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Kürzungen im Berliner HaushaltKnastprojekte schlagen Alarm

Die Justizverwaltung will bei Projekten mit Gefangenen und Gewalttätern 40 Prozent einsparen. Einige Träger hatten die Angebote gerade erst ausgeweitet.

Eingeschlossen – und bald auch ausgeschlossen: Projekte für Gefangene und Gewalttäter fürchten um ihre Existenz Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Berlin taz | Kathleen Kurch ist alarmiert: „Die drohenden Einsparungen sind der absolute Super-GAU für die freie Straffälligen- und Opferhilfe“, warnt die Geschäftsführerin des Vereins Freie Hilfe Berlin. Der Träger arbeitet in fünf von der Senatsjustizverwaltung geförderten Projekten mit Strafgefangenen und ihren Angehörigen. Insgesamt sollten sie im kommenden Jahr 1 Million Euro an Zuwendungen erhalten. Wie viel davon infolge der Kürzungen im Berliner Haushalt übrig bleiben wird, weiß Kurch allerdings nicht.

Denn der schwarz-rote Senat will die Zuschüsse an freie Träger im Bereich der Gewaltprävention, des Opferschutzes sowie der Beratung und Betreuung von Gefangenen radikal senken. Von den ursprünglich eingeplanten rund 11,6 Millionen Euro sollen 4,5 Millionen gestrichen werden – knapp 40 Prozent.

„Wir stehen schlechter da als die Kulturbranche“, sagt Kathleen Kurch dazu. Tatsächlich liefen die Kürzungen bei der CDU-geführten Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz bislang größtenteils unter der Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit. Empörung und Kritik richteten sich eher auf den Kahlschlag bei Verkehr und Klimaschutz (18 Prozent) sowie eben bei der Kulturverwaltung, die auf 12 Prozent ihres Etats verzichten muss.

Wir stehen schlechter da als die Kulturbranche

Kathleen Kurch, Freie Hilfe Berlin

Schließlich wird der Gesamthaushalt der Senatsjustizverwaltung auch kaum angetastet: nur 2,2 Prozent weniger Geld hat sie im kommenden Jahr voraussichtlich zur Verfügung. Jedoch stehen 97 Prozent des Haushalts aufgrund von gesetzlichen Verpflichtungen ohnehin nicht zur Debatte. Für die Kürzungen gibt es daher nur einen sehr geringen Spielraum – der nun wohl zu großen Teilen ausgeschöpft wird. Und das betrifft die freien Träger überproportional stark.

Mehr als 600 Kli­en­t*in­nen in einem Jahr

„Alle unsere fünf justizgeförderten Projekte werden betroffen sein“, befürchtet Kathleen Kurch. Besonders in Sorge ist sie um das Familienprojekt „aufGefangen“. Es richtet sich an inhaftierte Väter sowie ihre Kinder und Partnerinnen.

Angeboten werden etwa betreute Vater-Kind-Gruppen in vier Berliner Justizvollzugsanstalten (JVAs). „Dort können die Kinder mit pädagogischer Begleitung ihre Väter sehen“, erklärt Kurch. Außerdem biete das Team Freizeit­aktivitäten für die betroffenen Familien an und berate die Mütter, die in vielen Fällen auf einmal ohne den Hauptverdiener dastünden und nicht wüssten, wie sie noch ihre Miete zahlen können.

Im vergangenen Jahr hat das Familienprojekt mehr als 600 Kli­en­t*in­nen betreut. Im Team arbeiten derzeit sieben Voll- und Teilzeitkräfte. Sollte hier gekürzt werden, werde man einzelne JVAs nicht mehr einbeziehen können, sagt Kathleen Kurch. „Viele Kinder könnten ihre Väter dann nur noch im nicht kindgerechten Setting des Besucherraums treffen“, kritisiert sie.

Drei neue Anlaufstellen eröffnet

Auch bei der Volkssolidarität Berlin herrscht weiter Ungewissheit, wie hart die Einsparungen das eigene Gewaltpräventionsprojekt „Beratung für Männer – gegen Gewalt“ treffen werden. Seit 25 Jahren bietet der Verein hier Trainingskurse zum Sozialverhalten für Männer an, die gewalttätig gegenüber ihrer Partnerin oder Ex-Partnerin waren. 2025 sollte das Projekt rund 370.000 Euro von der Justizverwaltung erhalten – deutlich mehr als noch in den Jahren zuvor.

„Dank des bereits in diesem Jahr deutlich höheren Zuschusses haben wir erst vor Kurzem unser Angebot ausgeweitet – auf vier Standorte“, erzählt Projektleiterin Samira Ciyow der taz. „Zuvor waren wir nur im Bezirk Mitte präsent, jetzt haben wir Anlaufstellen auch in Marzahn-Hellersdorf, Reinickendorf und Spandau.“

Jetzt droht, dass frisch eröffnete Standorte direkt wieder dicht gemacht werden müssen. Ciyow spricht von einem „beklemmenden Gefühl“. Täter und Betroffene würden alleingelassen. Dabei sei Täterarbeit im Berliner Landesaktionsplan zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt festgeschrieben. „Auf diese Arbeit kann man doch nicht verzichten!“, fordert Ciyow.

Zitterpartie dauert an

Die Justizverwaltung ist bemüht, die Wogen zu glätten. Bei der konkreten Verteilung der Einsparungen werde man einen „Schwerpunkt setzen zugunsten des Opferschutzes“, betont Sprecherin Kerstin Anabah am Dienstag gegenüber der taz. Sowieso habe man bislang die Herausforderung „gut gemeistert“ und werde „sehr maßvoll“ kürzen, so Anabah.

Diesen Mittwoch diskutiert der Rechtsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses über die geplanten Streichungen. Es wird sicher kein einfacher Auftritt für Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU). Die freien Träger sind allerdings wenig zuversichtlich, dort schon zu erfahren, wer wie viel sparen muss. Für die Kli­en­t*in­nen und Angestellten in den geförderten Projekten dürfte die Zitterpartie also noch eine Weile andauern.

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