Liquidierung russischer LGBTIQ-Stiftung: Kriminalisierung von Queers

Die Lage für russische Menschenrechtsorganisationen verschlechtert sich stetig. Nun steht die größte LGBTIQ-Stiftung Sphere kurz vor der Auflösung.

Vier junge Menschen mit rotem Klebeband über dem Mund

Protest gegen die Einschränkung von LGBTIQ-Rechten 2019 in St. Petersburg Foto: Anton Vaganov/Reuters

Bei der angekündigten Liquidierung der Charitable Foundation Sphere handelt es sich um einen der bedeutsamsten Fälle der Einschränkung von LGBTIQ-Rechten in der Geschichte des modernen Russlands“, sagt Irina Petrow. Sie ist Sprecherin der bedrohten Stiftung, aus Sicherheitsgründen tritt sie hier nicht mit ihrem echten Namen auf. Sie sitzt in ihrem Büro in St. Petersburg, das Gespräch findet via Zoom statt, an der Wand im Hintergrund hängt eine Regenbogenfahne. Es ist der sechste Tag seit dem militärischen Einfall Russlands in die Ukraine und der Schock sitzt auch bei den Mit­ar­bei­te­r*in­nen von Sphere tief.

Seit Februar liegt ein Antrag auf Auflösung der größten LGBTIQ-Organisation Russlands vor. Erst im Dezember hatten die russischen Behörden die Liquidierung von Memorial, einer der ältesten Menschenrechtsorganisationen in Russland, angeordnet. Auch eine Reihe von Forschungszentren und Medienhäusern mussten in den vergangenen Monaten schließen. In der Klage gegen Sphere heißt es nun, die Stiftung verstoße gegen die Idee der Wohltätigkeit, weil sie primär LGBTIQ-Personen unterstütze. Die Organisation wolle die „moralischen Grundlagen der Russischen Föderation“ verändern und „Zwietracht in der russischen Gesellschaft säen“. Alles zusammen: „grobe Verfassungsverstöße“. Petrow hält daran fest, dass es kein Gesetz gebe, nach dem man nicht gezielt LGBTIQ-Personen helfen dürfe. „Wenn die Klage in der aktuellen Formulierung erfolgreich ist, wäre ein Präzedenzfall geschaffen, der es dem russischen Justizministerium ermöglicht, alle LGBTIQ-Organisationen zu liquidieren oder deren Gründung zu verunmöglichen“, sagt sie.

Seit 2011 bietet Sphere psychologische Beratung und Rechtsbeistand zu queeren Themen an. Internationale Aufmerksamkeit bekam die Stiftung vor allem für das Rapid-Response-Programm, mit dem die Stiftung seit 2017 Queers zur Flucht aus Tschetschenien verhalf. Laut Petrow haben Fragen zu Asyl, Migration und Flucht aus Russland schon immer einen Großteil ihrer Arbeit ausgemacht. „Es gibt keine weitere Organisation in Russland, die diese Art von Arbeit leistet und sich international für Informationskampagnen und das Monitoring von LGBTIQ-Rechten einsetzt“, sagt Petrow. Sphere brachte in den vergangenen Jahren Fälle von Hassverbrechen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und arbeitete regelmäßig UNO-Berichte aus.

Schon immer feindlich gesinnt

Die Arbeit für LGBTIQ-Ak­ti­vist*in­nen in Russland wird immer schwieriger. Igor Kochetkov hat das Land schon aufgrund politischer Repression verlassen und versucht nun, aus dem Ausland aktiv zu sein. Kochetkov ist eine wichtige Figur für die queere Community, er ist Mitgründer von Sphere sowie des russischen LGBT-Network, einer überregionalen Bewegung, unter deren Label sich seit 2006 verschiedene queere Organisationen und Ak­ti­vis­t*in­nen aus ganz Russland versammeln. Im Gespräch mit der taz sagt er: „Die russische Regierung war den LGBTIQ-Organisationen schon immer feindlich gesinnt, sie erklärten uns zu ‚ausländischen Agenten‘ und diffamierten uns im Staatsfernsehen. Aber die angekündigte Auflösung von Sphere ist eine neue Stufe der Repression.“ Er stimmt mit Petrow überein, dass er sich sicher ist, dass die Klage der Versuch ist, die gesamte Bewegung auszuhebeln und psychologischen Druck aufzubauen. Die Atmosphäre von Angst und Verfolgung unter Queers und Ak­ti­vis­t*in­nen spitze sich zu.

