Kurt Beck über Andrea Nahles: „Die SPD darf kein Wolfsrudel sein“
Kurt Beck hat Erfahrung mit Machtkämpfen innerhalb der SPD. 2008 wurde er gestürzt – und sieht Parallelen zum Rücktritt von Andrea Nahles.
taz: Herr Beck, verstehen Sie, warum Andrea Nahles das Handtuch geworfen hat?
Kurt Beck: Ich kann das nachvollziehen. Sie hatte den Eindruck, dass sie nicht mehr genug Unterstützung hatte, um ihre Führungsaufgabe wahrzunehmen. Sie hat die Konsequenz gezogen. Das verdient Respekt.
Sie sind 2008 am Schwielowsee als SPD-Chef zurückgetreten. Wurden Sie damals weggemobbt?
Ich spreche nicht von Mobbing – aber es gab unfaire Methoden. Es wurden gegen alle Absprachen Informationen an Medien durchgestochen. Die Verabredung war, dass ich als Parteivorsitzender Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten vorschlage. Ich selbst wollte nicht als Kanzler kandidieren, die Lage war damals zu schwierig. Doch dieses abgesprochene Verfahren wurde mit gezielten Indiskretionen unterlaufen. In Vorab-Berichten wurde in Medien der Eindruck geschürt, ich sei zu der Entscheidung getrieben worden, Steinmeier die Kandidatur anzutragen.
War Ihnen sofort klar, dass Sie zurücktreten?
In der Nacht vor dem Sonntag am Schwielowsee habe ich eine Pro-und-Contra-Liste gemacht: Was spricht für einen Rücktritt, was dagegen? Welche Fehler sind reparabel, welche nicht? Der Rücktritt schien mir dann zwingend.
Waren Sie wütend auf die Illoyalen, oder hatten Sie das Gefühl, versagt zu haben?
Das ist immer eine Mischung. Es gab Selbstzweifel. Aber ich war nicht wütend, sondern bitter enttäuscht. Ich hatte gedacht: Wir haben alles gut vorbereitet, alle sind eingebunden. Wir hatten Absprachen getroffen. Aber es wurde anders gespielt. Deshalb reifte die Erkenntnis: Es geht nicht mehr. Genau so wie jetzt offensichtlich bei Andrea Nahles.
Kurt Beck, 70,war von 1994 bis 2013 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und von 2006 bis 2008 SPD-Vorsitzender. Nach einer Parteiklausur trat er als Parteichef zurück, weil er eine Intrige gegen ihn vermutete.
Sie sprachen damals von „Halbverrückten in den Büschen“ in der SPD, die Intrigen gegen Sie gesponnen hätten. Die Nahles-Verteidiger sagen heute, dass es aus der Fraktion feige, anonyme Angriffe gab …
Die Vorgehensweisen damals gegen mich und heute gegen Andrea Nahles sind vergleichbar. Anstatt das direkte Gespräch zu suchen, wurden immer wieder Botschaften in Medien platziert. Gegen solche Angriffe kann man sich schwer wehren und wappnen. Diese Verhaltensweisen sind illoyal. Kritik sollte man direkt äußern, nicht hinterrücks über die Presse. Die sozialen Medien haben die Möglichkeiten, sich illoyal zu verhalten, enorm vergrößert.
2008 hat die Hauptstadtpresse gegen Sie Stimmung gemacht. Die Munition kam auch aus der Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus ...
Wirklich nicht aus dem ganzen Willy-Brandt-Haus. Dort gab und gibt es viele fähige, loyale Mitarbeiter. Aber einige wenige reichen ja für eine Negativkampagne.
Sie waren der letzte SPD-Vorsitzende ohne Abitur. Hat bei den Angriffen gegen Sie Klassen- oder Bildungsdünkel eine Rolle gespielt?
Das weniger. Es war vielmehr die idiotische Haltung, dass guter Geist ausschließlich in Berlin-Mitte rund um die Regierungszentralen existiert. Vielleicht auch noch in Hamburg oder München. Der Rest der Republik ist nur üble Provinz. Mit dieser Haltung hatte Helmut Kohl zu kämpfen. Diese arrogante Dummheit hat bei den Angriffen gegen mich eine große Rolle gespielt.
Medien haben sich über Ihren Dialekt und Ihre Frisur mokiert …
Journalisten, die mich noch nie getroffen hatten, haben geschrieben, ich sei klein, dick und gedrungen. Ich bin 1,83 groß. Es ging nicht mehr darum, meine Stärken und Schwächen zu beschreiben, sondern nur darum, Vorurteile zu bekräftigen.
Nahles ist eine gewiefte Machtpolitikerin. Sie hat 1995 an Scharpings Stuhl gesägt, war später an Münteferings Rücktritt beteiligt und hat geholfen, Sigmar Gabriels Politkarriere zu beenden. Ist ihr Rücktritt jetzt ein Berufsrisiko?
1995 beim Rücktritt von Scharping hat Andrea Nahles böse Fouls gespielt. Das hat uns lange voneinander entfernt. Aber das rechtfertigt nicht die Art und Weise, wie jetzt mit ihr umgegangen wurde. Die Kritik an ihr war nicht unterstützend und loyal. Das war auch ein böses Foul. Am Ende konnte sie nur noch alles falsch machen. Das kenne ich.
Ist die SPD besonders anfällig für Intrigen?
Ich glaube, nicht. Harte Machtkämpfe gibt auch bei der Union. Denken Sie an Erwin Teufel oder Lothar Späth, die auf üble Weise aus den eigenen Reihen gestürzt wurden. Es wird bei der SPD nur mehr öffentlich. Und es ist für uns besonders peinlich, weil wir für Solidarität eintreten. Die muss man in der Partei auch leben.
Juso-Chef Kevin Kühnert hat gesagt, dass man in einer Partei, die Solidarität reklamiere, niemals so miteinander umgehen dürfe. Sie haben 2008 nach Ihrem Rücktritt das Gleiche gesagt. Es hilft offenbar wenig.
Phasenweise schon. Der Lerneffekt von Schwielowsee war eine Weile zu spüren. Aber es gibt immer wieder welche, die in alte Muster zurückfallen.
Ist das politische Geschäft härter geworden?
Es ging schon immer ruppig zu. Denken Sie an Herbert Wehner, der über Willy Brandt sagte: „Der Herr badet gerne lau.“
Sind Intrigen und Machtkämpfe also einfach Teil des Geschäfts? So wie es Ex-Kanzler Schröder gesagt hat: Wem es in der Küche zu heiß ist, der soll halt nicht Koch werden?
Man muss als Spitzenpolitiker Kritik aushalten und auch Fehler eingestehen können. Und robust sein. Aber es darf nicht mit unlauteren Mitteln gekämpft werden. Die SPD darf kein Wolfsrudel sein, in dem ausgebissen wird, wer die Führungsrolle hat. Das werde ich nie akzeptieren.
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