Kunsttipps der Woche: Tiere, Häuser und Menschen
Transzendierte Fotokunst: Manoj Kumar Jains prägnante Dokumentation eines Dorfes. Manifest: Solidarität von Tieren und Menschen im Stadtraum.
E s ist lange her, dass die Fotos entstanden. Von 2002 bis 2008 reiste Manoj Kumar Jain (*1970) immer wieder in das Dorf Bahigaon im Distrikt Bastar im indischen Bundesstaat Chhattisgarh. Seine Aufnahmen sind klassische große SW-Fotokunst, wobei ihre sublimen Kompositionen ihr dokumentarisches Anliegen transzendieren. Schon deshalb spielt es keine Rolle, wann sie entstanden sind. Sie berühren uns unmittelbar. Da ist nichts Historisches, wenn auch einiges Archaisches.
Aus diesem Grund könnten die Bilder heute entstanden sein: Beheimatet tief in den Wäldern, kaum berührt vom modernen Leben und nur selten in Kontakt mit dessen Vertretern wie der Fotograf zum Beispiel einer ist, leben das Dorf und seine indigenen Bewohner in einem anderen Zeitalter, in einem anderen Tempo und in einer anderen Welt. Was sollte daran schon groß anders sein, rund 20 Jahre später?
Aber da ist alles anders: Längst wurden die Wälder gerodet, die Ureinwohner von ihrem Land vertrieben, es werden Eisenerz und Kohle gefördert und der Tourismus. Manoj Kumar Jains Fotos sind nun Zeugnisse einer untergehenden Kultur. So war das ursprünglich nicht gedacht. Die Aufnahmen zeigen ein dokumentarisches, kein sozialdokumentarisches Interesse.
Das Augenmerk des Fotografen galt dem prägnanten Stil, mit dem die Adivasi sich selbst, ihre Tiere, Häuser und Gerätschaften schmücken, er galt dem Stolz ihres Auftretens, ihrer Anmut, nicht ihrer Armut. Er arbeitete nicht über das Dorf, er arbeitete mit dem Dorf, die Aufnahmen entstanden als gemeinsame Inszenierung.
Ausgefeilte Porträtkomposition
Der alte Mann etwa, mit seinem preisgekrönten Hahn: Es brauchte seinen selbstgewissen Blick und seinen – kaum merklich – fröhlichen Gesichtsausdruck, damit Jain seine ausgefeilte Porträtkomposition gelang, technisch so perfekt, dass jede einzelne Feder des Hahns und jede Bartstoppel seines Besitzers derart plastisch ins Bild kommt, dass man meint, sie berühren zu können.
Manoj Kumar Jain hat an der gleichen Kunsthochschule in Delhi studiert wie die Grafikdesignerin Mini Kapur, die in Schöneberg seit nunmehr zehn Jahren ihre Galerie „Under The Mango Tree“ betreibt. „The Forgotten Frames. Zeugnisse der Verbindung von Mensch und Natur“ unterstreicht nachdrücklich Mini Kapurs diskursiven Ansatz, von dem sie sagt, er ziele auf das Verständnis des Anderen durch das Erleben der Kunst (bis 24. Juli, Merseburger Str. 14, Mi.–Fr. 15.30–19 Uhr, Sa./So. 13–16.30 Uhr).
Noch wild oder fast schon Haustier?
Das Andere sind eben auch die Tiere. So wie der Hausrotschwanz, der zufällig in den Fokus von Daniel Pollers Kamera geriet. Der ursprünglich im Gebirge beheimatete Vogel flatterte durch das Abrissgeschehen am leerstehenden Institut für Lehrerbildung in Potsdam, das der Architekturfotograf dokumentierte: Offensichtlich nistete der Vogel dort und suchte verzweifelt nach seinem Brutplatz samt Brut. Sie war dem Abrissbagger, also der Rekonstruktion des historischen Zentrums, zum Opfer gefallen.
Höchste Zeit für ein „Manifest für Solidarität von Tieren und Menschen im Stadtraum“, wie es die Architekturzeitschrift Arch+ initiiert hat. Unter dem Titel „Cohabitation“ sind im Silent Green noch bis zum 4. Juli dreißig künstlerische Arbeiten zum Zusammenleben von Mensch und Tier in der Großstadt versammelt.
Da geht es natürlich um die Haustiere, unvermeidlich um den Hund, um dessen Wohlbefinden sich ein riesiger Markt gebildet hat – oder geht es nicht doch wieder nur um das Wohlbefinden des Menschen, hier in der Form der Hundehalters, der seinem Rüden selbstverständlich sein Sexspielzeug gönnt? Wie in der Installation „Pet City“ (2021) von Theo Deutinger, Charlotte Kaulen und Crew eindrücklich zu erleben?
Rätselhafter sind freilich die wilden Tiere in der Stadt, von denen man oft nicht zu sagen weiß, ob sie nun wirklich wild oder doch fast schon Haustier sind. Was soll man von den grasgrünen Halsbandsittichen halten, deren Tagesablauf Cyprien Gaillard in eindrucksvollen Filmbildern („KOE“, 2015) festgehalten hat?
Wie die exotischen Gefangenschaftsflüchtlinge in der Düsseldorfer Innenstadt morgens aufbrechen zur Futtersuche und am Abend als riesiger Schwarm wieder auf die Kö einfliegen, um dort in den Platanen zu nächtigen.
Parlament nichtmenschlicher Organismen
Sie wären auch Kandidaten für ein Parlament der nichtmenschlichen Organismen, wie es der Club Real vorschlägt. Auf einer Brache im Wedding wies der Club das Hoheitsgebiet, auf dem alle Macht von den dort ansässigen Lebewesen ausgeht, egal ob Wurm oder früher Vogel, ob Eichhörnchen oder Wurzelknöllchenbakterium. Eine Verfassung und eine Allgemeine Deklaration der Organismenrechte sind Gründungsdokumente der Organismen-Demokratie.
Dazu könnten auch das Recht auf Animal Aided Design gehören, wie Thomas Hauck und sein Büro es in „Not so silent green“ (2021) vertreten. Und damit das Recht auf eine Stadtplanung und „eine Architektur, die die Vernetzung und Barrierefreiheit der Wege von nicht-menschlichen Tieren gewährleistet“, wie es unter anderem in ihrem Manifest für eine Architektur der Cohabitation heißt.
Man darf also staunen im Silent Green und dazu auf Stadterkundungen gehen, Diskussionen, Interventionen und Performances beiwohnen, und alles wird am Ende in eine unbedingt lesenswerte Publikation einfließen (bis 4. Juli, Silent Green, Gerichtsstr. 35, Di.–So. 11–19 Uhr, weitere Infos: cohabitation.de).
Die auffällig arrangierten bunten Klebestreifen auf der Fensterfront der Galerie Anahita Contemporary taugen bestimmt, Vögel davon abzuhalten, in die Scheiben zu fliegen. Birgit Hölmers „Cut“ ist damit genau der Fall von Kunst, die solidarisch ist mit Tier und Mensch, auch wenn das nicht primäre Absicht ist.
Abstraktion in Bewegung setzen
Die Abstraktion im Fenster, die dreidimensional in den Raum dahinter zu greifen scheint, ist Teil der von Rüdiger Lange kuratierten Gruppenausstellung „konkret abstrakt“ mit Arbeiten von acht beteiligten Künstlerinnen, darunter zwei Siebdrucke von Anni Albers. Mit ihren perspektivisch lesbaren Ornamenten zeigen sie Anklänge an die Op-Art, die in den 1960er Jahren die Abstraktion in Bewegung setzte und in den Raum hinein projizierte.
Das Spiel mit Abstraktion und konkreter Objekthaftigkeit eröffnet viele Möglichkeiten, Fiene Scharps filigrane, vorschnell als Zeichnungen erkannten Papierschnittarbeiten liegen verschiedenfarbige Schnittmusterbögen zugrunde. Minutiös hat die Berliner Künstlerin die Blätter derart entkernt, dass am Ende die reinen Linien bleiben.
Interessant sind die räumlichen Arbeiten, wie Rebecca Michaelis Mobile aus schmalen, pulverbeschichteten Aluminiumreifen in Hellgelb, Cyan und Orange. Je nachdem, wie man zu der Arbeit steht, sieht man sie mal mehr als Linienzeichnung mal mehr als Raumkörper.
Deutlich räumlich ist Carla Guagliardis Installation „Partitura IV“. Die in Rio de Janeiro und Berlin lebende Künstlerin hat Sperrholzplatten mit Scharnieren übereinander an die Wand geschraubt und dazwischen Schaumstoffbälle geklemmt.
Sie heben die Sperrholzplatten von der Wand in den Raum, wobei die Platten wiederum die Bälle vor dem Herunterfallen bewahren. Ein schönes, gelungenes Exerzitium in Balance. So wie es „konkret abstrakt“ insgesamt ist (bis 17. Juli, Anahita Contemporary, Schlüterstr. 14, Di.–Fr. 14–18 Uhr, Sa. 11–15 Uhr).
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