Kürzungen an der Uni Halle-Wittenberg: Finanzielle Selbstverstümmelung
Jahrelang weigerte sich die Universiät Halle, den Sparkurs der Landesregierung umzusetzen. Nun ist der politische Druck zu groß geworden.
So hat es der akademische Senat Anfang April selbst beschlossen, allerdings unter erheblichem Druck. Trotz eines Landeszuschusses von 166 Millionen Euro fehlen im laufenden Jahr 17 Millionen im Haushalt der MLU, mehr als in den Jahren zuvor. Mit 13 zu 10 Stimmen fiel die Entscheidung für die Selbstverstümmelung knapp aus.
Die Abstimmung musste digital durchgeführt werden, weil etwa 500 Studentinnen und Studenten den Sitzungssaal „Börse zur Tulpe“ in Halle blockierten. „Fächervielfalt für (H)alle“ oder „Halle ist Provinz“ stand auf ihren Plakaten. Ein gewohntes Protestbild an Sachsen-Anhalts größter und bekanntermaßen widerspenstiger Hochschule.
Der dahinterstehende Konflikt reicht mindestens bis in das Jahr 2013 zurück. Damals verordnete SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn den Hochschulen eine jährliche Abschmelzung des Landeszuschusses von 430 Millionen Euro um jeweils fünf Millionen. Nach eineinhalb Jahren Tauziehen einigten sich die Rektoren und der damalige Wissenschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) Anfang 2015 in Bernburg auf Strukturreformen und den Abbau der Haushaltsdefizite.
Abwicklung statt Entwicklung
In der Folge sanken die Studierendenzahlen leicht und erholten sich erst in den vergangenen beiden Jahren wieder. Kein anderes Bundesland war für Hochschulabsolventen so unattraktiv wie Sachsen-Anhalt, zeigte eine Studie 2016.
Halle aber setzte die Schließungsvorgaben der Regierung von Anfang an nicht um. Geo-, Sport-, Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie die Informatik standen eigentlich auf der Kippe. Proteste verhinderten diesen Abbau. Die Universität habe über ihre Verhältnisse gelebt und die wachsenden Defizite nicht ausgleichen können, wirft nun das Wissenschaftsministerium der MLU vor. Pikant ist, dass der heutige Minister Armin Willingmann (SPD) vor acht Jahren als Rektor der Hochschule Harz und Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz den sogenannten Bernburger Frieden mit der Landesregierung aushandelte.
Hochschulen müssten immer wieder überprüfen, was zu ihrer finanziellen Ausstattung passe und was nicht mehr zukunftsfähig sei, sagt er nun. „Die Martin-Luther-Universität holt diesen Prozess jetzt nach“, zitiert der MDR den Minister. „Es hilft vor allen Dingen, dass man die Nöte durchaus erkennt, und zwar auf beiden Seiten.“
Am Zuge aber war jetzt ausschließlich eine Seite – die Universität –, um überhaupt wieder verhandlungsfähig mit dem Land zu werden. Der Preis dafür ist hoch. Der vom Senat beschlossene Entwicklungsplan ist in Wirklichkeit ein Abwicklungsplan. Vakante Stellen werden nicht besetzt, Fakultäten und Institute zusammengelegt. Betroffen sind Agrarwissenschaften, Biochemie, Pharmazie und Politikwissenschaften. Orchideenfächer wie Indologie, Japanologie oder Altertumswissenschaften werden absehbar wegfallen.
Bis ein solcher Abbau zu finanziellen Entlastungen führt, dürften aber Jahre vergehen. Studierende befürchten eine Verschlechterung der Studienbedingungen auch dann, wenn sie ihre Abschlüsse noch erreichen. Als ein „fatales Signal angesichts des Fachkräftemangels“ bezeichnete Linken-Hochschulpolitiker Hendrik Lange die chronische Unterfinanzierung der Hochschulstandorte in Sachsen-Anhalt.
Christian Tietje, Rektor der Uni Halle-Wittenberg, rechnet nicht mit Milde der Landesregierung, die offenbar eine sinkende Attraktivität ihrer Hochschulen in Kauf nimmt. Am vorigen Freitag lehnte auch die Mehrheit von CDU, SPD und FDP im Finanzausschuss des Landtages einen Antrag der Grünen zur Verbesserung der Hochschulausstattung ab. Die Kürzungen an der MLU hätten „einen gravierenden Einfluss auf die Entwicklung unseres gesamten Bundeslandes“, warnt deren hochschulpolitischer Sprecher Olaf Meister. Eine letzte Korrekturchance sieht er noch in der Haushalts-Bereinigungssitzung des Landtages am 4. Mai.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit