LGBT in Russland: Gefängnis für die Liebe
Ein russischer Journalist im Exil hat geheiratet und sich geoutet. Er setzt damit ein Zeichen gegen Putins Anti-LGBT-Kampagne.
E ine Nachricht hat mir diese Woche Tränen in die Augen getrieben. Freudentränen zur Abwechslung mal. Der russische Journalist Mikhail Zygar gab bekannt, seinen Partner, den russischen Schauspieler Jean-Michel Scherbak, geheiratet zu haben. Mit dieser Bekanntmachung outete sich Zygar gleichzeitig. Auf Instagram schrieb er: „Liebe, Freiheit, Wahrheit, Glück. Es ist an der Zeit, uns selbst zu befreien.“
Zygar ist bald nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ins Exil nach Berlin gegangen. Seit März schreibt er eine Kolumne für den Spiegel. Bis 2015 war er Chefredakteur des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doschd und schrieb zudem herausragende Bücher wie „Endspiel. Die Metamorphosen des Wladimir Putin“, das den Weg Putins hin zum „schrecklichen Zaren“ nachzeichnet und erklärt.
Für die verbliebene LGBT-Community in Russland ist es ein wichtiges Zeichen, dass sich Prominente wie Zygar outen – auch wenn dies nur außerhalb ihrer Heimat möglich ist. Erst im Juli hatte die russische Tennisspielerin Darja Kassatkina (sie lebt in Dubai und Spanien) in einem Interview bekannt gemacht, dass sie homosexuell ist. Auch sie veröffentlichte später auf Instagram ein Foto von sich und ihrer Partnerin, der Olympia-Eiskunstläuferin Natalia Zabiiako.
Seit dem 24. Februar sind die schönen Momente weniger geworden. Umso mehr freut mich die Nachricht über Zygars Coming-out. Auch deshalb, weil sie wie ein symbolischer Mittelfinger gegenüber dem russischen Terrorregime ist. Dieses Regime führt seit Jahren einen erbitterten Kampf gegen LGBT. Seit dem Verbot der sogenannten Homosexuellen-Propaganda 2013, mit dem sich Russland von „Gayropa“ abgrenzen wollte, das angeblich auf die Vernichtung traditioneller russischer Werte abziele, haben Gewaltverbrechen gegen LGBT in Russland zugenommen. Aktivist:innen werden körperlichem und psychischem Terror ausgesetzt und strafrechtlich verfolgt.
LGBT-Feindlichkeit ist in Russland tief verwurzelt
Wie ernst es der Staat meint, sieht man an der Aktivistin Yulia Tsvetkova. Gegen sie wurde 2019 ein Strafverfahren eröffnet. Tsvetkova hatte gleichgeschlechtliche Paare mit Regenbogen gemalt und auf ihrem VKontakte-Profil veröffentlicht. Sie wurde beschuldigt „pornografisches Material hergestellt und verbreitet“ zu haben. Nach mehreren Hausarresten droht ihr aktuell, erneut inhaftiert zu werden.
Zur traurigen Wahrheit gehört, dass sich an der Verfolgung von LGBT viele in Russland nicht stören. Putin weiß das. Schwulenfeindliche Witze gehören zum guten Ton. Schwule werden in einem Atemzug mit Pädophilen genannt. Unliebsame Personen diskreditiert man, indem man sie der angeblichen „Homo-Propaganda“ bezichtigt. So geschehen mit dem Journalisten und Youtuber Juri Dud. Er hatte sich öffentlich gegen den russischen Krieg gegen die Ukraine ausgesprochen.
Allein gegen die Ukraine zu hetzen, reicht der Führung in Russland nicht mehr aus. Es läuft eine Kampagne gegen die LGBT-Community. Ein russischer Politiker sagte kürzlich, LGBT seien eine „hybride Kriegswaffe“ des Westens. Und von einem Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche hieß es, die Verabschiedung des Gesetzes, dass „Homo-Propaganda“ nicht mehr nur für Minderjährige, sondern auch für Erwachsene verbieten soll, wäre mit einem großen militärischen Sieg vergleichbar. Ich kotze.
Russland verwandle sich gerade in ein großes Gefängnis, schrieb Zygar im September in seiner Spiegel-Kolumne. Der Journalist konnte dieses Gefängnis noch verlassen. Sein Coming-out, die Hochzeit mit seinem Mann ist vielleicht auch eine Art Ausbruch aus einem Gefängnis, das Russland seit vielen Jahren für LGBT im Land geschaffen hat. Herzlichen Glückwunsch, Mikhail Zygar. Ich hoffe auf viele weitere Ausbrüche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen