Künstler*innen in Berlin: Wenig hilfreich für Kollektive
Die Stadt wird teurer, Künstler*innen werden weiter verdrängt. Betroffen sind auch die Treptow Ateliers, die nun ausziehen müssen.
Körbs ist Teil der Treptow Ateliers, einer Gemeinschaft von 26 Künstler*innen. Sie existiert seit etwa zehn Jahren, seit 2019 als Verein. Die Künstler nutzen derzeit 17 Ateliers in der Wilhelminenhofstraße 83–85 in Schöneweide. Doch Ende Oktober haben sie erfahren, dass sie zum 15. Januar weiterziehen müssen. Die Künstler*innengemeinschaft war schon einmal gezwungen, den Standort zu wechseln. Vor zweieinhalb Jahren mussten sie ein Atelierhaus in der Mörikestraße 8–12 in Baumschulenweg verlassen. Das Haus ist längst abgerissen, doch noch immer ist dort nur eine Baugrube zu sehen.
„Wenn man da vorbeiradelt und sieht, dass wir noch da hätten bleiben können, möchte man am liebsten heulen“, sagt die bildende Künstlerin Lydia Paasche beim Gespräch in der Teeküche, an dem neben ihr und Sebastian Körbs auch noch die italienische Fotografin Chiara Dazi und der irische Maler Lorcan O’Byrne teilnehmen. Trotzdem hatten sie vor zweieinhalb Jahren in letzter Minute Glück, berichten sie.
Denn damals fanden sie hier in den Rathenau-Hallen in der Wilhelminenhofstraße eine neue Heimat, auf dem Areal des ehemaligen AEG Transformatorenwerks, wo auch noch andere Künstler*innen arbeiten und ausstellen. Der Eigentümer Basecamp, ein Entwickler und Betreiber von studentischem Wohnen, möchte die Hallen denkmalgerecht sanieren und zum Büro- und Kulturstandort entwickeln. Im Mai 2019 überzeugte die Senatsverwaltung für Kultur Basecamp, den Treptow Ateliers einen Teil der Hallen für ein Jahr zur Zwischennutzung zu überlassen.
Nichts Neues in Sicht
„Basecamp waren fair und kooperativ, haben mit offenen Karten gespielt. Wir durften sogar die fantastischen hinteren Räume kostenfrei für Ausstellungen nutzen und sie haben uns am Ende noch mal verlängert“, sagt Paasche. Aber nun ist nach zweieinhalb Jahren Schluss – und auch wenige Tage vor Ablauf des Mietvertrags ist nichts Neues in Sicht.
Die Künstler*innen haben Verständnis für Basecamp, immerhin war von vornherein klar, dass sie nicht bleiben können. Wofür sie aber weniger Nachsicht haben: Die Senatsverwaltung für Kultur und Europa mag bei der Vermittlung des aktuellen Standorts hilfreich gewesen sein. Bei der Suche nach einem Objekt, wo man länger bleiben kann, fühlen sie sich im Stich gelassen.
Die Häuser, die der Senat anbieten konnte, waren entweder maximal abgelegen oder boten nur Räume, in denen die Arbeit an großformatigen Bildern oder Skulpturen unmöglich ist, berichtet Körbs. Nur 500 Meter entfernt von den Treptow Ateliers stehe ein Gebäude leer, das der Senat durch die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) sanieren und ausbauen lassen möchte. Die alte Berufsschule, seit mehr als einem Jahrzehnt ungenutzt, soll ein Produktionsort für freie Künstler*innen werden.
Keine Bevorzugung von Künstler*innen
Schon 2019 haben die Treptow Ateliers eine Machbarkeitsstudie durchführen lassen für die Nutzung der alten Schule. „Hätten wir damals das Objekt zur längerfristigen Zwischennutzung oder sogar auf Basis eines Erbbauvertrags bekommen und gleich loslegen können, wären wir heute wohl fertig und könnten umziehen“, so Paasche. Aber das wurde vom Senat abgelehnt. „Die Raumvergabe an Künstler*innen verläuft nach klaren Kriterien und über Jurys. Wir hätten nicht einfach so eine Gruppe bevorzugen können“, verteidigt der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für die Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Daniel Bartsch, diese Entscheidung gegenüber der taz. „Die Berufsschule war so sanierungsbedürftig, dass eine Herrichtung zur Zwischennutzung in Eigeninitiative nicht vorstellbar war“, fügt er an. Baubeginn soll 2023 sein.
Auch wenn das alles seine Richtigkeit haben mag: Die Not der Treptow Ateliers verweist auf ein tiefer liegendes Problem. Laut Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin (bbk) leben Kunstschaffende in der Hauptstadt prekärer denn je, verdienen im Schnitt nur 1.163 Euro im Monat. „2020 ist das Einkommen von 85 Prozent der Befragten im Vergleich zu 2007 sogar noch gesunken“, so das Weißbuch Atelierförderung II des bbk. „Die Gewerbemieten in Berlin liegen bei bis zu 15 bis 46 Euro pro Quadratmeter. Mit ihrem Raumbedarf kommen auf bildende Künstler*innen nicht selten bis zu 900 Euro Mietkosten für professionelle Arbeitsräume zu, die sie monatlich aufbringen müssten.“ Als das Buch im August 2021 herauskam, war weder die Inflation noch der Anstieg der Energiekosten in Sicht.
Der Senat hat gut reagiert, vor allem mit der Akquise von Arbeitsräumen durch ein neu eingerichtetes Kulturraumbüro. In diesem Jahr werden die 2.000 geförderten und damit erschwinglichen Arbeitsräume für Künstler*innen, die Kultursenator Klaus Lederer (Linke) schon bis Sommer 2021 versprochen hatte, erreicht sein. Allerdings: Es gibt kein funktionierendes Instrument, gewachsenen Gruppen zu helfen, ihre Raumprobleme selbst in die Hand zu nehmen.
Sorgenvolle Zukunft
Dies kritisiert der Atelierbeauftragte für Berlin, Dr. Martin Schwegmann, schon lange. „Die Hürden für Künstler*innengruppen bei Konzeptverfahren, wie sie für die Schöneberger Linse oder das Areal des ehemaligen Blumengroßmarkts inklusive Bauland für das aktuelle Redaktionsgebäude der taz zur Anwendung kamen, sind viel zu hoch“, sagt er gegenüber der taz. Die Erbbauzinsen 2021 wurden zwar gesenkt, dennoch seien die Mieten aufgrund der gestiegenen Bodenpreise und galoppierender Baukosten für die meisten Projekte kaum bezahlbar. Eine Genossenschaftsanteilförderung für Gewerbe, wozu Kunst und Kultur rechtlich zählen, gibt es ebenfalls nicht.
Und ein Bürgschaftsprogramm des Senats für freie Gruppen, dessen Prüfung Klaus Lederer bei seinem Amtsantritt 2016 versprochen hat, ist bislang wegen zu hoher Auflagen noch nie zur Anwendung gekommen. Laut Daniel Bartsch habe der Senat begonnen, „Empfehlungen für eine bedarfsgerechte Anpassung“ zu geben. „Wir müssen dringend nachhaltige Konzepte entwickeln, bei denen gemeinwohlorientierte Orte auch von Künstler*innen selbst organisiert werden“, so Schwegmann zur taz. „Wir haben hier auf jeden Fall eine Leerstelle, die wir angehen müssen“, räumt auch Bartsch ein.
Von dieser Leerstelle können derzeit nicht nur die Treptow Ateliers, sondern viele Häuser, in denen Kunst oder Kultur produziert werden, ein Lied singen. Bei den Uferhallen in Wedding, die 2017 größtenteils von einer Firma des Rocket-Internet-Gründers Alexander Samwer gekauft wurden, hieß es noch im Herbst 2021, sie seien gerettet.
Inzwischen sehen die über 100 Künstler*innen, die auf dem 18.900 Quadratmeter großen Gelände arbeiten, wieder mit großer Sorge in die Zukunft. Die Bebauungspläne seien zu massiv, „die Konflikte vorprogrammiert“, so der bildende Künstler Hansjörg Schneider zur taz. Man sei zu wenig in die komplexen Verhandlungen zwischen Eigentümern, Senat, Bezirk und Denkmalbehörde eingebunden worden, findet er. Wenn 2024 noch immer keine Einigkeit beim Bebauungsentwurf herrsche, könne dieser auch wieder platzen. Die langfristige Verträge mit bezahlbare Mieten erhalten.
Auch bei anderen Kulturorten sind Bezirk und Senat die Hände gebunden. In der Goldleistenfabrik in Weißensee arbeiteten etwa 20 Künstler*innen, Selbstständige und Handwerker*innen. Im Oktober flatterten ihnen Mietsteigerungen um 40 bis 70 Prozent auf den Tisch. Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) erklärte, er bemühe sich um „Einvernehmen mit Projektentwicklern und Mietern“ – allerdings sind laut Klaus Scheddel, Chef des Via-Reiseverlags, inzwischen rund die Hälfte der Mieter*innen ausgezogen. „Ich selbst habe einen meiner beiden Räume aufgegeben, um mir weiterhin die Miete leisten zu können“, sagt er zur taz. Und: Allein in Treptow-Köpenick sind laut Netzwerk Ateliergemeinschaften sechs Ateliergemeinschaften langfristig bedroht.
Fehlende Hilfe von Seiten der Politik
Bis weit in die Nullerjahre hinein war Berlin in Sachen bezahlbare Arbeitsräume ein Eldorado für die Künstler*innen. Viele Gruppen schlugen sich oft unabhängig von staatlicher Unterstützung, mit viel Eigeninitiative und auf sehr hohem Niveau durch. Viele dieser Gruppen gibt es noch, aber die Hindernisse, die sie überwinden müssen, werden immer höher.
So hoch, dass Lydia Paasche, Sebastian Körbs und ihre Mitstreiter*innen rapide die Luft ausgeht. Über 70 Objekte haben sie sich in den letzten vier Jahren genauer angeguckt, durchgerechnet, sind in Kontakt getreten. Immer haben die Investoren und Eigentümer Bedingungen aufgestellt, die sie nicht erfüllen können. Hier müsste die Politik rasch ansetzen.
„Es macht doch keinen Sinn, dass die Politik Gruppen, die gemeinsam etwas in die Hand nehmen und Ausstellungen machen wollen, an die Wand fahren lässt und ihnen später geförderte Einzelräume anbietet, in denen man eher für sich bleibt“, sagt Sebastian Körbs.
Genau so könnte es ihm aber nun ergehen.
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