Kurdischer Politiker über seine Flucht: „Nur hier fühle ich mich sicher“
Burhan Kocaman ließ seine Familie in Hamburg zurück, um Bürgermeister in seiner Heimatstadt zu werden. Dann ließ ihn die türkische Regierung verhaften.
taz: Herr Kocaman, was bedeutet es für Sie, in Hamburg zu sein?
Burhan Kocaman: Ich habe nur hier das Gefühl, frei und sicher zu sein. Von der Türkei, wo ich die letzten Jahre war, kann man das nicht behaupten. Dort kommt es immer wieder zu Bombardierungen und überall gibt es Waffen. Ich habe Hamburg vermisst. Hier ist meine zweite Heimat.
Sie verließen Hamburg 2014, um in der türkischen Stadt Karakoç an Bürgermeister für die pro-kurdische Partei HDP zu werden. Wie kamen Sie dazu?
Ich bin in Karakoçan zur Schule gegangen. Viele Menschen kennen mich und ich habe, auch als ich in Hamburg war, den Kontakt gehalten. Weil das Gebiet umkämpft ist, waren meine Gedanken immer dort. Die HDP war hier stark. Es war zu erwarten, dass sie gewinnt. Als Parteimitglieder mich gefragt haben, ob ich für sie als Bürgermeister antrete, habe ich das nicht abgelehnt. Ich wurde mit 52 Prozent der Stimmen gewählt.
Jahrgang 1965, Geschäftsmann aus Hamburg-Altona.
Er wurde 2014 zum Bürgermeister der türkischen Stadt Karakoçan gewählt.
2016 ließ ihn die türkische Regierung verhaften. Ihm gelang die Flucht.
Seit dem 4. Oktober ist er zurück in Hamburg.
Warum haben Sie dafür Ihre Familie und Ihr Leben in Hamburg-Altona aufgegeben?
Meine Familie war hier in Sicherheit. Aber für die Bevölkerung in meiner Heimatstadt Karakoçan und für den demokratischen Kampf war es wichtig, vor Ort zu sein. Die Menschen dort, nicht nur die kurdischen, brauchen Demokratie und Freiheit. Ich wollte meinen Beitrag leisten, auch wenn ich meine Familie dafür zurücklassen musste.
Sie hatten einen Laden in Hamburg-Altona. Wie lange lebten Sie hier?
Ich kam 1993 nach Hamburg und nur einen Monat später habe ich in der Großen Bergstraße in einem Elektronikladen gearbeitet. Ein paar Jahre später habe ich in einem Laden in Kaltenkirchen gearbeitet. Dann hatte ich einen kleinen Imbiss in Ribnitz-Damgarten.
Wie viele andere pro-kurdische Politiker wurden Sie vor einem Jahr festgenommen. Wie lange wurden Sie festgehalten?
Anfang 2016 wurde ich das erste Mal festgenommen. Dabei bekam ich einen Herzinfarkt. Dennoch wurde ich fünf Tage lang verhört. Anschließend lag ich vier Monate lang im Krankenhaus, dann kam ich in die Reha. In dieser Zeit haben die türkischen Behörden meinen Personalausweis und meinen Pass eingezogen und mich mit einem Reiseverbot für das Ausland belegt.
Was genau wurde Ihnen vorgeworfen?
Dass wir uns nicht an die Verfassung gehalten hätten. Wir haben in Karakoçan mit Zustimmung des Stadtrates ein Ko-Vorsitzendenmodell eingeführt. Das heißt, dass neben mir als Mann auch eine Frau Bürgermeisterin ist. Das haben sie zum Anlass genommen, uns beide festzunehmen. Am 27. September 2016 sind wir verhaftet worden. Immer noch krank saß ich vier Monate im Gefängnis.
Wie sind Sie da wieder rausgekommen?
