Kulturpolitik nach der Wahl: Sonntagsreden reichen nicht
Joe Chialo (CDU) und Carsten Brosda (SPD) gelten als Kandidaten für das Kulturstaatsministerium. Es wird sich stark gegen die AfD positionieren müssen.
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Es wäre einigermaßen unrealistisch anzunehmen, dass die Kulturpolitik bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD gleich als Erstes besprochen wird. Wahrscheinlicher ist es, dass die Besetzung des Kulturstaatsministeriums zur Verschiebemasse gehört, mit der man am Schluss noch Ungleichgewichte im Proporz ausgleichen kann.
Dabei wird es nach dieser Bundestagswahl auf die Kulturpolitik stark ankommen. Die AfD ist auf diesem Feld überaus aktiv. Sie vertritt einen Kulturbegriff, der eine gegenwärtige kulturelle Identität zentral aus Herkunft und Vergangenheit herleitet – Tradition, Brauchtum, Überlieferung, solche Sachen – und eben nicht von Debatte, Diskurs, Reflexion her.
Der Kulturbegriff der AfD ist reaktionär, und zwar keineswegs nur deshalb, weil in dieser Partei viel von Volk, nationaler Identität und Deutschsein geredet wird, sondern eben auch deshalb, weil Kultur so autoritär gedacht wird. Als sei Kultur etwas, was man „haben“ und ein für allemal definieren kann und nicht immer wieder neu befragen muss.
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Aggressiv und mit politischen Tricks
Diesen Kulturbegriff versucht die AfD sehr aggressiv und mit allen Tricks politisch durchzudrücken, wo es irgend geht, derzeit vor allem kommunal und auf Landesebene, mit dem Wahlergebnis im Rücken, ganz sicher auch verstärkt im nächsten Bundestag. Auf die Bundeskulturpolitik wird einiges zukommen, mit Sonntagsreden ist es da nicht getan, sie wird stabil sein müssen.
Zwei Politiker haben sich in den vergangenen Wochen warmgelaufen, um als Kandidaten fürs Kulturstaatsministerium infrage zu kommen: der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) und der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD). Von Carsten Brosda, der schon vor vier Jahren als Kulturstaatsminister gehandelt worden war, liest man immer wieder kluge Entgegensetzungen gegen den Kulturbegriff der AfD.
In einem Doppelinterview zusammen mit Chialo in der Zeit sagt Brosda: „Richtig problematisch wird es, wenn die AfD eine Re-Essenzialisierung des Kulturbegriffs betreibt, also eine genaue Idee formuliert, wie Kultur zu sein hat.“ Chialo dagegen setzt in dem Gespräch andere Themen. Er redet von dominierenden „linken Milieus“ in Förderjurys, und zum Brauchtum sagt er, „das ist ein Teil der Kultur, der oft verschmäht wird, aber für die Identifikation vieler Menschen wichtig ist“.
Chialos Spardiktat in Berlin
Chialo hat das Pech, in einem Bundesland Senator zu sein, das stark sparen muss, dafür kann er erst einmal nichts, aber die Art und Weise, wie er die Einsparungen kommuniziert und politisch vertreten hat, ist ein Desaster. Und das ist es nicht allein. Auch seine kulturpolitischen Konzepte – Privatisierung zum einen und zum anderen wenigstens ein Liebäugeln mit disruptiven Rezepten der bestehenden Kulturszene gegenüber – sind fragwürdig.
Man hat nicht den Eindruck, dass er einer aggressiven AfD-Politik substanziell etwas entgegensetzen könnte. Zumal es an der Zeit ist, die bestehenden kulturellen Institutionen gegenüber Begehrlichkeit und Übergriffen durch die AfD zu schützen (was keinesfalls ihre Reformierungen ausschließen würde), und keinesfalls, sie neoliberal auszuhöhlen.
Bei Brosda wäre die Frage, wie sehr er sich, vom kleineren Koalitionspartner kommend, innerhalb der Koalition durchsetzen könnte. Die Haushaltsverhandlungen werden nicht einfacher werden; Brosda ist gut vernetzt, aber aus dem Vollen schöpfen können wie zurzeit in Hamburg wird er keineswegs.
Mit Blick auf Chialo fragt man sich Grundsätzlicheres: Hat die CDU denn wirklich keinen anderen Kandidaten? Wo sind eigentlich, wenn es, wie jetzt, drauf ankommt, die bürgerlichen Kulturmenschen mit Sinn für Hochkultur und Avantgarde? Es gibt viel zu verteidigen in unserer Kulturlandschaft. Den Willen dazu darf man nicht nur behaupten. Man muss es auch können.
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