Die Vorwürfe fußen auf dem „Gesetz über die Propagierung nicht-traditioneller sexueller Beziehungen unter Minderjährigen“, das 2013 verabschiedet wurde. Umgangssprachlich als „Gesetz gegen Homopropaganda“ bekannt, wird es seitdem in seinen vagen Auslegungsmöglichkeiten gegen Menschen und Lebensweisen angewandt, die „traditionellen russischen Werten“ widersprechen. In seinen Reden beruft sich Putin regelmäßig auf diese „Werte“. Bei einer Veranstaltung im vergangenen Oktober dienten sie ihm als Grundlage, den Support von trans Personen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu bezeichnen. In seiner Rede am 21. Februar, die einer Kriegserklärung an die Ukraine gleichkam, sprach Putin vom notwendigen Schutz „traditioneller Werte“ vor dem Westen. Das größte Projekt von Sphere im vergangenen Jahr war eine Kampagne gegen das Propagandagesetz.

Seit 2016 steht Sphere als eine der ersten NGOs in Russland auf der Liste „ausländischer Agenten“. Regierungskritische Medien, NGOs, registrierte soziale Bewegungen und Einzelpersonen können seit 2012 unter das „Foreign Agent“-Gesetz fallen. Sie sind gesetzlich dazu verpflichtet, diesen Status in ihrem öffentlichen Auftreten transparent zu machen und spezielle Rechenschaft über alle Einnahmen und Ausgaben abzugeben. Laut Kochetkov erhielten fast alle LGBTIQ-Organisationen den Großteil ihrer finanziellen Unterstützung aus dem Ausland. Einmal auf der Liste „ausländischer Agenten“, bricht diese Finanzierung weg.

„Seit November 2021 werden LGBTIQ-Themen als Frage der nationalen Sicherheit behandelt“, sagt Kochetkov. Organisationen und Personen können nun auch aufgrund realer oder angenommener finanzieller Verbindung zu gemeinnützigen Stiftungen verfolgt und zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden. Durchexerziert wurde diese Maßnahme bereits an vier unregistrierten russischen LGBTIQ-Organisationen. Lediglich das Arbeitsfeld LGBTIQ reiche aus, um zum „ausländischen Agenten“ erklärt zu werden. Kochetkov steht als Einzelperson auf der Liste. Er rechnet damit, dass die Queerfeindlichkeit in der russischen Gesellschaft in dem Maße zunehme, wie die Arbeit der NGOs und Ak­ti­vis­t*in­nen abnehme. Schon nach der Verabschiedung des Propagandagesetzes sei das spürbar gewesen.

Gerichtstermin am 29. März

Die Klage gegen Sphere landete Anfang Februar schon einmal vor Gericht. Richterin Irina Vorobyeva fand die genannten Gründe für den Auflösungsantrag nach geltendem russischen Recht zunächst unzureichend und vertagte die Verhandlung. Petrow hält Vorobyeva für die letzte Richterin im russischen Rechtssystem, die sich für faire Prozesse einsetzt. Die Klage wurde nun ein zweites Mal vorgebracht, ohne die von der Richterin geforderte Reformulierung.

Mittlerweile steht dafür der Gerichtstermin fest, es ist der 29. März. Und dieses Mal wird die Verhandlung nicht von Vorobyeva geführt. „Der Druck des Justizministeriums ist groß. Wir und unsere An­wäl­t*in­nen gehen davon aus, dass wir als Organisation aufgelöst werden. Es wird ein kurzer Prozess werden“, sagt Petrow.

Im Anbetracht des Krieges rücke der Fall in den Hintergrund. „Im Moment beschäftigen uns Fragen des Überlebens. Wir geraten in Russland gerade wieder in die totale Isolation. Noch mehr Menschen als sonst wollen das Land verlassen. Aufgrund der Sanktionen ist das allerdings kaum möglich“, sagt Petrow. Niemand wisse, wie lange der Krieg in der Ukraine andauern werde und welche Rechte für Queers danach in Russland noch übrig blieben.

Auch Kochetkov beschreibt die wachsende Angst der queeren Community, nicht mehr aus dem Land zu kommen. Er sagt: „Es braucht unbedingt mehr Programme humanitärer Visa vonseiten der EU für Ak­tivs­t*in­nen und Queers aus Russland.“

Sphere aufgeben ist für Petrow trotz des Kriegs keine Möglichkeit. Ihre Arbeit sei das Einzige, was sie und das Team bei Verstand halte. „Solange es geht, werden wir unsere Arbeit an die Umstände anpassen und weitermachen. Nicht zu kämpfen bedeutet aufgegeben zu haben, und das haben wir nicht.“

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