Kultfilm feiert Jubiläum: „Be cool, Honey Bunny!“
Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ feiert 30. Geburtstag. Wie konnte der Film mit seinen aberwitzigen Dialogen und coolen Figuren so groß werden?
Toiletten scheinen für Quentin Tarantino transformative Orte zu sein. Man tritt sorglos hinein und beim Verlassen ist die Welt nicht mehr so, wie sie war. Etwa als Vincent Vega (John Travolta) austritt, während Mia Wallace (Uma Thurman) zu Urge Overkills „Girl You’ll be a Woman Soon“ statt Kokain Heroin schnupft und überdosiert – er wird sie nasenblutend und bewusstlos im eigenen Erbrochenen auffinden.
Oder im Diner, als Vega auf die Toilette geht, nur um bei seiner Rückkehr in ein Gefecht zwischen seinem Kollegen Jules Winfield (Samuel L. Jackson) und den kosenamigen Räubern Pumpkin (Tim Roth) und Honey Bunny (Amanda Plummer) zu geraten. Und natürlich als Vega dem Boxer Butch Coolidge (Bruce Willis) in seiner Wohnung auflauert, weil Butch einen Vertrag mit seinem Boss Marsellus Wallace (Ving Rhames) gebrochen hatte.
Beim Warten benutzt Vega Butchs Toilette und als der kurz darauf die Wohnung betritt, erschießt er Vega beim Öffnen der Badezimmertür. Wer Toiletten verlässt, tritt in eine Welt des Chaos und der Gewalt.
Allen, die im Mai 1994 die Premiere von „Pulp Fiction“ beim Filmfestival in Cannes besuchten und den Kinosaal für eine kurze Toilettenpause verließen, wird es ähnlich ergangen sein: von einer Welt ohne „Pulp Fiction“ zu einer, in der es den zukünftigen Klassiker geben wird.
Tarantinos zweiter Film sollte wenige Tage später die Goldene Palme gewinnen und den Auteur-Regisseur endgültig zur Hollywoodgröße machen. Nach „Reservoir Dogs“ ist „Pulp Fiction“ der zweite von neun Tarantino-Filmen, einen hat er noch vorzudrehen, bevor er angeblich seine Tätigkeit niederlegen will. Auf deutschen Leinwänden konnte man „Pulp Fiction“ vor fast genau 30 Jahren, am 3. November 1994, erstmals sehen.
Ein, wenn auch ästhetischer, Brei
100-fach interpretiert – Was leuchtet denn nun in diesem Koffer und was hat es mit dem Pflaster auf Marsellus Wallaces Nacken auf sich? – ist der Film bis heute ein Phänomen. Er hat mindestens drei Protagonisten, eine recht banale Handlung, ist nicht chronologisch erzählt, folgt keinem richtigen Handlungsbogen. Es gibt keine Helden, kein Ziel, keine Moral. Ein, wenn auch ästhetischer, Brei.
Bevor der Film beginnt, wird der Zuschauer vorgewarnt. Die Definition von „pulp“ wird eingeblendet und liest: „Eine weiche, feuchte, formlose Masse.“ Und als zweite Definition: „Eine Zeitschrift oder ein Buch, das reißerische Inhalte enthält und typischerweise auf grobem, unfertigem Papier gedruckt ist.“ Reißerisch und formlos. Offenbar ein Erfolgsrezept.
Nach diesem 3. November würde man keinen cineastischen Teenager mehr finden, der Tarantino nicht als sein Idol und „Pulp Fiction“ nicht als den coolsten Film aller Zeiten bezeichnen würde. Die letzten Zeilen der Bibelstelle Ezekiel 25:17, „My name is the Lord when I lay my vengeance upon thee“, werden selbst einige der strengsten Atheisten kennen.
Und den Tanz, den Mia Wallace und Vega im Restaurant Jack Rabbit Slims beim Twist Contest aufführen, während die Doppelgänger von Marilyn Monroe, Buddy Holly und James Dean die Tische um sie bedienen, würden von da an alle gerne imitieren, wenn irgendwo Chuck Berrys Gitarrenriffs aus „You Never Can Tell“ klingen.
„Pulp Fiction“ sprüht nur so von Popkultur und ist mit seiner mega-ultra-hyper-stilisierten Sprache derart zitierbar, dass auch die wenigen, die den Film aus irgendeinem Grund nicht gesehen haben, einige Sätze daraus kennen werden. Winfields „English, motherfucker, do you speak it?“ oder „I dare you, I double dare you“ hallen nicht nur nach.
Sie sind zu regelrechten Memes geworden, wie so viele Szenen aus dem Kultfilm. Etwa Vegas Erklärung dafür, dass der „Quarter Pounder“ wegen des metrischen Systems in Europa „Royale with Cheese“ heiße.
Auch der Soundtrack ist legendär: Gleich mit den Eröffnungscredits brettert einem das Surf-Rock-Tremolo aus „Miserlou“ – später von den Black Eyes Peas gesampelt, manche würden sagen verhunzt – entgegen. Unvergessen sind auch Uma Thurmans elegante Schritte zu „Son of a Preacher Man“, Tarantinos erster von vielen Nahaufnahmen von Schauspielerinnenfüßen – heute sein seltsames Markenzeichen, zuletzt gesehen mit Margot Robbie als Sharon Tate in „Once Upon a Time in Hollywood“.
Vega als das Es, Butch das Ich, Winfield das Über-Ich
1996 gönnt sich Tarantino als Schauspieler im Film „From Dusk Til Dawn“– schließlich steht es so im eigens verfassten Skript – eine Kussszene mit Salma Hayaks Füßen. Er schreibt sie sich in den Mund, während Schnaps an ihrem Bein herunterläuft.
Ein weiser Twitter-User sagte über den Regisseur mal: „Quentin Tarantino ist der perfekte Name für diesen Freak.“ Tarantinos Cameo-Auftritte waren immer fragwürdig, am fragwürdigsten bleibt jedoch der in „Pulp Fiction“. Etwas zu eifrig schreibt er sich für seine Rolle als Jimmie Dimmick gleich siebenmal das N-Wort in den eigenen Text.
Abgesehen davon, dass nicht alles ideal gealtert ist, ist „Pulp Fiction“ zu mögen fast schon zu einem Witz geworden, so populär, überspielt und auf zu vielen Merchandiseartikeln abgebildet ist der Film. Dass er weiterhin profitabel bleibt, zeigt der Re-Release nach 30 Jahren.
Wer „Pulp Fiction“ heute als einen seiner Lieblingsfilme bezeichnet, dem kann man eigentlich nur mit einem Stirnrunzeln begegnen. Zu generisch wirkt diese Antwort, fast wie eine leere Floskel, die nichts und irgendwie doch alles über den Geschmack einer Person verrät. Irgendwie erinnert man sich trotzdem nostalgisch zurück an sein erstes Mal, sein erstes Screening von „Pulp Fiction“.
Um den Film kursieren abenteuerliche Theorien, so sehen einige darin eine Manifestation des freudschen Instanzenmodells: Vega als das Es, Butch das Ich, Winfield das Über-Ich – doch im Grunde alle als Teile einer einzigen Person.
Andere nehmen „Pulp Fiction“ als das, was es ist: meisterhaft geschrieben und inszeniert mit starken Performances. Und dazu das verdammt Coolste, was du je gesehen hast.
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