Präimplantationsdiagnostik ging. Kauder sagte weiterhin: "Ich mache mir schon Sorgen, wie heute über Leben verfügt wird. Außerdem gibt es keinen Anspruch auf ein Kind."
Den offenen Angriff auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Kindern oder Kinderwunsch rechtfertigte der Evangelikalen nahestehende Kauder ("Evangelische Allianz") jedoch nicht mit Gottes Wort, sondern mit dem juristisch dehn- und vor allem wandelbaren Begriff des "Kindeswohls." Es komme nicht darauf an, ob die Erwachsenen als glückliche Familie leben wollten, sondern auf ebenjenes Wohl des Kindes.
Nun hat sich noch selten ein Kind aussuchen können, in welche Familie es hineingeboren wird, und das, was heute als Kindeswohl gilt, nämlich zum Beispiel das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung, wurde im Jahr 2000 von Rot-Grün beschlossen, und zwar gegen den massiven Widerstand jener Partei, der Volker Kauder angehört. In der Union hielt man es zuvor lieber mit der Bibel: "Wer die Rut spart, hasst seinen Sohn / wer ihn liebt, nimmt ihn früh zur Zucht."
Kauder hat sich bereits früher wiederholt gegen die Rechte von Homosexuellen ausgesprochen. Das Antidiskriminierungsgesetz verglich er 2005 mit den Nürnberger Rassegesetzen, in der Debatte über das Adoptionsrecht warf er Schwulen und Lesben vor, sich selbst verwirklichen zu wollen, aber nicht am Wohl der Kinder interessiert zu sein.
Beiträge nicht von der Plattform der Aufklärung, sondern vielmehr Predigten von der Kanzel. Im Unterschied zu vielen seiner evangelikalen Glaubensbrüder aus den USA - aber längst nicht mehr nur dort - vermeidet Kauder jene offenen Aufrufe zum Hass gegen Homosexuelle, die seit dem Wegfall des Kommunismus als Feindbild in diesen Kreisen üblich geworden sind.
Bundeskanzlerin Merkel wiederum, Kauder gilt als ihre rechte Hand, traf sich Ende Oktober mit Vertretern der "Evangelischen Allianz" - Merkel sagte bei diesem Treffen in Thüringen, dass sie die Evangelikalen in Deutschland als "besonders intensiv evangelische Christen" wahrnehme, und sprach sich gleichzeitig für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik aus.
Das Unbehagen an einem selbstbestimmten Umgang mit Sexualität und Reproduktion ist nicht nur bei vielen Menschen, sondern auch bei vielen Politikern religiös motiviert - und für manchen gläubigen Politiker ist es sicher eine Zumutung, aus Gründen des Rechts mit der eigenen Haltung hinterm Berg halten zu müssen und gleichzeitig Mitglied einer Partei zu sein, die ein "C" wie christlich in ihrem Kürzel trägt.
Hilfreich wäre es daher, den Laizismus für alle verbindlich im deutschen Grundgesetz zu verankern - es müsste zu diesem Zweck an vielen Stellen verändert werden. Deutschland hinkt in diesem Punkt nicht nur seinem Nachbarn Frankreich hinterher, sondern gerät auch immer wieder in Konflikt mit dem eher laizistisch ausgerichteten Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - das zuletzt übrigens feststellte, dass gleichgeschlechtliche Paare, die in einer festen und stabilen Familie leben, unter den Begriff "Familie" fallen, ebenso wie dies heterosexuelle Paare tun.
Über die spezielle Lebenslage von Homosexuellen hinaus wäre ein eindeutiges Bekenntnis zum Laizismus in Deutschland auch in der Integrationsfrage unbedingt zu begrüßen - die gleiche Vernunft gälte für alle. Und wenn dann Volker Kauder wie jüngst anlässlich des Oktoberfestes verkündet "Zwei, drei Weizenbier am Tag, die müssen einfach sein", dann ist das eine reine Glaubensfrage, die niemandem Schaden zufügt.
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