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Küppersbuschs JahresrückblickArme Poeten dürfen bronchial husten

Große Bauern fressen die kleinen, Linke gründen eine rechte Partei. Und Weidel hat jetzt Konkurrenz in der Rolle der strengen Mutti, die alles hasst.

BSW-Gründerin Sarah Wagenknecht im Sommer im thüringischen Altenburg Foto: Leon Joshua Dreischulte

H err Küppersbusch, was war schlecht dieses Jahr?

„Recht haben“ hat wesentlich besser funktioniert als „recht handeln“.

Und was wird besser nächstes Jahr?

Vielleicht wird das irgendwann langweilig.

Im Januar demonstrierten Landwirte gegen die Kürzung von Subventionen. Waren Treckerkorsos cooler als Klimakleberblockaden?

Wo sich Leute treffen, deren Fahrzeuge mindestens 80.000 Euro kosten, darf Christian Lindner nicht fehlen. Da die umstrittenen Subventionen sich nach Betriebsgröße bemessen, helfen sie den großen Bauern, die kleinen zu fressen. Kurz: Eine umfassend absurde Veranstaltung, oder der bewaffnete Arm der documenta.

Die Partei Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) war aus dem Stand überraschend erfolgreich. Ist Wagenknecht kanzlerfähig?

Das passiert, wenn Linke sich eine rechte Partei ausdenken: ein Design­produkt. Ein popkulturelles Angebot für Leute, die sich bei Taylor Swift an Musik und Tanz stören. Die Grenzen des Wagenknecht-Kults liegen in ihrer Kernkompetenz: Nörgeln. Entsprechend zäh waren die Koalitionsverhandlungen im Osten, jedes Mitmachen kostet Spielraum beim Draufhauen. Wenn es „kanzlerfähig“ ist, überzeugend darzulegen, warum alle anderen doof sind und man bei Weltherrschaft die Dinge schon richten wird, ist sie es.

Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny starb im Februar nach russischen Angaben im Straflager. Werden in Russland Kritiker überleben?

Nur in fensterlosen Wohnungen. Unter der aggressiven Verkrustung des Putin-Regimes starben auch alle Dialogformate; man mag mit seinen Bütteln nicht reden noch sie aufwerten. Zugleich fehlt es an allen Ecken und Enden an Dialog, und sei es, um herauszukriegen, dass er nichts taugt. „Die Opposition stärken“ hat in Ukraine, Belarus und jetzt Georgien mal keine, mal giftige Früchte getragen. Man muss nicht EU und Nato beitreten, um doch Putin abzulehnen. Da läge ein Weg.

Seit April ist der Anbau von Cannabis und der Konsum für Erwachsene legal. Wie bekifft ist die Republik?

Das Gesetz folgte dem von vornherein unhaltbaren Wahlversprechen „Mehr Fortschritt rauchen“. Und so sieht’s auch aus. Die Ampel wusste, dass ihr Ziel mit EU-Recht unvereinbar ist, und so kam es zu den höllenkomplizierten Regelungen. Immerhin ist der private Konsum nun diffus entkriminalisiert, und irgendwas muss an dem Gesetz gut sein, sonst würde es die nahende CDU-Regierung nicht wieder abschaffen wollen.

Venedig nahm letztes Jahr erstmals Eintritt (5 Euro) von Tagestouristen. Wäre das eine Idee, mit der deutsche Städte die Wirtschaft hierzulande wieder ankurbeln können?

Für einige Ruhrgebietsstädte wäre das Konzept „Austritt (5 Euro)“ plausibler. Alle 14 Tage 80.000, die nach Abpfiff aus dem Westfalenstadion raus wollen, mittelfristig sind wir saniert.

Im Mai wurde entschieden, dass die Einstufung der AfD als rechtsex­tremer Verdachtsfall rechtens ist. Ein Verbot der AfD – eine gute Idee?

Der Weg ist das Ziel. Die demokratische Gesellschaft schuldet es sich selbst, Grenzen zu markieren, und zugleich, einen so großen Teil wie die AfD-Anhängerschaft nicht auszugrenzen. Eine klar rechtsextreme und in Teilen verbotswürdige Partei ist ein Tumor. Ein Verbot wäre noch einer. Deshalb ist die – wenn auch frucht- und endlose – Verbotsdebatte das, was wir derzeit tun können.

