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Künstlerin über Erinnerungs-Projekt„Eine Lücke, die ich füllen wollte“

Das Projekt „Performing Denkmal“ erweitert Gedenkorte und Denkmäler performativ. Den Anstoß gab ein Spaziergang über den Jüdischen Friedhof in Altona.

Mit Schaum und Lavendelwasser: Reinigung des Gedenksteins auf dem Platz der jüdischen Deportierten Foto: Dennis Mundkowski
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Maria Isabel Hagen, das Projekt „Performing Denkmal“ gab es lange bevor Sie im September eine Art Premiere feiern konnten an drei Abenden. Seit wann genau?

Maria Isabel Hagen: Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, als ich 2019 mit meinem Projektpartner Christopher Felix Hahn, der gebürtiger Hamburger ist, über den Jüdischen Friedhof in Altona gelaufen bin. Der war gerade erst zugänglich gemacht worden für die nicht-jüdische Allgemeinheit. Ich war geschockt – einerseits davon, wie wenig ich über das Judentum allgemein weiß. Aber auch darüber, dass ich diesen Ort nie gesehen hatte, obwohl er beinahe von meiner Haustür liegt. Das hat den Anstoß gegeben, mich mit jüdischer Geschichte in Hamburg auseinanderzusetzen. Dann habe ich angefangen, ein Konzept zu entwickeln, und es war zeitweise wie Memory spielen: Je mehr ich aufdeckte, desto mehr passte zusammen und desto mehr Orte sind mir begegnet, an denen ich tagtäglich vorbeigekommen bin, über deren jüdischen Hintergrund ich aber nichts gewusst hatte.

Zum Beispiel?

Der ehemalige jüdische Friedhof in Ottensen unter dem Einkaufszentrum „Mercado“. Oder der Tempel in der Poolstraße in der Hamburger Neustadt. Es war auch die Zeit von Black Lives Matter, 2020, es wurden weltweit Denkmäler in Frage gestellt, umfunktioniert, auch gestürzt. Leute haben sich gefragt: An was genau erinnern wir eigentlich mit diesen Statuen? Ist das noch zeitgemäß?

Sie haben dafür alternative Formen gesucht?

Ja, aber auch andere Inhalte, an die zu erinnern wäre. Parallel zu diesem, zu meinem Unwissen über das Judentum habe ich mich auch gefragt: Wie funktioniert das Erinnern überhaupt? Und welche alternativen Formen kann es dafür geben? Und das nicht im luftleeren Raum: Für mich gibt es eine starke Diskrepanz zwischen abgelegten Kränzen oder einmal im Jahr polierten Stolpersteinen – und den Schüssen auf die Synagoge in Halle und überhaupt der jährlich wachsenden Zahl antisemitischer … ja, man nennt das immer ganz neutral „Übergriffe“. Es sind aber häufig gewalttätige Angriffe auf Menschen, die in der Mitte unserer Gesellschaft leben und sich aufgrund dessen eigentlich sicher fühlen, sicher fühlen sollte. Da habe ich eine Lücke empfunden, die ich irgendwie füllen wollte.

Bild: Anna Koehler
Im Interview: Maria Isabel Hagen

36, realisiert als künstlerische Leiterin des Brachland-Ensembles Projekte zwischen zeitgenössischem Theater und politischer Bildung.

Sie haben dann mehrere einschlägige Hamburger Orte, auch Objekte „performativ erweitert“. Welche – und wie?

Im August 2022 war das erste Denkmal der ehemalige Friedhof in Ottensen. Das zweite war dann am Platz der Deportierten neben dem Hauptgebäude der Hamburger Universität. Das Projekt ist auch ein Findungsprozess gewesen: In meinem allerersten Konzept stand noch ein rein deutsches, also: nicht-jüdisch deutsches Team. Aber im Verlauf ist mir klar geworden: Ich sehe zwar die Verantwortung auf Seiten der nicht-jüdischen Deutschen, sich auseinanderzusetzen mit der Geschichte und damit, wie wir sie aufbereiten. Es sind nicht die Jüdinnen und Juden, die Stolpersteine polieren müssen. Aber es ist trotzdem eine Frage der Beteiligung jüdischer Menschen am Projekt – eigne ich mir sonst ein Thema an, das mir nicht zusteht?

