Kurdische Demonstration in Hannover: Newrozfest im Zeichen des Krieges

In Hannover haben 11.000 Kurden am Samstag ihr Neujahrsfest gefeiert. Dabei machten sie auf die Lage in der syrischen Stadt Afrin aufmerksam.

Ältere Frau mit grün-gelb-roter Kopfbedeckung und Gesichtsbemalung

eine kurdische Demonstrantin am Samstag in Hannover Foto: Andrea Scharpen

HANNOVER taz | Ayfer Kahraman zittert. Sie beobachtet gerade, wie die Polizei einen Demonstranten in der Innenstadt von Hannover überwältigt. „Sie tun ihm weh“, sagt sie den Beamten immer wieder. Kahraman gehört dem Frauenrat Ronahi an und unterstützt den Protest zum kurdischen Newroz. 11.000 Kurden und Unterstützer sind gekommen, um das Neujahrsfest, das eigentlich am 21. März begangen wird, zu feiern und dabei auf die desolate Situation der Menschen in der syrischen Stadt Afrin aufmerksam zu machen.

Afrin ist andauernden militärischen Angriffen durch die türkische Armee ausgesetzt. Gerade wurde bekannt, dass mehr als ein Dutzend Menschen bei einem Angriff auf ein Krankenhaus gestorben sein sollen. Die Regierung Erdogans bezeichnet die dortige syrische Kurdenmiliz YPG als terroristisch, weil sie angeblich enge Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK unterhält. In Hannover solidarisieren sich die Demonstranten mit der YPG. Der Name der Miliz ist auf grün-gelben Fahnen mit rotem Stern zu sehen. Hunderte davon wehen über den Köpfen der Demonstranten.

„In Afrin werden Frauen und Kinder getötet“, sagt eine 60-jährige Frau. Im Gesicht trägt sie traditionelle jesidische Tätowierungen. Sie sind nach all den Jahren verblasst. „Ich demonstriere hier gegen Erdoğan“, sagt sie. Die 20-Jährige Mugan Mehriban ist extra aus Bensheim bei Frankfurt angereist. „Meine Landsleute sterben in Afrin“, sagt sie. Klar, dass sie aus Protest gegen den türkischen Staat und den sogenannten Islamischen Staat auf die Straße gehe.

Die Demonstration ist in zwei Züge aufgeteilt. Einer beginnt am großen Schützenplatz, der andere auf einem Platz in einem Wohngebiet. Treffen sollen die Züge sich später am Opernplatz mitten in der Innenstadt, aber es dauert, bis sich die Demonstranten, Frauen vorneweg, in Bewegung setzen. Die Polizei hat die Zufahrtsstraßen nach Hannover dichtgemacht und kontrolliert Busse und Autos auf der Suche nach Symbolen der PKK. Das zieht sich. Die Teilnehmer trudeln nur schleppend an den Startpunkten ein.

Demoverbot wurde vom Verwaltungsgericht gekippt

„Nachdem die Polizei im Großen verloren hat, versucht sie nun im Kleinen die Daumenschrauben anzulegen, um uns das Demonstrieren so schwer wie möglich zu machen“, vermutet Anmelder Dirk Wittenberg von der Interventionistischen Linken. Die Polizei hatte das Newrozfest in Hannover zunächst verboten, weil sie darin eine Unterstützung der PKK sah. Das Verwaltungsgericht hatte das Verbot jedoch in der vergangenen Woche gekippt.

Nun führen die Polizisten die Demonstranten in engem Spalier in Richtung Innenstadt, der Zug umrundet aber das Steintor, ein Viertel mit vielen türkischen Läden. Konfrontationen gibt es keine. „Wir wünschen uns ein friedliches Newrozfest“, sagt eine Frau. Die Menge brüllt: „Terrorist Erdoğan“ oder „Deutsche Panzer raus aus Kurdistan.“ Die Eskalation kommt dann ganz plötzlich.

Ein junger Mann soll seine Winterjacke aufgeknöpft und so sein T-Shirt mit dem Konterfei des in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan gezeigt haben. Die Jacke soll er auch nach Aufforderung von Beamten nicht wieder geschlossen haben, so sagt später die Polizei. Zu sehen ist, wie zwei Polizisten aus Nordrhein-Westfalen den Mann zu Boden drücken. Er wehrt sich und wird, nachdem Demonstranten sich lautstark über den Polizeieinsatz beschweren, hinter eine Säule eines Kaufhauses gezogen.

Ein junger Mann soll seine Winterjacke aufgeknöpft und so sein T-Shirt mit dem Konterfei des in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan gezeigt haben

„Warum? Warum?“, schreit der Mann, als ihn die Polizisten festhalten. Auch ein Dolmetscher kann ihn nicht beruhigen. Der Mann will sogar mit dem Kopf gegen die Säule schlagen, als er sich nicht befreien kann, aber ein Polizist schützt den Kopf mit seinen Händen. Der Demonstrant muss in der Kälte sein T-Shirt ausziehen.

Als er sich nicht fesseln lassen möchte, drücken ihn vier Polizisten zu Boden, fixieren ihn mit Kabelbindern und Handschellen, drücken ihm die Knie in den Rücken und halten ihn Minuten lang am Boden. Sie gehen nicht zimperlich mit ihm um. Ein Polizist schubst auch einen Fotografen weg.

Mindestens drei Festnahmen

Mittlerweile ist auch Ayfer Kahraman vor Ort. „Das ist nicht menschlich. Das ist keine normale Festnahme“, sagt sie.

Vier Beamte tragen den zappelnden Mann aus der Menge und legen ihn dann erneut auf den kalten Boden. In der Nacht hat es in Hannover geschneit. Eine Helferin breitet eine Rettungsdecke über ihn aus. Kahraman beugt sich ganz nah über den Mann und übersetzt für die Polizisten. „Er hat Schmerzen im Kopf und in den Armen“, sagt sie. Der Demonstrant wehrt sich nicht mehr gegen seine Fesseln.

„Warum habt ihr uns Ordnern nicht Bescheid gesagt?“, fragt Kahraman einen Konfliktmanager der Polizei. Doch der weiß auch keine Antwort darauf, warum seine Kollegen so in die Demo eingegriffen haben.

Insgesamt gibt es laut Polizei mindestens drei Festnahmen, weil sich Demonstranten einer Identitätsfeststellung widersetzt haben, nachdem sie verbotene Symbole gezeigt haben sollen. Im zweiten Protestzug sollen Demonstranten PET-Flaschen auf Polizisten geworfen haben und mit Fahnen auf die Beamten losgegangen sein. „Insgesamt war es aber ein Einsatz ohne größere Störungen“, sagt ein Polizeisprecher.

Als sich die beiden Züge vor der Oper treffen, ist der Platz brechend voll. Auch hier wird die eine oder andere verbotene Fahne gezeigt, aber die Menschen wollen vor allem zusammen ihr Newrozfest feiern. Ein Sprechchor stimmt an: „Freiheit für Kurdistan.“

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