Nach vier Monaten wurde mir der Prozess gemacht. Ich wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt. Ich habe gegen dieses Urteil Beschwerde eingelegt. Weil sich nun ein höheres Gericht mit dem Verfahren befassen sollte, mussten sie mich erst mal frei lassen. Parallel leiteten sie aber ein weiteres Verfahren gegen mich ein – wegen Propaganda und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Als der Prozess eröffnet werden sollte, sagte mir mein Anwalt, ich solle besser nicht erscheinen. Er teilte mir mit, dass ich wegen einer angeblichen Mitgliedschaft in der PKK angeklagt wurde.
Stehen Sie der PKK nahe?
Ich bin nicht wegen irgendwelcher Aktivitäten angeklagt, sondern weil ich mich als Bürgermeister in drei Reden für Frieden, gegen den Krieg und für Gleichberechtigung eingesetzt habe. Deren Inhalte wurden mir im Prozess zur Last gelegt. Doch die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bedeutet ein sehr viel höheres Strafmaß. In der Türkei muss man dafür mit mindestens sechs bis sieben Jahren rechnen. Das wollte ich wegen meines Gesundheitszustandes nicht in Kauf nehmen und so habe ich mich entschlossen, die Türkei zu verlassen.
Wie haben Sie das geschafft?
Ich bin bis zu einem gewissen Ort mit dem Auto gefahren. Von dort aus hat mich jemand begleitet. Wir haben Maultiere genommen und sind mit ihnen über die irakische Grenze geritten. Auf dem Weg mussten wir mehrere Militärposten passieren. Ich habe gehört, dass vor mir drei Leute auf dem selben Weg getötet wurden. Es war ein riskantes Unterfangen.
Sie haben es geschafft, nach Erbil zu entkommen, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan. Was dann?
Dort bin ich zum deutschen Konsulat gegangen und habe gesagt, dass ich viele Jahre in Deutschland gearbeitet und einen Aufenthaltstitel habe und mir die türkische Regierung meinen Pass abgenommen hat. Sie gaben mir eine kleine Karte als Ausweisersatz. Kurz nachdem ich da war, riefen sie mich wieder an und sagten, ich müsse Dokumente aus der Türkei besorgen. Meine Schwester und mein Anwalt haben mir dann alle Papiere geschickt, die sie hatten. Dann sagten sie mir, dass ich ein paar Wochen warten solle. Nach zwei Wochen habe ich angerufen und mich erkundigt, wie es läuft. Sie sagten, ich müsse noch etwas Geduld haben. Ich habe über drei Monate gewartet, bis mir das Konsulat einen Reisepass gegeben hat.
Wie haben Sie diese Zeit verbracht?
Das war keine gute Zeit. Es war zu heiß und im Irak ist der türkische Geheimdienst sehr gefährlich. Er ist überall auf der Suche nach Kurden.
Nach Leuten wie Ihnen.
Ich war nicht viel draußen. Einen Monat bin ich bei einer Familie untergekommen. Aber dann wurde ich krank und habe mir ein günstiges Hotel gesucht. Ich konnte den Betreibern vertrauen.
Woher wussten Sie das?
Sie waren Kurden. Ein Bekannter hat mir gesagt, denen kannst du vertrauen. Ich bin dort zwei Monate geblieben, habe mich sicher gefühlt, aber ich habe das Haus so gut wie nie verlassen. Ich habe ihnen sogar erzählt, dass ich Bürgermeister der HDP bin. Allen anderen habe ich mich als Student aus Ankara ausgegeben. Weil ich da eingeschrieben bin, habe ich einen Studentenausweis. Nicht einmal den kurdischen Sicherheitskräften konnte ich vertrauen.
Deutschland hat Ihnen geholfen, zurück nach Hamburg zu kommen. Gleichzeitig geht auch die Bundesregierung gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK vor. Wie sehen Sie das PKK-Verbot?