Man kann sich natürlich schönreden, dass es gerade richtig sei, nicht als Angehörige einer betroffenen Gruppe zu sprechen, sondern als Teil einer Mehrheit: Weil man mehr Gehör findet, potenziell. Und weil das Gesprochene gerade nicht darauf reduziert werden kann, dass da vermeintlich nur Betroffenheit sich einen Ausdruck sucht. Man kann da also eine Stärke erkennen – aber es bleiben Widersprüche.

Widerspruchsfrei ging sowieso in dem ganzen Projekt überhaupt nichts. Uns sind im Verlauf immer wieder neue Sachen aufgefallen. Nehmen wir den Tempel in der Poolstraße, die Gründungsstätte des liberalen Judentums, einer der weltweit wichtigsten Orte für das liberale Judentum überhaupt – und von der Stadt Hamburg total dem Verfall anheimgegeben. Für uns stand schnell fest, wir können da nicht performen, das steht uns nicht zu.

Als nicht-jüdische Menschen.

Wir können den Boden dafür bereiten, aber wir laden jüdische Künst­le­r:in­nen ein und ziehen uns dann auch aus der Kuration zurück. Ich habe mich auf die Organisationen beschränkt. Wir haben ja versucht, auch den Begriff Denkmal neu zu denken: Denkmäler, die in die Zukunft schauen. Auch da habe ich wieder Jüdinnen und Juden eingeladen haben, sich Ideen auszudenken, die ich dann mit ihnen zusammen umsetze. Ich habe also etwas auszulagern versucht, abzugeben. Anders als beim Gedenkstein auf dem Platz der Deportierten neben der Uni.

Wie war es da?

Den haben wir aktiv performativ erweitert, indem wir den Stein geschrubbt haben mit Schaum und Lavendelwasser. Aber das ist ein Gedenkort, eine Auftragsarbeit eines nicht-jüdischen Künstlers, Ulrich Rückriem. Das heißt, da sehe ich mich eher als Deutsche, die einen dem Erinnern zugedachten Stein durch eine performative Aktion wieder ins Bewusstsein der Pas­san­t:in­nen zu bringen versucht. Bei der Synagoge beziehungsweise der Tempel-Ruine fand ich dagegen, das ist ein Ort, an dem ich als Nichtjüdin selbstverständlich sprechen kann. Aber warum sollte ich das tun, wenn es auch eine Jüdin sein kann oder ein Jude? Ich hätte dort wohl etwas Informatives gemacht, über die Geschichte erzählt, die Zwischennutzung der Räume und so weiter.

Stattdessen gab es eine Performance von Tänzerin Yeva Lapsker und Maler Pavel Ehrlich.

Eine symbiotische Performance, die eher darauf abgezielt hat, das Feuer im Tempel wieder zu entfachen – auch, indem sie da tatsächlich eine Kerze angezündet haben. Aber vor allem, indem sie jüdisches Leben wieder dorthin gebracht haben.

Geht es „Performing Denkmal“ also vor allem um das Bewahren von teils lange und arg vernachlässigten Orten vor dem Vergessen?

Ja, aber das Projekt will auch das Erinnern an sich hinterfragen: Bedeutet es nur, etwas nicht zu vergessen? Deshalb habe ich auch den jüdischen Videokünstler Pavel Franzusov mit ins Projekt geholt, damit er sich utopische Denkmalideen ausdenkt. Ich selbst hätte mir nie rausgenommen, diese Ideen auch nur als Skizze zu entwerfen. Während Pavel ziemlich radikale Vorschläge macht.

Das Projekt

Performing Denkmal: Alle Videos unter www.youtube.com/@Malklawab.

Weitere Infos zum Projekt: www.mariaisabelhagen.de

Die sind nun im Netz anzusehen. So wie auch einige Ihrer eigenen performativen Erweiterungen.

Es wird auch noch einen Trailer des im September aufgeführten Theaterabends geben. Auf Anfrage haben wir auch einen Zusammenschnitt der damaligen Produktion für Interessierte. Die versteht sich ja als das zwölfte Denkmal, ist also nur ein Teil des Projekts. Das heißt, auf meiner Homepage sind nun alle Denkmäler zu finden, die wir performativ erweitert haben – und das auch filmisch festgehalten. Es gibt auch Denkmäler, die wir nicht filmisch dokumentiert haben, weil auch da die Frage ist, in welcher Form erinnern wir uns – hat es nur stattgefunden, wenn es filmisch festgehalten wurde?

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