Kulturabbau in der Slowakei: „Sie will alles vernichten“
Die rechtspopulistische Ministerin Martina Šimkovičová demontiert in der Slowakei den Kulturbetrieb. Es zeigt, was auch in Deutschland droht.
Heute ist Hvorecký überzeugt, dass seine damaligen Warnungen harmlos waren im Vergleich zur aktuellen Realität. „Damals war alles noch im Anfangsstadium, aber ich kannte Šimkovičovás Weltbild und wusste, was von ihr zu erwarten ist“, sagt er. „Es ist viel schlimmer gekommen.“
Die Slowakei erlebt turbulente Zeiten. Im Frühjahr erschütterte ein Anschlag auf Premierminister Robert Fico das Land. Kulturministerin Šimkovičová nutzte die Tat, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufzulösen und durch ein Staatsmedium zu ersetzen, dessen Vorsitzender vom Parlament benannt wird. Und kritische Journalist*innen einzuschüchtern, die sie für die „schlechte Stimmung“ und das Attentat verantwortlich machte. Šimkovičová, die auf der Wahlliste der rechtspopulistischen Partei SNS stand, die bei den letzten Wahlen 5,6 Prozent bekam, demontiert seither den Kulturbetrieb: Sie entließ die Leitungen des Nationaltheaters und der Nationalgalerie und tauschte etwa 40 Prozent der Belegschaft im Kulturministerium aus. Manche nennen sie „Ministerka nekultúry“, Ministerin der Unkultur.
Im slowakischen Kulturbetrieb herrschen seither Chaos und Angst. Die Zerstörungswut von Martina Šimkovičová lässt erahnen, was auch in Deutschland drohen könnte, wenn Rechtspopulist*innen über demokratische Wahlen an die Macht gelangen. Wenn sich ihnen die Möglichkeit bietet, Staat und Gesellschaft nach ihren Vorstellungen umzubauen – und welche Folgen das für die Kultur hätte. Nirgendwo sonst in Europa lässt sich das derzeit so gut beobachten wie in der Slowakei, weil der Umbau so enorm schnell geht.
„Einfach nur absurd“
Barbora Šajgalíkovás Büro liegt im sechsten Stock des Nationaltheaters in Bratislava, sie ist Direktorin für Kommunikation. Sie erzählt, dass „der Matej“ sie angerufen habe, als ihn im August ein Schicksal ereilte, das mittlerweile viele in der Branche kennen. Matej Drlička, der ehemalige Direktor des Nationaltheaters, war krankgeschrieben, als eine Mitarbeiterin des Kulturministeriums in Begleitung von zwei Bodyguards an seine Haustür klopfte. Er öffnete im Bademantel und sie überreichte ihm die Kündigung. „Was hier passiert, ist einfach nur absurd“, sagt Šajgalíková.
In ihrem Büro hängen Plakate vergangener Theaterveranstaltungen. Hunderte davon hat sie gestaltet, doch inzwischen wartet sie nur noch auf die Kündigung – oder auf den Mut, das Land zu verlassen. Vielleicht zurück nach Wien, wo sie studiert hat. Hier in der Slowakei sieht sie jedenfalls keine Zukunft.
Ersatz findet sich schwer
Wer massenhaft Leute entlässt, muss auch neu besetzen. Aber Ersatz findet sich nur schwer. Kaum jemand in der Branche nimmt ein Jobangebot der Kulturministerin an. „Und die, die das annehmen, haben kein Rückgrat“, sagt Šajgalíková.
Die neuen Führungskräfte sind unerfahren: Die Nationalgalerie wird zunächst von einem Geschäftsmann geführt, der offen zugibt, nichts von Kunst zu verstehen. Die Leitung eines Kindermuseums wurde an Šimkovičovás Nachbarin vergeben, deren einzige Qualifikation offenbar darin besteht, dass sie Mutter zweier Kinder ist.
Lähmende Unsicherheit und Drohungen
Die slowakische Tageszeitung Denník N berichtet von massiven Problemen im Kulturministerium seit Šimkovičovás Amtsantritt. Angst, lähmende Unsicherheit, impulsive Entscheidungen und ständige Drohungen prägten das Klima. Ganze Abteilungen wurden aufgelöst. Ein Beispiel für die dysfunktionale Führung war der kurzzeitige Staatssekretär Štefan Kuffa: Nach seinem Amtsantritt ließ er sein Büro und das Vorzimmer weihen – eine amüsante Anekdote auf den Fluren des Ministeriums. Weitaus ernster waren seine abfälligen Bemerkungen gegenüber Mitarbeiterinnen, die Hosen trugen, sowie seine Aussage, dass Frauen für bestimmte Positionen ungeeignet seien.
Er musste inzwischen gehen, aber das Problem bleibt: Die Expertise der Beamten wird ignoriert, Gesetzesentwürfe zu Kulturthemen werden ohne das Ministerium direkt ins Parlament eingebracht. Für Barbora Šajgalíková fühlt sich die Situation an wie ein Auto, das ausgekuppelt wurde und sich nicht mehr steuern lässt. „Ich glaube, sie will alles vernichten.“
„Sie fühlte sich verraten“
Warum arbeitet Šimkovičová gegen die Kulturinstitutionen statt für sie? Was treibt sie an? Die taz hätte diese Fragen der Kulturministerin gerne gestellt. Sie ließ mehrere Anfragen unbeantwortet.
