Kulturschaffende über Antisemitismus: „Dämonisierung von Juden“
„Artists Against Antisemitism“ machen Front gegen Judenhass. Musiker Torsun und Schauspielerin Sandra Kreisler erklären, warum dies überfällig ist.
taz: Als kürzlich die Kampagne „Musicians for Palestine“ gestartet wurde, haben dies viele internationale Medien aufgegriffen, prominente Künstler:Innen haben unterschrieben, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Initiative „Artists Against Antisemitism“ wurde dagegen weit weniger beachtet. Warum?
Torsun Burkhardt (TB): Durch Nichtbeachten trifft man auch eine Aussage. Wenn es um Solidarität mit Jüd:Innen geht, wird sofort gesagt, man müsse das differenziert sehen. Unfassbar.
In dem Egotronic-Song „Möllewahn“ (2015) haben Sie getextet: „Deutschland schreit auf gegen Israel / Sie haben dort einen Völkermord entdeckt / Gegen Fakten völlig resistent / Nur dürftig das Ressentiment versteckt“. Sind die Zeilen noch aktuell?
TB: Ja. Das Stück handelt von der Projektion, die im Fall Israel stattfindet. Immer wieder wird zwanghaft ein Recht auf Kritik an Israel eingefordert. Dafür gibt es sogar den Begriff Israelkritik. Für kein anderes Land der Welt existiert so ein Unwort.
Sandra Kreisler (SK): Die Intelligenzija in der ganzen Welt ist mehrheitlich links sozialisiert, und sie wird seit Langem mit Schlagworten gefüttert, die ein schiefes Israelbild erzeugt haben. Man nimmt einfach unhinterfragt an, dass die Palästinenser die Armen, die Underdogs, die „Linken“ seien – und die Israelis die Übermächtigen und „Rechten“. Es ist das dominante Narrativ. Jeder links denkende Mensch müsste sich informieren, wer ist wirklich der Kriegstreiber, wer streckt die Hand aus und wer schlägt sie zurück? Seit 1919 gab es mehr als zehn offizielle Angebote an die Palästinenser. Israel hat immer ja gesagt, die palästinensische Seite hat sie am Ende immer abgelehnt. Von ihrer Seite gab es nie Gegenangebote, die nicht auf „Juden raus“ hinausliefen. Mit der Realität hat das Narrativ also kaum etwas zu tun.
Weshalb wird der Konflikt so stark ideologisiert?
SK: Nachdem der linken Szene die Arbeiterschaft abhanden gekommen ist, haben die Palästinenser diese Leerstelle gefüllt. Viele Journalisten sind links sozialisiert und sie leben ein Ressentiment aus, das so tief in ihnen drin ist, dass sie es gar nicht zulassen könnten, nun ihre Meinung zu ändern. Es ist ein psychologisches Problem.
TB: Die Entwicklung geht meines Erachtens auch in die falsche Richtung. Ich glaube, dass sich die Leute wieder mehr von Israel abwenden. In den neunziger – und nuller Jahren gab es auch aufgrund der antideutschen Strömung eine stetige Debatte zu dem Thema. Manche haben damals erkannt, dass plumpe Palästinensersolidarität vielleicht doch nicht richtig ist. Wenn der Konflikt, wie zuletzt, wieder eskaliert, zerfällt die Solidarität mit Israel in dem Moment, in dem Israel einfach nur zurückschießt und sich wehrt.
Artists Against Antisemitism ist eine von den Musikern Thorsten „Torsun“ Burkhardt (Egotronic) und Björn Peng initiierte Kampagne, die sich vor allem gegen israelbezogenen Antisemitismus richtet. Mehr als 800 Künstler und Kreative haben unterzeichnet, darunter Künstler wie Tocotronic, Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen, Shantel, Die Sterne u. v. m.
Thorsten „Torsun“ Burkhardt, 47, ist Sänger der Band Egotronic und lebt in Berlin.
Sandra Kreisler, 59, ist Schauspielerin, Sängerin, Autorin und Journalistin, sie lebt in Berlin und der Schweiz. Zuletzt erschien von ihr „Jude sein. Ansichten über das Leben in der Diaspora“ (Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin/Leipzig 2021, 258 Seiten, 18 Euro)
SK: Über einen längeren Zeitraum war es nicht so virulent. Durch Trump hat sich das weiter polarisiert. Das hat die israelkritische Linke noch stärker zementiert. Mit jedem Konflikt kommen weitere Faktoren dazu, zum Beispiel der Krieg der Bilder. Du siehst in keinem einzigen Medium Hamas-Soldaten, weil die embedded journalists – die einzigen, die nach Gaza einreisen dürfen –, nur das zeigen, was ihnen die Hamas erlaubt. In Israel sind sie mit PR meiner Meinung nach sehr schlecht. Du siehst ständig israelische Soldaten und zerstörte Häuser in Gaza – umgekehrt sieht man das, was die Hamas anrichtet, wenig, obwohl es das gibt! Jetzt hat es wieder Tote gegeben, jetzt hat es wieder Bilder von Häusern in Schutt und Asche gegeben, und das ist das Argument.
Waren die antisemitischen Demonstrationen wie in Berlin-Neukölln und anderswo ein Auslöser, um die Initiative zu gründen?