Natürlich gucken alle Kurden auf die PKK. Die HDP und die PKK sind aber ganz verschiedene Organisationen. Ich habe mich als Mitglied und Bürgermeister der HDP für die demokratischen Rechte der Kurdinnen und Kurden eingesetzt. Dass das deutsche Konsulat mir geholfen hat, gründet auch darauf. Es ist aber wichtig zu sehen, dass es die Kurden sind, die in Rojava und im Irak für Menschenrechte, Frauenrechte und Demokratie kämpfen. Alle kurdischen Parteien – PKK, HDP, PUK und PYD eingeschlossen – sind Kräfte, die für die Demokratisierung streiten. Deswegen verstehe ich die Haltung Deutschlands nicht.
Was erwarten Sie von Deutschland?
Ganz einfach mehr Sympathie für emanzipatorische Kräfte wie die Kurden und mehr Kooperationsbereitschaft. Von Staaten wie Deutschland und England, in denen die Demokratie gewachsen ist, erwarte ich, dass sie sich für entsprechende Standards einsetzen. Stattdessen halten sich diese Länder an den türkischen Staat, der sich überhaupt nicht an demokratische Maßstäbe hält, Frauen- wie Minderheitenrechte missachtet und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ unterstützt.
Was könnte die Bundesregierung ausrichten, würde sie härtere Saiten aufziehen?
Deutschland hat ein starkes Gewicht für die Kurden und die Türkei. Eine unserer Hauptforderungen war, dass das Abkommen der EU zur Kommunalverwaltung auch von der Türkei anerkannt wird. Deutschland hätte da mehr Druck ausüben sollen. Doch man hat sich nicht darum geschert und jetzt sind wir an einem Punkt, an dem alles auseinanderbricht. Außerdem müsste Deutschland viel stärker kontrollieren, wohin das Geld geht. In diesem Monat fließen fast 80 Millionen Euro aus Deutschland in die Türkei. Nun geht das ganze Geld an die AKP und ihre Organisationen. Das Ungleichgewicht zeigt sich aber auch in Deutschland selbst. Moscheen, die nicht selten vom türkischen Staat organisiert werden, bekommen staatliche Zuschüsse. Während auf der anderen Seite Hunderte kurdische Einrichtungen leer ausgehen.
Wie erleben Sie den Konflikt zwischen Kurden und Türken in Hamburg?
Wir sind verschieden: In der türkischen Ideologie steht an oberster Stelle der Staat, dann kommt die Nation, dann der Islam, dann der Koran. Für das Individuum bleibt da kein Platz. Bei den Kurden hingegen kommt zuerst der Mensch und dann eine Nichtstaatlichkeit, denn es gibt keine vergleichbare zentrale Macht. Dass es hier keinen offenen Konflikt gibt, liegt vor allem daran, dass die kurdische Bewegung Menschen gleich behandelt. Der türkische Staat sagt seinen Anhängern, wo sie einkaufen sollen und welche Firmen und Läden gemieden werden sollen.
Der türkische Geheimdienst MIT ist auch in Deutschland aktiv. Haben auch Sie Angst?
Es geht ja nicht nur um mich. Erdoğans Agentennetz zerstört das friedliche Zusammenleben.
Es heißt, es soll 6.000 türkische Spione in Deutschland geben. Haben deutsche Behörden dieses Problem genügend auf dem Schirm?
Wenn der türkische Geheimdienst hier tätig sein kann, zeigt das, dass die Regierung das Problem nicht ernst genug nimmt. Nach wie vor werden Moscheen nur als Orte gesehen, in denen gebetet wird. Das ist aber oft nicht der Fall. Es gibt hier viele Islamisten, die dem Erdoğan-Regime unterstehen.
Sind deutsche Behörden zu naiv?
Wenn religiöse Orte für radikale Zwecke ausgenutzt werden, dürfen sie in meinen Augen nicht wie religiöse Institutionen behandelt werden. Darin sehe ich die Naivität und eine gefährliche Untätigkeit.
* Übersetzt von Yavuz Fersoglu
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei