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Labour-Parteitag in GroßbritannienAlles auf Rot

Der Labour-Parteitag dürfte der letzte vor der Regierungsübernahme 2024 gewesen sein. Man habe „seine Hausaufgaben gemacht“.

Ein Aktivist schüttet Glitzer über Labour-Vorsitzenden Keir Starmer auf dem Parteitag, 10.10.2023 Foto: Stefan Rousseau/PA Wire/dpa

Liverpool taz | Dass der alljährliche Parteitag der britischen Labour-Partei diesmal ein besonderes Ereignis wird, war von Anfang an klar, denn es könnte der letzte vor den Wahlen 2024 gewesen sein. Für die Partei war es eine Gelegenheit, die Ge­nos­s:in­nen zu animieren. Für alle, die glauben, dass es Zeit für einen Wechsel in 10 Downing Street ist, eine Gelegenheit, Labour auf Herz und Nieren zu prüfen.

So war es ein Heer dunkelblauer Anzüge, wie es bei einem Labour-Parteitag seit den Blair-Jahren nicht gesehen wurde, das sich zwischen Ständen und Veranstaltungen drängelte. Darunter nicht nur Parteimitglieder, sondern auch Leiter und Führungspersonal nationaler und internationaler Unternehmen und Organisationen – so viele, als hätten sie bereits jetzt auf das rote Pferd gesetzt.

Das Motto des Parteitages war „Britain’s Future“. Vielleicht sollte es eher „Back to the Future“ heißen, denn so manche dachten bei Keir Starmer an eine Art Wiedergeburt Tony Blairs, der 1997 fast zwei Jahrzehnte konservative Herrschaft beendete. Starmer soll nun 13 Jahre „Tory-Chaos“ ablösen. „Starmer hat Wind in den Segeln“, beschreibt Peter Mandelson es gegenüber der taz. Er muss es wissen, denn Mandelson war Blairs einstiger Kampagnenleiter.

„Meiner Meinung nach ist Starmer kein Tony Blair, ihm fehlt der Status eines Stars, aber ich glaube, in seiner Denkweise, in seinen Verbindungen mit Menschen, ist Starmer das Nächstbeste.“ Ein dickes Lob von einem Politveteran wie Mandelson. Das Wichtigste sei, dass Starmer ein Programm habe, sagt er dann noch.

Schnelle Veränderungen – aber nicht zu schnelle

In einer Nebenveranstaltung bringt es der ehemalige Vorsitzende der schottischen Labourpartei Jim Murphy auf den Nenner: Starmer hätte aus Tony Blair, aber auch aus Liz Truss gelernt. „Starmer versteht, dass er für schnelle Veränderungen sorgen muss, und gleichzeitig, dass sie nicht so schnell kommen dürfen wie die von Liz Truss“, sagt er. Einer der ersten Veränderungen, versprach die stellvertretende Parteiführerin Angela Rayner, wären verstärkte Arbeiterrechte und das Ende von „Nullzeitverträgen“, also Arbeitsverträge ohne garantierte Mindestarbeitszeit und Mindestverdienst.

Es gibt inzwischen viele Einzelheiten zu Labours Plänen. Ganzheitlich geht es vor allen um das wirtschaftliche Wachstum, wie Schattenfinanzministerin Rachel Reeves erklärte. Die ehemalige Angestellte der britischen Zentralbank könnte die erste Finanzministerin in 800 Jahren britischer Parlamentsgeschichte werden. Es gehe um „Wachstum von unten nach oben und von der Mitte nach außen“, sagte sie, ein Hinweis auf Joe Biden. Mit „Securomonics“ stehe Labour für wirtschaftliche Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit, außerdem für eine Bevorzugung eigener Ressourcen statt Abhängigkeit von Außen. All dies mit starkem Ausbau grüner Investitionen.

Unabhängige Prüfstellen würden alle politischen Programme vor ihrer Einführung prüfen, um eine Politik gegen Betrug, Verschwendung und Ineffizienz zu gewährleisten. Der Saal tobte, als Reeves eine Sondereinheit zum Aufspüren veruntreuter Corona-Staatshilfen ankündigte. Als sie mit ihrer Rede fertig war, hieß der ehemalige Zentralbankchef Mark Carney per Videobotschaft die Pläne von Reeves gut. Selbst er setzt anscheinend auf rot.

Beschleunigung bei Klimazielen und Wohnungsneubau

Am Dienstagnachmittag hielt schließlich Parteichef Keir Starmer seine Grundsatzrede in einem knüppelvollen Raum. Wieder ging es um Wirtschaftswachstum und größere Produktionskapazität, um eine „Partnerschaft des Vertrauens“ mit Industrie und Handel.

Seine Labour-Regierung würde die vom konservativen Premierminister Rishi Sunak verlangsamten britischen Klimaziele wieder auf Tempo bringen und das schwerfällige britische Bau- und Planungssystem reformieren, für den Bau von 1,5 Millionen Wohnungen sowie neue Städte binnen der ersten fünf Jahre. Eine neue staatliche Energiefirma mit Sitz in Schottland werde die Energieversorgung koordinieren. Es gab noch vieles andere. Aber worum es beim Parteitag vor allem ging, war die Frage der Glaubwürdigkeit und immer wieder die Betonung, alles sei zum Wohl arbeitender britischer Menschen.

