Kulturrevolution im Freistaat: Bayern sind anders, sowieso
Wer den Freistaat kennt, wundert sich nicht über das Wahlergebnis: In Bayern hat über die Jahrzehnte eine leise Revolution stattgefunden.
Es war an einem Nachmittag im August, als mir ein Pfarrer eine Geschichte erzählte, die als typisch gelten kann für diesen bayerischen Vorwahlsommer. Er hatte einem Mann die Beichte abgenommen und ihn entlassen: „Geh hin in Frieden.“ Die Beichte war vorbei. Da sagte der Mann, er habe noch eine Frage. Seit Jahrzehnten sei er CSU-Wähler. Jetzt wisse er aber nicht mehr, wen er wählen solle. Der Pfarrer antwortete, da hätten sie ja was gemein.
Bis Sonntag konnte die CSU unangefochten behaupten, sie und Bayern seien quasi synonym. Dem war noch nie so, aber jetzt bestätigt ein amtliches Endergebnis, dass dem nicht so ist. In Bayern hat über die Jahre eine leise Revolution stattgefunden.
Viele Nichtbayern haben ein skurriles Bayernbild. Man weiß vielleicht, dass Bayern nicht wegen seiner Landwirtschaft, sondern wegen seines Portfolios an vielen mittelständischen und einigen großen Unternehmen ein reiches Land ist. Will aber trotzdem glauben, die Bayern seien ein traditionsbewusstes, mehrheitlich katholisches und konservatives Völkchen.
Das stimmt auch. Traditionsbewusstsein, Katholizismus und ein konservatives Weltbild sind in Bayern aber mit einer Eigensinnigkeit verbandelt, weswegen es nicht verwundert, dass sich viele Bayern selbst einen anarchistischen, freisinnigen Charakter attestieren. Selbst eine CSU-Karrierefrau wie Dorothee Bär erzählt gern, als junge Frau sei sie Punk gewesen.
Als die Provinz noch Provinz war
Der Bayer ist traditionsbewusst und liebt die moderne Welt. Er ist katholisch, lässt den Papst aber einen guten Mann sein. Die Bayerin ist konservativ und wählt grün: Weil die CSU die Partei der EU-Subventionen für Industrielandwirtschaft und der Dobrindt viel zu nachsichtig mit den Dieselbetrügern gewesen ist.
Als die bayerische Provinz noch Provinz war – heute ähneln viele Kleinstädte und Dörfer eher Vorstädten mit Autobahnanschluss –, entwickelte sich auch hier eine Gegenkultur, die über die Jahre in die Gesellschaft ausgestrahlt und sie verändert hat. Manche haben sich gewundert, dass auf der Münchner „Ausgehetzt“-Demo Nonnen mitliefen. Sie haben keine Ahnung vom heutigen Bayern.
Wer verstehen will, was sich verändert hat, sollte die hervorragende TV-Serie „Irgendwie und sowieso“ von Franz Xaver Bogner anschauen. In einer Schlüsselszene sitzt Ottfried Fischer als „Sir Quickly“ nachts im Glockenturm einer Kirche. Es sind die Sechziger. Der junge Mann hat genug von seinem Nazivater und beschallt den Ort mit einem Stones-Song: „I can’t get no satisfaction.“ Die lauten Echos dieser Szene konnte man am Sonntag hören.
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