TB: Bereits 2014, als es zu antisemitischen Demonstrationen kam, wollte ich eine Gegenaktion starten. Jetzt, wo man wieder diese krassen antiisraelischen und antisemitischen Ausfälle in der Öffentlichkeit erlebt, dazu in Thüringen einen CDU-Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen, der antisemitische Codes benutzt, war es überfällig. Dann habe ich den befreundeten Musiker Björn Peng gefragt, ob er dabei wäre. Unsere Aktion ist auf lange Sicht angelegt. Wir wollen Künstler und Kreative dazu bewegen, Gesicht gegen Antisemitismus zu zeigen. Und sich solidarisch mit Israel zu erklären.
Waren auch Aufrufe wie etwa die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, die mit dem Argument Vielstimmigkeit und mit dem Grundgesetz BDS-Positionen legitimieren will, Grund für die Gegenaktion?
SK: … oder auch die „Jerusalem Declaration“! (lacht) … die haben alle so geile Namen. Das frisst dann jeder. Und dann hat der britische Popstar Brian Eno ja unterschrieben, dann unterschreibt man blindlings auch.
TB: Im Gegensatz dazu hatte ich bei unserer Aktion das Gefühl, dass viele sich nicht getraut haben zu unterschreiben! Mit teils hanebüchenen Ausreden.
SK: Und sie haben in gewisser Weise recht: In dem Moment, wo man sich klar für Israel ausspricht, wie etwa Iris Berben es macht, sinkt der Karrierestern. Israelkritische Leute werden dagegen herumgereicht von einer Veranstaltung zur nächsten.
TB: Ich verstehe es trotzdem nicht. Egotronic sind eine kleine Band, auch wir verlieren Fans, sobald wir uns solidarisch mit Israel zeigen. Als der Konflikt wieder losging, habe ich den Song „Möllewahn“ gepostet. Sofort waren es bei Facebook 150 Leute weniger. Sich aus Karrieregründen nicht zu äußern, finde ich armselig.
SK: Bemerkenswert finde ich auch, dass die jüngere intersektionale Kritik sehr bemüht ist, allen Minderheiten zu ihren Rechten zu verhelfen. Die einzige Minderheit, die meist nicht darunter ist: Juden. Sie machen 0,2 Prozent der Weltbevölkerung aus, ist das keine Minderheit?
In der Popszene hat die BDS-Kampagne („Boycott, Divestment and Sanctions“) vor allem im angloamerikanischen Raum viele Unterstützer. Popmusiker, die man für integer gehalten hatte und Ikonen sind wie Thurston Moore, unterstütze diese. Warum verfängt diese Agenda da so gut?
SK: Erinnern wir uns mal: Pop und Rock gegen Apartheid in Südafrika war eine große Bewegung und hat den Künstlern Street-Credibility gebracht. Wenn der Begriff Apartheid infamer Weise immer wieder in Zusammenhang mit Israel gebraucht wird, glauben die Leute irgendwann daran. Dann hast du etwas, wo alle mitmachen können, es klingt toll, du klingst engagiert – und es kostet dich nichts, da mitzumachen.
Institutionen und NGOs wie Human Rights Watch sprechen auch von „Apartheid“ und legitimieren diese Wortwahl.
SK: Ja. Und auch in Israel gibt es eine finanziell bestens ausgestattete NGO-Industrie. In einem winzigen Land von der Größe Hessens existieren über 50 NGOs, und sie haben durch die Bank eine zutiefst antiisraelische Agenda. Das lässt tief blicken. Nicht falsch verstehen: Natürlich geht es den Palästinensern in Gaza nicht gut, das ist gar keine Frage. Aber es gibt Menschen auf der ganzen Welt, denen es viel schlechter geht, und um die kümmert sich niemand.
TB: Wenn Assad Bomben auf palästinensische Flüchtlingslager wirft, interessiert das niemanden. Deshalb ist keiner auf die Straße gegangen. All das ist unverhältnismäßig. Der Spruch „No jews, no news“ trifft es leider.
Sandra, in Ihrem Buch schildern Sie Fluchtgedanken. „Man braucht heute keinen gepackten Koffer mehr, eine Festplatte reicht aus“, schreiben Sie. Wie sehen Sie die Entwicklung hierzulande aus persönlicher Warte?
SK: Es ist ja nicht nur Deutschland. In England und Frankreich ist Antisemitismus heftig, und in den USA ist es vor allem an den Universitäten ganz schlimm. Die größten Sorgen macht es mir, dass auch junge Leute auf diesen Zug aufspringen. Ich persönlich bin froh, dass wir auch einen Wohnsitz in der Schweiz haben. Dort ist alles ein bisschen langsamer, da wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. In Deutschland ärgert es mich massiv, dass die Schulbildung in puncto Antisemitismus schlecht ist und sich in dieser Hinsicht nichts bessert. Es ist natürlich gut, wenn Zeitzeugen in Schulen gehen und erzählen, wie es damals im Nationalsozialismus war. Aber das ändert nichts daran, dass man heute Israel für alles verantwortlich macht. Es ist ein Problem, dass man die Geschichte des Holocaust und das heutige Israel als zwei verschiedene Dinge behandelt, die nichts miteinander zu tun haben. So erkennt man die Zusammenhänge nicht. So wird nicht deutlich, dass die Dämonisierung einfach fortgeschrieben wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil