Kurdenpräsident kündigt Referendum an: Nordirak bald ein eigener Staat?
In Wirklichkeit sei der Irak schon geteilt, sagt der Präsident der Kurdenregion, Massud Barzani. Binnen weniger Monate will er offiziell über die Unabhängigkeit abstimmen lassen.
LONDON afp | Der Präsident der autonomen Kurdenregion im Nordirak, Massud Barsani, hat eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Gebietes angekündigt. Barsani sagte dem britischen Sender BBC am Dienstag vor dem Hintergrund der anhaltenden Dschihadistenoffensive im Land, die Zeit für ein Referendum sei reif. Der Irak sei in Wirklichkeit bereits geteilt.
Barsani sagte: „Wir werden die Entscheidung unseres Volkes anerkennen und dadurch gebunden sein und hoffen, dass andere dies ebenfalls tun werden.“ Ein Datum für das Referendum könne er nicht nennen, dies müsse das Parlament entscheiden. Die Abstimmung in den irakischen Kurdengebieten werde aber binnen Monaten stattfinden. Davor müsse eine unabhängige Wahlbehörde eingerichtet werden.
Die Kurden haben infolge des Rückzugs der irakischen Armee vor den Dschihadisten in den vergangenen Wochen die Kontrolle über mehrere umstrittene Gebiete übernommen, darunter die ethnisch gemischte Erdölstadt Kirkuk. Bei den Kämpfen sind nach neuesten Daten der UN im Juni 2417 Menschen getötet worden – darunter 1531 Zivilisten. Nicht erfasst seien die Toten und Verletzten in der westirakischen Provinz Anbar, die weitgehend unter Kontrolle sunnitischer Extremisten ist.
US-Vertreter gaben zu, dass die Gebietsgewinne der Kurden nicht leicht rückgängig zu machen sein würden. Zugleich dringt Washington aber darauf, dass die Kurden die irakische Zentralregierung in Bagdad unterstützen. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sicherte den Kurden bereits Unterstützung beim Streben nach Unabhängigkeit zu.
Die islamisch-konservative Regierung in Ankara lehnt eine Unabhängigkeit der irakischen Kurden dagegen entschieden ab. In der Türkei stellen die Kurden ebenfalls eine starke Minderheit. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) griff einst für ein unabhängiges Kurdistan zu den Waffen. Mittlerweile fordert sie mehr Autonomie für die 15 Millionen Kurden, das Recht auf Schulbildung in kurdischer Sprache und die Freilassung kurdischer Häftlinge.
Keine Einigung im Parlament
In Baghdad haben indes die Bemühungen um eine neue irakische Regierung einen Rückschlag erlitten. Das Parlament vertagte seine konstituierende Sitzung am Dienstag nur kurz, nachdem die Abgeordneten erstmals seit der Wahl im April zusammengekommen waren. Man habe sich nicht auf einen neuen Parlamentspräsidenten einigen können, teilte der kommissarische Vorsitzende der Volksvertretung Mehdi al-Hafidh zur Begründung mit. Für kommende Woche werde eine neue Sitzung angepeilt.
Die Bildung einer neuen Regierung, die Vertreter aller Bevölkerungsgruppen einschließt, lässt damit ebenfalls weiter auf sich warten. Sie gilt als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Stabilisierung der Lage im Irak.
Traditionell stellen die Sunniten den Parlamentspräsidenten, die beiden Stellvertreter sind je ein Schiit und ein Kurde. Zur ersten Sitzung des Parlaments erschienen 255 von 328 Abgeordneten. Nach einer Pause, in der die Verteilung der Posten besprochen werden sollte, kehrten jedoch nur 75 zurück – nicht genug, um eine gültige Abstimmung abzuhalten.
Obama schickt mehr Soldaten in den Irak
Angesichts der Eskalation entsendet US-Präsident Barack Obama weitere 300 Soldaten in den Irak. 200 von ihnen sind nach US-Angaben bereits dort angekommen. Weitere 100 hatten sich bislang im Mittleren Osten bereit gehalten und sollen nun ebenfalls verlegt werden, wie die US-Regierung am Montag mitteilte. Sie sollen die US-Botschaft und weitere US-Interessen in Bagdad sichern.
Damit sind bald bis zu 750 US-Soldaten im Land. Darunter sind rund 300 Militärberater, die die Stärkung der irakischen Armee unterstützen sollen. Die Entsendung von Kampftruppen schließt Obama bislang aus. Allerdings seien die Soldaten im Irak gefechtsbereit, um US-Bürger und amerikanisches Eigentum zu beschützen.
ISIS-Kämpfer hatten in den vergangenen Wochen weite teile des Iraks eingenommen und am Sonntag ein Kalifat ausgerufen. Die wichtigsten islamistischen Rebellengruppen in Syrien wiesen die Ausrufung nun jedoch zurück. Die Erklärung sei „null und nichtig“, erklärten die Gruppen am Montag in einer gemeinsamen Mitteilung. Zu den Unterzeichnern gehören die Islamische Front, die größte Rebellenkoalition in Syrien, und die Madschlis Schura Mudschaheddin al-Scharkija aus der östlichen Provinz Deir Essor, zu der auch die Al-Nusra-Front gehört.
In der Erklärung werden zudem alle Muslime und Dschihadistengruppen gewarnt, sich in den Dienst des Islamischen Staats (IS) zu stellen, der vorher Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (Isis) hieß.
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