Im Juni ging der Begriff „Brat Summer“ um die Welt, der auf die britischen Musikerin Charlie XCX zurückgeht. Das Giftgrün ihres Albumcovers war daraufhin überall. Ihre Prognose für die Trendfarbe 2025?

Der Adelstitel, auch eine „unangepasste Göre“ zu sein, hat Kamala Harris nicht zur Präsidentin gemacht. Deshalb Sido und Bushido bitte dringend high five und fist bump mit Friedrich Merz. Die Zeiten sind düster, Trendfarbe Schwarz, und der modische Reflex dagegen sind dann gern besonders grelle Töne: Rot. Tut mir leid.

Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Juli wurde Donald Trump angeschossen und am Ohr verletzt. Wird er seine zweite Amtszeit überleben?

Guter Versuch! Also die Verführung, darüber zu spekulieren. Später im Jahr ermordete ein Psycho den Manager einer verhassten US-Krankenversicherung. Es gab Mörder-Merch und die berüchtigte „klammheimliche Freude“. Let’s face it: Große Gesellschaften gebären einen gewissen Anteil an Psychopathen, und aus denen politische Helden zu machen, ist ungefähr so intelligent, wie sich von ihnen regieren zu lassen.

Überall werden drastische Einsparungen im Kulturbereich angekündigt. Was wird aus der Kulturnation?

Wenn man Union, AfD, FDP und BSW zusammenrechnet, haben wir derzeit rund 80 Prozent Mitte-Rechts im Lande. Das ist neu. Sie haben auch ein gewisses Spektrum gemein längs der Melodie „Der Markt wird’s schon richten“. Der gebiert dann ein Spitzweg-Idyll vom „armen Poeten“ unterm Dach, wo’s reinregnet und die Kunst zwischen zwei bronchialen Hustern hervorquillt. Das ist Kitsch.

Bei den Landtagswahlen in Thüringen wurde die AfD stärkste Kraft – in Sachsen landete sie knapp hinter der CDU. Alice Weidel: kanzlerfähig?

Weidel hat nun von Wagenknecht spürbare Konkurrenz im Rollenfach „Strenge Mutti findet alles schlecht“, zudem ist sie – anders als Wagenknecht – in ihrer Partei nicht beliebt. Prognose: Käme die AfD in die Nähe der Macht, fallen alle über sie her.

Das Jugendwort des Jahres lautet „Aura“. Wel­che:r deutsche Po­li­ti­ke­r:in hat die beste?

Die sie gut finden, dürfen es nicht sagen, die sie hassen, geben es nicht zu. Merkel.

In Paris wurde die Kathedrale Notre Dame wiedereröffnet, mit dabei: Selenskyi, Macron und Trump. Olaf Scholz fehlte. Wird er nächstes Jahr fehlen?

Soll er den Kölner Dom anzünden? Olle Scholle telefonierte derweil mit Putin, und gebe Gott, die Gesamtschau dürfte als so etwas wie kluge deutsch-französische Arbeitsteilung gelesen werden.

Hisbollah fast kaputt, Iran so gut wie kaputt, Assad total kaputt, Putin auch kurz davor. Wird die Welt 2025 eine bessere?

Ich habe definitiv nicht den Eindruck, meinen Kindern eine bessere Welt hinterlassen zu können, als ich sie selbst vorfand. Das ist bitter; bisschen für mich, mehr für sie.

Und was macht RWE?

War alles drin dieses Jahr von Fast­aufstieg bis komatöser Taumel runter gen vierte Liga. Aber kein Rheinmetall auf der Bande.

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Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
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2 Kommentare

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  • Noch zu Rot-Weiß Essen: erfreulich, dass ein ganzes Stadion spontan "Nazis raus" singt!!

  • "Let’s face it: Große Gesellschaften gebären einen gewissen Anteil an Psychopathen, und aus denen politische Helden zu machen, ist ungefähr so intelligent, wie sich von ihnen regieren zu lassen."

    Genau so!