Ladenprojekt in Leipzig: Das bange Warten aufs Geschäft

Das Ladenprojekt ConHanHop in der Leipziger Eisenbahnstraße ist eines der letzten seiner Art. Es liegt in mittlerweile begehrter Lage. Es ist bedroht.

Illustration einer Wand mit Baugerüst davor

Am und ums Haus, die Spuren einer bewegten Zeit Illustration: Jeong Hwa Min

LEIPZIG taz | Die Eisenbahnstraße in Leipzig bietet eigentlich zu jeder Tageszeit die komplette Reizüberflutung: Motoren heulen auf, Leute unterhalten sich laut von einem Gehsteig zum anderen, die Straßenbahn kommt. Der verlockende Geruch aus den Imbissen mischt sich mit dem Gestank aus Gullys. Mittendrin steht ein altes Haus, das ausschaut, als hätte es sich verpuppt.

Es ist eingehüllt in ein weißes feinmaschiges Netz, ähnlich wie Fliegengitter. Kämpft man sich unter das Baugerüst, kommt eine weitere Schicht des Kokons zum Vorschein: Die unteren zweieinhalb Meter des Hauses sind Schicht über Schicht mit Plakaten für Solikonzerte und Demos beklebt, wie eine antifaschistische Litfaßsäule. Die Eisenbahnstraße 97, im Viertel E97 genannt, beherbergt 9 Mietparteien und dazu das linke Ladenprojekt ConHanHop und die Kneipe Goldhorn.

Ein Wohnzimmer zur Straße hin

Die Besonderheit

2013 wurde die E97 nach Leerstand wieder bezogen. Bei einem ersten Mietkampf handelten die Mieter:innen günstige Staffelmietverträge bis 2040 aus. Mittlerweile sind die Mieten um die Eisenbahnstraße stark gestiegen.

Das Zielpublikum

Vom Viertel fürs Viertel und darüber hinaus. Im Laden­projekt trifft man sich zum selbstorganisierten Deutschunterricht, zur Kunstausstellung, zum Jazzkonzert, zum Filmabend über die Situation an der Grenze zu Belarus oder einfach zum Abhängen.

Hindernisse auf dem Weg

Auch ohne das Gerüst muss man die Tür zum ConHanHop unter all den Plakaten und Stickern erst mal erkennen. Außerdem gibt es keine offiziellen Öffnungszeiten und keine Internetpräsenz. Einfach rumkommen und gucken, ob was geht.

Als die E97 vor mehr als 10 Jahren aus dem Leerstandsschlaf erweckt wurde, klebten am Schaufenster noch die Buchstaben eines einstigen Secondhand-­Shops. Genauer gesagt stand dort: „con han hop“. So wurde der Name der Räumlichkeiten geboren, die zuerst dem Haus als Wohnzimmer dienten, dann aber immer mehr zur Straße geöffnet wurde, erzählen Rita und Nathalie, die in WGs über dem Ladenprojekt wohnen. Heute ist das ConHanHop ein öffentlicher Ort und in ganz Leipzig bekannt.

Durch den Eingang kommt man in einen Raum mit zerkratztem Holzboden, in einer Ecke ist er von einem ausgetretenen Teppich bedeckt. Dahinter findet sich ein kleinerer Raum mit selbstgebauter Theke. Die Wände haben Wasserflecken, sind zugestickert und vollgetaggt. An einer Wand steht gesprayt: „There is no business like no business“.

Der Spruch ist Programm: „Wir sind unkommerziell und wollen niederschwellig zugänglich sein“, sagt Rita. Nathalie ergänzt: „Hier im Viertel treffen sehr unterschiedliche Gruppen von Menschen aufeinander. Viele Leute haben aber gemeinsam, dass sie nicht so viel Geld haben.“ Alle Veranstaltungen finden deshalb auf Spendenbasis statt. „Immer wieder kommen Leute aus der Nachbarschaft und sagen, dass es ein großer Verlust für sie wäre, wenn das ConHanHop hier rausmüsste“, sagt Rita.

Die Mie­te­r:in­nen der E97 kämpfen nämlich seit fast einem Jahr für ihr Zuhause. Dabei haben sie eigentlich ziemlich günstige Staffelmietverträge, festgelegt bis 2040.

Begonnen hat es vergangenen Sommer mit Gerüchten, dass das Haus den Eigentümer gewechselt habe. „Unsere günstigen Mieten scheinen dem neuen Vermieter ein Dorn im Auge zu sein, er will uns hier raus­ekeln“, meint Nathalie. Rita erklärt, wie die vorteilhaften Mietverträge einst zustande kamen: „Jetzt ist die Gegend um die Eisenbahnstraße sehr beliebt. Aber noch vor 15 Jahren war es hier wie eine Geisterstadt.“ Damals waren Haus­ei­gen­tü­me­r:in­nen froh, wenn sie ihre Wohnungen überhaupt vermieten konnten.

Die WG, in der wir uns zum Gespräch treffen, hat hohe Decken, die löchrigen Wände sind untapeziert. Die Be­woh­ne­r:in­nen des Hauses haben sich nach dem Einzug 2013 die runtergerockten Wohnungen größtenteils selbst zurechtgemacht. Aus den Fenstern sieht man die Straße seit Wochen nur durch das weiße Netz am Baugerüst. Informiert über Baumaßnahmen werden die Mie­te­r:in­nen nicht. Aber: „Manche Fenster sind von großen Werbebannern komplett verdunkelt“, sagt Rita.

Kein warmes Wasser mehr

Im Badezimmer steht ein Wäscheständer in der Wanne, sie wurde seit drei Jahren nicht genutzt. Die Fugen sind nicht dicht, das Wasser würde in die Wand laufen. Weder der alte noch der neue Vermieter wollte sich darum kümmern. Duschen ist in der E97 sowieso gerade ein schwieriges Thema. Seit Ende Mai haben die Be­woh­ne­r:in­nen des Hauses kein warmes Wasser, kochen können sie auch nicht. Die Gasversorgung wurde ohne nachvollziehbaren Grund unterbrochen, anscheinend wurde im Keller ein Hauptgashebel umgelegt, nun müsste der Vermieter die Leitungen überprüfen lassen. Aber nichts passiert. Den Vorwurf eines Einwirkens von Vermieterseite weist diese gegenüber der taz zurück.

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Nathalie empört sich: „Wir werden hier schikaniert.“ Die Hausgemeinschaft ist zunehmend beunruhigt, denn der Hausverwalter, der Bruder des Eigentümers, sei cholerisch aufgetreten und baue Bedrohungsszenarien auf.

Wie überall sterben Ladenprojekte auch um die Eisenbahnstraße aus. Das ConHanHop ist eines der letzten im Viertel. Die Kneipe Goldhorn steht bereits vor dem Ende. Nach Auslaufen des alten Vertrags war die neue Miete zu teuer, im September ist Schluss. Bleibt nur zu hoffen, dass aus dem Kokon der E97 nicht dereinst eine schillernde Luxusimmobilie schlüpft.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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