Labours Nachwahlniederlage: Boris Johnsons giftiges Erbe
Die Tories konnten in den Nachwahlen Boris Johnsons Wahlkreis verteidigen – unsensiblen Umweltschutzmaßnahmen von Labour zum Dank.
D as kam jetzt einigermaßen überraschend. Großbritanniens Konservative stecken ein Jahr nach dem Abgang von Boris Johnson im scheinbar dauerhaften Tief, ihre Regierung scheint ideen- und kraftlos – und trotzdem halten sie Boris Johnsons alten Wahlkreis, für den am vergangenen Donnerstag ein neuer Abgeordneter gewählt werden musste. Das ist umso bemerkenswerter, als sie die beiden anderen Nachwahlen am gleichen Tag haushoch verloren.
Die Labour-Opposition, die sich ihres Sieges in Uxbridge & South Ruislip sehr sicher schien, muss nun Selbstkritik leisten. Das Problem Nummer Eins ist schnell identifiziert: die von Londons Labour-Stadtregierung geplante Ausweitung der Niedrigemissionszonen ULEZ (Ultra Low Emission Zone) von der Innenstadt auf ganz London, also auch die Außenbezirke. ULEZ heißt: Wer ein Auto hat, das nicht emissonsarm genug ist, muss ab Ende August 12.50 britische Pfund (gut 14 Euro) am Tag zahlen, um damit fahren zu dürfen. Man kann sich leicht vorstellen, was von der Gentrifizierung an Londons Außenrand verdrängte Geringverdiener davon halten. Die ULEZ-Tagesgebühr fürs Autofahren, sozial nicht gestaffelt, ist politisch ähnlich unsensibel wie einst Margaret Thatchers Kopfsteuer, ihre Ausweitung durch Londons Labour-Stadtregierung kurz vor Großbritanniens voraussichtlichem Wahljahr 2024 ist ein Geschenk des Himmels für die Tories.
Der bisherige Stil des Tory-Premierministers Rishi Sunak – kompetent und unspektakulär arbeiten in der Hoffnung, dass es jemand merkt – hat politisch bisher wenig gebracht. Aber nun drängt sich manchen Konservativen eine verlockende Alternative auf, pünktlich zu den Wahlen 2024: Sozialpopulismus gegen Klimapolitik. Mit dem Muster „die Abgehängten gegen die Elite“ setzte sich 2016 der Brexit durch, damit holten die Tories bei den letzten Wahlen 2019 unter Boris Johnson einen hohen Wahlsieg. Und jetzt? Boris Johnson mag sich aus der britischen Politik vorerst verabschiedet haben, aber sein politisches Erbe lebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren