Längste Haftstrafe in Deutschland beendet: Nach 53 Jahren aus Haft entlassen
Wegen eines Doppelmords saß Klaus Bräunig über 50 Jahre im Gefängnis. Nun ist er frei, will den Prozess neu aufrollen und für einen Freispruch kämpfen.
Klaus Bräunig wurde 1970 in Mainz als Spanner verhaftet, er stand unter Verdacht eine Kinderärztin und ihre Tochter ermordet zu haben. Nach tagelangen Verhören ohne anwaltlichen Beistand gestand der Hilfsarbeiter dreimal, die Morde begangen zu haben. Die Geständnisse widerrief er, er begründete sie damit, dass er dem Druck der Polizei nicht habe standhalten können. Spuren am Tatort ließen sich nicht finden, die Tatwaffe blieb verschwunden, es gab keine Zeugen, keine Beweise.
Dennoch verurteilte ihn das Landgericht Mainz im Juli 1972 in einem umstrittenen Indizienprozess zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Bis heute beharrt Bräunig darauf, den Doppelmord an Mutter und Tochter nicht begangen zu haben. Seit den siebziger Jahren bemühen sich Anwälte vergeblich um eine Wiederaufnahme in diesem Fall. Auch sämtliche Versuche, wenigstens eine vorzeitige Entlassung zu erreichen, scheiterten. Die Koblenzer Richter sahen eine Rückfallgefahr, weil Klaus Bräunig nicht bereit war, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen, sondern diese konsequent leugnete.
Gutachten: Keine Gefahr von Bräunig
2019 und 2021 legte Bräunigs Rechtsanwältin, die Münchner Strafverteidigerin Carolin Arnemann, gegen die lange Haftzeit Verfassungsbeschwerden ein. Im März 2023 entschied schließlich das Bundesverfassungsgericht: Es folgte der Argumentation der Anwältin, dass nach so langer Haft auch das Alter bei der Beurteilung des Inhaftierten berücksichtigt werden müsse und hob die Entscheidungen des Landgerichts Koblenz auf. Das musste sich nun erneut mit der Frage beschäftigen, ob Klaus Bräunig zur Bewährung entlassen werden kann. Dafür wurde eine psychiatrische Begutachtung des 79-jährigen beauftragt. Die verlief für Bräunig positiv: Der Gutachter konnte keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen, dass von Bräunig eine Gefahr ausgehen könnte.
Klaus Bräunig will nun weiter für einen Freispruch kämpfen. Sein Antrag, den Mordprozess neu aufzurollen, liegt den Justizbehörden in Rheinland-Pfalz seit fünf Monaten vor. Die Hürden für Wiederaufnahmen sind hoch, doch Bräunigs Anwältin ist optimistisch. Sie sieht Chancen, dass es tatsächlich zu einer neuen Verhandlung kommen könnte: „Dem Gericht liegen jetzt neue Erkenntnisse vor, es gibt Hinweise, die Zweifel an der Täterschaft von Klaus Bräunig begründen.“
Ihr Antrag werde derzeit durch das Landgericht Bad Kreuznach geprüft. In diesem Zusammenhang würden auch Ermittlungen geführt, des weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Mainz in einem anderen Mordfall abgewartet. Die ARD strahlte im Juni eine Doku zu den neuen Hinweisen aus. Sollte es tatsächlich zu einer Wiederaufnahme und womöglich zu einem Freispruch von Klaus Bräunig kommen, wäre das, so die Anwältin, einer der größten Justizskandale Deutschlands: „Mir ist kein Fall in Deutschland bekannt, wo ein Mensch 53 Jahre unschuldig im Gefängnis verbracht hat.“
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