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Künstler*innen in Corona-KriseÜberwindet Eure Geld-Scham!

Gastkommentar von Gernot Wolfram

Kulturschaffende bieten ihre Werke gerade oft umsonst an. Sie sollten beim Publikum faire Bezahlung einfordern.

Ode an die Freude – warum eigentlich umsonst? Mitglieder des Freiburger Barockorchesters Foto: Patrick Seeger/dpa

E s trifft viele Künstler*innen und Kulturbetriebe hart im Moment. Dazu kommt, dass sie von der Politik zwar unterstützt werden, aber eher stiefmütterlich. Kultur ist wichtig, jedoch nicht „systemrelevant“. Angesichts dieser wenig rosigen Aussichten reagieren viele Künstler*innen seit Wochen mit einem merkwürdigen Reflex: Sie stellen ihre Arbeit umsonst zu Verfügung. Nicht einmalig, nicht als besonderes Ereignis wie zu Anfang der Krise, sondern als ständige Alternative, um ihrem Publikum nicht verloren zu gehen.

In der Folge vollzieht sich ein Akt der Selbstausbeutung. Lesungen, Performances und Texte werden kostenfrei online offeriert. So werden ticketfreie Konzerte gespielt, im Netz oder live auf dem Balkon. Staatliche Einrichtungen befördern das noch: Filme gibt es kostenlos, und Archive werden geöffnet.

Oft abwesend ist dabei die Beantwortung der Frage, warum das jetzt umsonst ist – und wie man diese Mentalität nach der Krise wieder ändern will. Wenn Kunst und Kultur zum inneren Bestand unserer Gesellschaft gehören, warum gibt es dann diese Scham beim Thema Geld? Ist es mangelndes Selbstbewusstsein? Oder überbordendes Sendungsbewusstsein? Beides wäre fatal.

Es geht nicht um die Frage, wie man zum Kapitalismus steht, sondern wie man als Künstler*in überlebt. Hinter Künstler*innen stehen Menschen, die ihre Kunst schätzen und brauchen, auch Publikum genannt. Die lassen sich aktivieren. Nicht als mitleidige Helfer*innen, sondern als Rezipient*innen, die wissen, wie viel Arbeit dahintersteckt. Es gibt nicht nur Autokinos als Ideen, neue Erlösmöglichkeiten zu beschreiten. Zuerst sollte aber die Erkenntnis stehen, aufzuhören mit umsonst.

Gerade jetzt, wo Menschen zu Hause viel mehr lesen, Filme sehen, Bilder betrachten, Musik hören als gewöhnlich, ist Kultur eine große Kraft. Es herrscht also keine Kulturkrise, sondern eine ökonomische Krise – mit Chancen. Daher ist Selbstbewusstsein gefragt: Wir dürfen keine Spenden einfordern, sondern faire Bezahlung für Arbeit, die gerade jetzt besonders gebraucht wird.

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2 Kommentare

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  • Es gibt in Deutschland und wahrscheinlich auch weltweit einfach zu viele Künstler, die als "Profis" von ihrer Kunst leben wollen. Ob man das erreichte Niveau der so produzierten Kunst ebenfalls für "professionell" hält, ist natürlich Geschmackssache, aber ich finde, es gibt schon viel zu viel Mittelmäßigkeit in der Flut von Angeboten - etwa auf dem Musikmarkt.

    Da wäre es schon sinnvoll, das Angebot knapper zu gestalten, indem z.B. weniger Studienplätze in Musikhochschulen etc. angeboten werden, die konsequenterweise nur noch den allerbestern vorbehalten werden könnten. Wieviele professionelle Konzertpianisten braucht es denn deutschlandweit wirklich? Es macht einfach keinen Sinn, die zehnfache Menge jedes Jahr auszubilden. Diese Regel gilt in anderen Berufen schließlich auch.

    Wieviele enttäuschte Karrierepläne von enthusiastischen jungen Menschen wollen wir noch provozieren? Das sollte die Kunst-Community mal ehrlich mit sich selbst diskutieren. Man tut den Menschen keinen Gefallen damit, sie für einen Markt und einen Beruf auszubilden, der letztlich nur einen Bruchteil des Angebots ernähren kann.

    Das galt übrigens schon vor der Corona-Krise und wird jetzt nur schonungsloser offengelegt.

  • "...Es geht nicht um die Frage, wie man zum Kapitalismus steht..."

    Vielleicht ist es genau das.

    "Oft abwesend ist dabei die Beantwortung der Frage, warum das jetzt umsonst ist – und wie man diese Mentalität nach der Krise wieder ändern will"

    Will man das?

    In letzter Konsequenz degradiert es Kunst zu ware und führt zu den Absurden Zuständen, die wir gerade erleben: "Content" (wie die Händler es abwertend nennen [1]) wird einerseits über das Volk gekippt, andererseits mit drakonischen Schutzmassnahmen so "gesichert", dass sich keiner mehr richtig bewegen kann. Künstliche Verknappung bei gleichzeitiger Inflation. Kapitalismus im terminalen Stadium.

    Da sind mir die Mutigen, wie Wikipedia, ja, auch wie die taz, die andere Modelle versuchen die liebsten. Es ist, als träfe man in einer grauen Industriebrache auf eine leuchtende Blüte -- man glaubt erst nicht, dass es so eine Farbe geben kann.

    Ja, klar. KünstlerInnen müssen von was leben. In einer hinreichend fortgeschrittenen Gesellschaft ist das gesellschaftliche Aufgabe. Wir leben in der Steinzeit.

    [1] Ein interessanter Zufall, dass Content so nahe bei Contempt liegt. Die Springers und Netflixes und Spotifys verachten das Zeug nämlich. Für sie ist es Gülle, die sie weiterverkaufen.