LGBTQ+-Rechte in der Ukraine: Mit russischen Werten nach Europa
Im Krieg wären eingetragene Lebenspartnerschaften für LGBTQ+Menschen noch wichtiger als sonst. Doch ein Großteil der ukrainischen Gesellschaft ist dagegen.
I n der Ukraine sind gleichgeschlechtlich Ehen nicht legal. Anfang März haben einige Dutzend Parlamentsabgeordnete (darunter auch Mitglieder von Selenskyjs Partei Diener des Volkes) den Gesetzentwurf „Über die Institution der eingetragenen Lebenspartnerschaften“ für homo- und heterosexuellen Paare eingebracht. In dem Gesetz geht es weder um standesamtliche oder kirchliche Eheschließungen noch um Taufe gemeinsamer Kinder.
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Das Hauptaugenmerk liegt auf den Bedürfnissen ukrainischer LGBTQ+-Soldat*innen, deren Partnerschaften der Staat formal anerkennen können soll. Die Verfasser dieses Gesetzes sagen, dass die Möglichkeit einer solchen eingetragenen Partnerschaft nicht nur bei Fragen nach materiellem Besitz wichtig ist, sondern auch bei Aspekten wie dem Besuch des Partners oder der Partnerin im Krankenhaus oder der Entscheidung darüber, wie ein im Krieg Gefallener bestattet wird.
Ja, in der Ukraine geht es bei eingetragenen Lebenspartnerschaften jetzt auch um Kriegsverletzungen, Gefangenschaft oder den Tod des Partners oder der Partnerin. Zugleich sind solche Partnerschaften auch eine Alternative für all jene, die nicht heiraten können oder wollen. Gleichgeschlechtliche Paare können so den Status von nahen Angehörigen erhalten, auch ohne Eheschließung. Das Gesetz regelt jedoch nicht die Frage der Vaterschaft.
Dem Gesetzentwurf schlug eine Welle des Hasses entgegen! Hass auf einem Level, auf dem die Ukrainer sonst nur Putin und die Russen verfluchen. Die sozialen Medien waren voll von Kommentaren wie „In der Ukraine soll die Familie zerstört werden“, „Lasst uns die traditionellen Werte bewahren!“
Scharf verurteilt wurde das Gesetz von der Kirche, und mehrere Stadtverordneten wandten sich mit aggressiven Äußerungen an die Regierung. Bei uns in Luzk verglichen Stadtverordnete LGBTQ+-Soldat*innen, die für unseren Staat kämpfen, mit „Pädophilen und Drogensüchtigen“.
Zufälligerweise gerade jetzt wird in der Ukraine darüber diskutiert dass in einem abgeschiedenen Karpatendorf, wo genau diese „traditionellen“ Werte noch herrschen, eine Gruppe Schülern eine 14-jährige Mitschülerin vergewaltigt hat. Das ganze Dorf wusste davon, weil die Teenager ein Video davon gemacht hatten. Das Dorf mit den „traditionellen Werten“ verteidigte die Vergewaltiger und der Richter verurteilte sie zu Bewährungsstrafen.
Man kann hundert Mal schreiben, dass die „traditionelle Familie die Verbindung zwischen Frauen und Männern ist“, aber es kann passieren, dass der Vater eines Kindes im Krieg stirbt und es jetzt nur von der Mutter großgezogen wird. Und Mutter und Kind sind eben auch Familie – eine richtige und vollwertige.
Und es kann passieren, dass eine russische Rakete das Haus trifft und das Kind jetzt bei der Großmutter aufwächst. Oder bei der Familie einer Freundin der Mutter. Dann hat das Kind eine neue Familie. Wie bewertet man das dann – hat dieses Kind dann eine traditionelle ukrainische Familie oder eine nicht-traditionelle?
In der Ukraine kämpfen Menschen aus der LGBTQ+-Community in der Armee. Und während noch vor einigen Jahren vielleicht ein Soldat, eine Soldatin anonym über seine oder ihre homosexuelle Orientierung mochte, gibt es mittlerweile in den Streitkräften über hundert Kämpfende, die sich offen als LGBTQ+ outen. Und es werden mehr, die offen darüber sprechen. Und diese Militärangehörigen haben Partnerinnen und Partner, die Anspruch auf rechtlichen Schutz und auf garantierte Rechte seitens des Staates
Die Ukraine muss sich jetzt mit dem europäischen Stand der Entwicklung bei Freiheit und der Achtung von Menschenrechten auseinandersetzen. Wir versuchen der Welt zu zeigen, dass wir ein Land sind, das sich den Werten der „russischen Welt“ entgegen stellt und Religionsfreiheit verkündet. Aber gleichzeitig schränken wir die Rechte „Andersdenkender“ ein.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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