Verschwörungstheorien hätten nun ihr Zuhause bei den Tories, während Labour seine Hausaufgaben gemacht habe. Diesen Punkt unterstrich Starmer bereits am Anfang seiner Rede, als ein Aktivist für Bür­ge­r:in­nen­par­le­men­te auf ihn zustürmte und unerwartet Glitzerkleber über ihn schüttete.

Nur kurz angeschlagen verkündete Starmer, dass genau dies der Grund sei, weshalb Veränderungen in der Partei durchgeführt worden seien: Labour sei keine Protestpartei mehr. Vor stehend applaudierenden De­le­gier­t:in­nen verurteilte Starmer zudem die Mordangriffe der Hamas auf Israelis und sagte, dass Labour weiterhin an eine Zweistaatenlösung glaube, aber auch an das Selbstverteidigungsrecht Israels. Auch zahlreiche andere Schat­ten­mi­nis­te­r:in­nen verurteilten die Hamas-Aktionen in ihren Reden.

Schweigeminute für israelische Opfer

Dominierte einst unter Jeremy Corbyn Palästina die Auslandsinteressen vieler Genoss:innen, blieb das Thema diesmal auf Nebenveranstaltungen begrenzt, darunter eine mit dem Vertreter der palästinensischen Mission in Großbritannien, Husam Zomlot. Auch dort verurteilten fast alle die Gewalt, sprachen jedoch ausgiebig über die Besatzung als Hintergrund. Fast konnte man meinen, die toten Israelis seien an ihrem Tod selber schuld.

Zur gleichen Zeit war eine Veranstaltung der Holocaust-Bildungsstiftung (HET) mit der Shoah-Überlebenden Hannah Lewis überfüllt. Die Vorsitzenden der „Labour-Freunde Israels“ und der Vereinigung „Jewish Labour Movement“ (JLM) versicherten gegenüber der taz, dass Labour eine veränderte Partei sei und die Erfahrungen mit dem unter Corbyn aufgeblühten Antisemitismus heute Vergangenheit. Palästina-Solidaritätsaktionen am Rande des Parteitags seien „belanglos“ im Vergleich zu früheren Konfrontationen, so JLM-Chef Michael Katz.

Eine zum Parteitag parallele dreitägige Veranstaltung sozialistischer und linker Gruppen „The World Transformed,“ auf der auch Labour- und Gewerkschaftsmitglieder anzutreffen waren, änderte aufgrund der Ereignisse ihr Programm mit einer „Aussprache“ im Namen internationaler palästinensischer Solidarität. Doch auf dem Parteitag selbst standen die Delegierten vereint in einer Schweigeminute für die israelischen Opfer.

Begeisterung über Parteitag: „It was amazing!“

Befragte Labour-Mitglieder äußern einmütig Begeisterung über den Parteitag. Perran Moon, 53, ein Parlamentskandidat in Cornwall und Besitzer eines Unternehmens für E-Auto-Ladegeräte, meint, der Parteitag habe das angesprochen, was die verarmten Kommunen in seiner Region brauchen: weg vom Stückwerk, hin zu einer Vision für das Land, die die wahren Herausforderungen angreift, von den Sorgen der Unternehmen bis zum Gesundheitssystem und zur Wohnungsnot, mit Versprechen erneuerbarer Energie, die auf Cornwalls Mineralien wie Blei und Lithium zurückgreifen werde. „Labour hat uns gehört und will uns direkt unterstützen.“

Lola Oyewusi, 58, Bildungsexpertin aus Maidenhead im südenglischen Kent, sieht im Parteitag die Bestätigung, dass sie ihre Partei zurückgewonnen hätte, nach all den Problemen mit dem Antisemitismus. „Wir sind alle miteinander vereint, um für eine Labour-Regierung zu sorgen. Wir sind die Partei der wiedergeschaffenen Hoffnung.“ Der 19 Jahre alte Politikstudent Nathan Mitz aus Cardiff sagt schlicht: „It was amazing!“

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4 Kommentare

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  • Manches was Starmer von sich gibt klingt ja ganz gut, aber er ist alles andere als glaubwürdig. Dieses Schießen gegen Corbyn ist unnötig, unsympathisch und zeigt auf, dass Starmer ein Opportunist wie Söder hierzulande ist, denn damals als Corbyn angesehen war und Macht in der Partei besaß war er ein treuer Gefolgsmann. Nach Corbyns "Niedergang" beteiligte sich Starmer an dessen Abgang und mobbte Corbyn Anhänger raus.



    Labour hat damit das selbe Problem wie die SPD 2021: ein durchaus gutes Programm + Wechselstimmung + Spitzenkandidat der fast genauso gut bei den konservativen Konkurrenten sein könnte

  • Ob das reichen wird?



    Man wünscht sich ja einen Wechsel, aber es gelang ja nur schwer und ob die Zeit jetzt gekommen ist? Die Partei muss ja auch intern mobilisieren. Da bin ich mir unsicher, ob es gelingen kann.

    • @Andreas_2020:

      Das grösste Problem ist, dass Labour nach Corbyn/mit Starmer deutlich an Profil verloren hat und sich net mehr wirklich von den Tories unterscheidet. Hinzu kommt noch Starmers Opportunismus

  • Na, da warten wir doch mal in aller Ruhe ab, welche Politik Starmer machen wird, sollte er gewählt werden. Wenn ich meine Kristallkugel bemühe, sehe ich das übliche Rechtsabbiegen nach der Wahl