Fragt man dagegen Tomáš Kriššák, einen Experten für Desinformation, erzählt er die Geschichte so: Fast zwei Jahrzehnte lang kannten die Menschen in der Slowakei Martina Šimkovičová als Moderatorin aus dem Fernsehen. Als der Hass gegen Geflüchtete im Jahr 2015 seinen Höhepunkt erreichte, teilte sie Artikel in den sozialen Medien und schrieb dazu: „Sie kommen. Bereitet eine Unterkunft vor, Vollpension, Taschengeld und macht die kleinen Mädchen frisch, damit sie sich nicht mit uns langweilen.“ Der TV-Sender feuerte sie daraufhin. „Ich glaube, sie fühlte sich verraten“, sagt Kriššák. „Sie suchte eine neue Gemeinschaft und fand sie in der Verschwörungsszene.“ Šimkovičová fing an, über die „Bedrohung durch Chemtrails“ zu sprechen und teilte die Falschmeldung, die EU wolle Toilettenpapier verbieten und durch Stroh ersetzen.
Tief verstrickt mit Kriminellen
Wer Martina Šimkovičovás politischen Aufstieg verstehen will, kommt auch an Premierminister Robert Fico nicht vorbei. Im Jahr 2018, während seiner dritten Amtszeit, wurde der Investigativjournalist Ján Kuciak ermordet. Kuciak hatte aufgedeckt, wie tief die slowakische Polizei, das Justizsystem und die Politiker mit Kriminellen, einschließlich der italienischen Mafia, verstrickt waren. Zehntausende slowakische Bürger auf der Straße zwangen Fico zum Rücktritt. Er galt als politisch erledigt.
Doch Fico fand eine neue Erzählung. Er machte die westliche Einmischung für den Widerstand gegen ihn verantwortlich und behauptete, der jüdische Finanzier George Soros habe die Demonstrationen organisiert. Im Wahlkampf sagte er, dass „ukrainische Faschisten“ den Krieg 2014 begonnen hätten und die Ukraine die Halbinsel Krim unmöglich zurückerobern könne.
Ablenkungsmanöver
Das kam gut an: Eine Umfrage des slowakischen Thinktanks Globsec Trends 2023 ergab, dass die Hälfte der Slowaken die Ukraine oder den Westen für den Krieg verantwortlich macht, während nur 40 Prozent die Schuld bei Russland sehen. Das ist der niedrigste Wert in Mittel- und Osteuropa und macht die Slowaken zu den russlandfreundlichsten Menschen in der Region. Da passt es ins Bild, dass Šimkovičová als eine der ersten Amtshandlungen die kulturellen Beziehungen zu Moskau wiederaufnahm, die nach Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine im Jahr 2022 ausgesetzt worden waren.
Doch viele in der Slowakei glauben nicht daran, dass bei Šimkovičová überlegte Strategien dahinter stehen. Im Kulturministerium ist Martina Šimkovičová laut Berichten von Denník N nur selten. Manche aus den Reihen des Ministeriums meinen, sie mache das, was sie von ihrem Job als Fernsehmoderatorin kenne: vorlesen, was andere ihr vorschreiben. Das Chaos in der Kultur und der Zerfall des Ministeriums wird von vielen als Ablenkungsmanöver gesehen, das der Regierung gelegen kommt – unabhängig von den Folgen.
Premierminister in Angst
Michal Hvorecký, der Mann, den die Kulturministerin am liebsten hinter Gittern sähe, mobilisiert zwar gegen Šimkovičová. Er startete zuletzt eine Petition, die ihren Rücktritt fordert und die innerhalb kürzester Zeit über 180.000 Menschen unterschrieben haben – so viele wie noch nie eine Petition in der Geschichte der Slowakei. Doch auch Michal Hvorecký glaubt, dass für Fico der Trubel in der Kultur nützlich sei.
So wie Hvorecký vermuten viele, dass der Premierminister Angst habe. Nach dem Mord an Ján Kuciak folgten Ermittlungen und Festnahmen hochrangiger Politiker – ein seltenes Lebenszeichen des slowakischen Rechtsstaats. Mehr und mehr zeichnet sich das Bild ab, dass Fico die demokratischen Strukturen umbaut, um möglichen Konsequenzen für seine eigene Vergangenheit zu entgehen – und um in der Regierung zu bleiben. Ohne die Zusammenarbeit mit der Partei der Kulturministerin wäre die Regierung nicht zustande gekommen. Aktuelle Umfragewerte zeigen zudem, dass der Rückhalt für Ficos Partei schrumpft.
Das slowakische Parlament thront auf dem Burgberg über der Donau. An einem Freitag im Oktober steht das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Šimkovičová auf der Tagesordnung, eingebracht von der Opposition. Zuvor hatten die Oppositionsparteien im Mai dieses Jahres schon einmal ein Verfahren bewirkt. Vor dem Parlament demonstrieren Adam Straka und seine Kolleg*innen vom „Kulturstreik“, einem Protestbündnis gegen die Ministerin. „Auch wenn der Name es nahelegt – streiken dürfen wir noch lange nicht“, sagt Straka. Das Streikrecht sei viel zu begrenzt, die Menschen seien verunsichert. Viel Hoffnung setzt er nicht auf das heutige Verfahren – Šimkovičová sei für Fico noch zu nützlich, als dass er sie fallen lasse.
Adam Straka soll recht behalten, ein paar Tage später scheitert der Versuch, Šimkovičová aus dem Amt zu entfernen. Doch Straka hält an zwei Hoffnungen fest: „Dass wir innerhalb der Kulturszene stark zusammenstehen. Und dass sich die Regierung durch Vetternwirtschaft und Inkompetenz letztlich selbst zerlegt.“
In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass Martina Šimkovičová „Nichtkulturministerin“ genannt wird. Die richtige Übersetzung bedeutet aber „Ministerin der Unkultur“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren