Länder und Abgeordnete gegen Atomkraft: 70 Seiten gegen den Atomplan

Bundesrat umgangen, Sicherheit der Bevölkerung nicht ernst genommen: Das Bundesverfassungsgericht muss entscheiden, ob Laufzeitverlängerungen rechtens sind.

Das schon ein wenig in die Jahre gekommene Akw Biblis. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Rüge ist deutlich: Es hat sich nicht um "ein Glanzstück von Parlamentsarbeit" gehandelt. Sie kommt von CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert. Kurz nachdem die schwarz-gelbe Koalition den Ausstieg aus dem Atomausstieg beschlossen hatte, war das, Herbst letzten Jahres. Am Montag haben nun fünf SPD-geführte Bundesländer gegen die verlängerten Atomlaufzeiten eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht - Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Offiziell gibt sich die Regierung gelassen. Doch im Umweltministerium heißt es: "Jetzt kommt auf uns Arbeit zu." Die Beamten müssen Gegenreden vorbereiten. Die Atomnovelle sei mit "dem Grundgesetz unvereinbar", erklärt Karl-Heinz Klär, Vertreter von Rheinland-Pfalz beim Bund.

Der Hauptvorwurf: "Jede Verlängerung hätte der Zustimmung des Bundesrates bedurft" - die Bundesregierung missachte "wissentlich die Rechte der Länder". Die Regierung ließ die Länderkammer außen vor, setzte die 11. und 12. Atomnovelle in Kraft, verlängerte mit der einen die Laufzeiten, mit der anderen veränderte sie die Sicherheitsauflagen. Ein Ja des Bundesrates war ausgeschlossen: Der Koalition fehlt die Mehrheit, seit Rot-Grün NRW regiert.

Nur: Die Berliner Rechtsanwaltskanzlei Becker, Büttner, Held und die beiden Professoren Georg Hermes und Joachim Wieland sehen ein Mitspracherecht der Länder. Sie haben die 70-seitige Klageschrift aufgesetzt, in der steht: Schon allein weil die Atomkraftwerke mit dem Alter störanfälliger würden, bekäme die Verwaltungstätigkeit der Länder "eine wesentlich andere Bedeutung". Die Länder haben die Atomaufsicht.

Diejenigen, die klagen, sind davon allerdings wenig betroffen - bei ihnen stehen keine Atomkraftwerke. Ihnen geht es aber auch gar nicht um Mehraufwand und -kosten, sondern um Politik. Sie fürchten den "technologischen Rückschritt" (Volkmar Schöneburg, Linke, Justizminister, Brandenburg), den "Stopp des Ökostromausbaus" (Reinhard Loske, Grüne, Umweltsenator, Bremen). Und es geht ihnen ums "Prinzip" (SPD-Mann Karl-Heinz Klär) - wer bestimmt was. "Wenn alles gut läuft", sagt Verfassungsrechtler Wieland, könne die Klage Ende des Jahres erstmals verhandelt werden. Erfolgschancen? "Eindeutig über 50 Prozent."

Ohnehin ist die Atomnovelle nicht nur wegen ihres Zustandekommens wackelig. Bundestagsabgeordnete von SPD und Grünen klagen ebenfalls. Sie werfen der Bundesregierung vor allem vor, die dem Staat obliegende Schutzpflicht für die Bevölkerung zu verletzen. Die Atomkraftwerke seien auf längere Laufzeiten nicht ausgelegt, Sicherheitsstandards zu lasch. CDU-Umweltminister Norbert Röttgen hat zwar erklärt, es gebe keine Abstriche bei der Sicherheit, und mit den Ländern sei eine Nachrüstliste verabredet. Fristen setzte er aber nicht. Neckarwestheim 1, einer der ältesten Reaktoren Deutschlands, ist der erste, der von der Atomnovelle profitiert. Die Sicherheitstechnik, das kritisierte Greenpeace unlängst, wurde jedoch seit Jahren nicht modernisiert.

Und noch ein Punkt könnte die Verfassungsrichter beschäftigen. Die Novelle sieht vor, dass Meiler, die vor 1980 ans Netz gingen, 8 Jahre zusätzlich bekommen, die neueren 14 Jahre. Wissenschaftlich-technisch ist die 80er-Jahre-Grenze nicht begründet. Schon das Hartz-IV-Gesetz musste die Regierung ändern, weil die Verfassungsrichter die Regeln für nicht nachvollziehbar hielten.

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