Lagarde ruft zum Handeln auf: Zeit für Staatswirtschaft
Corona löst eine Wirtschaftskrise aus, der Dax fällt ins Bodenlose. Ökonomen aller Lager rufen nach Staatsintervention, die Zentralbank stimmt mit ein.
Lagarde schob im Prinzip Verantwortung ab und rief primär die europäischen Staaten zum Handeln auf. Die Zentralbank gibt also offen zu, wie wenig sie gerade tun kann. „Keine Zentralbank steht in der ersten Reihe bei den nötigen Antworten. Die müssen als Erstes und zuvorderst fiskalpolitisch sein. Wir erwarten, dass es diese Reaktion gibt“, sagte Lagarde in Richtung EU-Staaten.
Die EZB spielt den Ball an die Politik, weil sie begrenzte Möglichkeiten hat. Die US-Notenbank und die britische Notenbank hatten zuvor die Leitzinsen gesenkt, aber die der EZB liegen bereits bei null. Lagarde handelt in guter Tradition, auch ihr Vorgänger Mario Draghi hatte die EU-Staaten immer wieder zu mehr Ausgaben animiert, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Die Maßnahmen der EZB selbst blieben hinter den Erwartungen der Finanzmärkte zurück. Viele Kommentatoren hatten spekuliert, sie werde den Einlagezins von derzeit minus 0,5 Prozent weiter absenken: Parken Geschäftsbanken Geld bei der EZB, zahlen sie derzeit einen Strafzins, damit sie das Geld besser an Unternehmen verleihen. Doch der Strafzins blieb unverändert.
Die EZB agiert in dieser Weise, weil die Krise heute anders ist als 2008. Damals platze eine Immobilienblase in den USA. Die wertlosen Häuserkredite schlummerten als gebündelte Wertpapiere in den Bilanzen von Banken weltweit. Weil niemand wusste, wer deshalb als Nächstes pleitegeht, liehen sich die Banken untereinander kein Geld mehr. Wenn der Geldfluss stockt, kollabiere das Wirtschaftssystem, selbst wenn es Unternehmen prächtig geht und Konsument*innen ihnen die Produkte abkaufen.
Sozialer Konsum bricht ein
Die Krise jetzt ist, so beschrieben es gestern sieben führende Ökonom*innen, für die Wirtschaft gleichzeitig ein Angebots- und Nachfrageschock: Wenn hoch spezialisierte Zulieferer in China oder Italien ausfallen, stehen in Deutschland die Fabriken still. China ist sechs Wochen Seeweg entfernt, die Produktionsausfälle kommen also erst noch. Hinzu kommt, dass viele produzierende Betriebe ihre Mitarbeitenden nicht von zu Hause aus arbeiten lassen können.
Auf der Nachfrageseite steht das Problem, dass die Menschen in vom Coronavirus betroffenen Ländern gerade andere Sorgen haben, als sich einen neuen VW, BMW oder Daimler zu kaufen. Vielleicht holen das die Menschen nach, wenn die Krise vorbei ist. Doch der sogenannte „soziale Konsum“ ist unwiderruflich weg, also Reisen, Restaurant- oder Messebesuche.
Die initialen Schocks für die Wirtschaft kommen von außerhalb der Finanzwelt. Sascha Steffen ist Professor für Finance an der Frankfurt School of Finance & Management und beobachtet gerade nicht nur die Aktienmärkte mit Sorge. Das Auf und Ab dort ist aber für die Realwirtschaft kurzfristig irrelevant. Steffen fürchtet vielmehr, dass der Kreditmarkt austrocknet. Die Banken gäben dann kaum noch Geld an Unternehmen, was schnell Pleiten, Arbeitsplatzverluste, also eine direkt spürbare Folge für alle, bedeutet.
Abwärtsspirale bei Banken
Unternehmen in Schieflage heißt wiederum, dass sie laufende Kredite an die Banken womöglich nicht zurückzahlen können. Weshalb die Banken für diese Risiken mehr Sicherheiten bilden müssen und wieder weniger für die Kreditvergabe haben – eine Abwärtsspirale. Aus Steffens Sicht sei es unbedingt notwendig, dass die Banken für den ökonomischen Wiederaufbau nach der Krise stabil sind. Da viele Banken, auch in Deutschland, aber schlecht kapitalisiert seien, fordert er eine radikale Maßnahme: „Wir müssen wie in der Krise 2008 darüber nachdenken, Banken mit Staatshilfe zu rekapitalisieren“, sagt er.
Die Maßnahmen der EZB zielen zumindest auf das gleiche Problem ab, der Kreditvergabe: Sie gibt Geschäftsbanken günstiges Geld, aber nur dann, wenn sie wiederum Kredite an besonders gefährdete kleine oder mittelständische Unternehmen vergeben. Direkt helfen könnte die EZB diesen Unternehmen nicht. Helfen kann sie nur großen Unternehmen und das indirekt, indem sie deren Anleihen am Kapitalmarkt aufkauft. Hier versprach sie, weitere solcher Unternehmenskredite im Wert von 120 Milliarden Euro bis Ende des Jahres aufzukaufen, zusätzlich zu den bereits aufgetürmten 2,7 Billionen Euro.
Auch die sieben deutschen Ökonom*innen schreiben, dass der Beitrag der EZB in der Krise sehr begrenzt sei, und rufen nach fiskalpolitischen Maßnahmen: Steuerlasten von Unternehmen stunden, direkte Hilfen etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Thinktank Bruegel in Brüssel empfiehlt, nach Vorbild Italiens Selbstständigen und Kleinstunternehmen mit staatlichen Direktzahlungen zu helfen. Lagarde selbst fasst das, was die EU-Staaten nun bräuchten, in einem Wort zusammen: „Ich nenne es Entschlossenheit“, sagte sie.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links