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Künstlerin Sutapa BiswasVon Rachegöttern und Hoffnung

Sutapa Biswas bearbeitet das Trauma der Kolonialzeit in Indien. Zwei Ausstellungen in England präsentieren ältere und neue Arbeiten.

Still aus „Lumen“ von Sutapa Biswas Foto: Carlotta Cardana

Cambridge taz | In einem eleganten englischen Haus spricht eine Frau im schwarzen Sari mit leichtem nordenglischen Akzent über die Geburt ihrer Tochter. Wen die Schauspielerin Natasha Patel hier gerade darstellt, ist in Sutapa Biswas’ neuester Filmarbeit „Lumen“ nie ganz klar, denn sie spielt gleichzeitig die Rollen von Biswas’ Großmutter, Mutter und von Biswas selbst.

Die 59-Jährige Künstlerin wurde in Shantiniketan in Westbengalen, der indischen „Heimstatt des Friedens“, geboren und kam mit ihrer Familie als vierjähriges Kind 1966 nach England. Mit ihrer Kunst will sie gegen das westliche Vorurteil von der Passivität südasiatischer Frauen kämpfen und deren ungehörte, nicht erzählte Geschichten öffentlich machen. In zwei Ausstellungen, in Cambridge und im nordenglischen Gateshead, stehen Biswas’ Beiträge zur Black-Arts-Bewegung in Großbritannien und zur sich wandelnden britischen Nachkriegskunst im Mittelpunkt.

Die Ausstellungen

Bis 30. Januar Kettle’s Yard, Cambridge, bis 20. März Baltic, Gateshead

Ihr neuer Film „Lumen“ erzählt eine halbfiktionale Geschichte der Migration, wobei es vor allem die Erfahrung ihrer Mutter ist, die den Film prägt. Deren Erinnerung an die indische Landschaft mit ihrem einzigartigen Grün vermischt sich mit Filmmaterial, das Bri­t:in­nen in der Kolonialzeit in Indien einst von sich selbst drehten. Die Bilder Tennis spielender englischer Damen und zum Appell versammelter Soldaten werden zu einer Anklage gegen das Traumata kolonialer Gewalt und gegen die verschüttete Geschichte des Völkermords nach der Teilung des Landes im Ostpakistan-Konflikt.

Für ihre frühe Videoarbeit „Kali“ (1984) stülpte sie ihrer damaligen Professorin an der Universität Leeds, Griselda Pollock, einen weißen Kissenüberzug über den Kopf. Als Verkörperung des weißen Imperialismus fesselte sie sie an einen Stuhl. Biswas selbst spielte die titelgebende Rachegöttin Kali.

40 Jahre vor Black Lives Matter

Mit der Performance, so Pollock über ihre Studentin, zwang sie „uns alle die eurozentrischen Grenzen des Diskurses anzuerkennen, in dem wir uns bewegten“. 40 Jahre vor Black Lives Matter arbeitet die Kunsthistorikerin an der Entkolonialisierung ihres Lehrplans.

Eine von Biswas’ bekanntesten Arbeiten aus ihrer Studienzeit in Leeds ist „Hausfrauen mit Steakmessern“ (1983–85). Wieder soll die Göttin Kali das Böse aus der westlichen Welt jagen. In der linken Hand hält sie den Kopf des enthaupteten britischen Raj-Herrschers, und an einer Halskette hängen die Köpfe Hitlers, Trotzkis und anderer als Trophäen.

Das berühmte Gemälde Artemisia Gentileschis von der Enthauptung des Holofernes (1612/13), als fotokopierte Seite aus einem Buch Pollocks, ist zusammen mit einer roten Rose, dem Symbol Englands, in der rechten Hand der Göttin zu sehen. Mit diesen ersten Werken machte Biswas sich in den 1980er Jahren einen Namen innerhalb des britischen Black Art Movement.

Bei ihrer ersten Rückkehr nach Indien erfuhr Biswas dann, dass ihre Großmutter eine dort bekannte Verehrerin der Göttin Kali war. Biswas nahm das als Beleg dafür, dass Fetzen ihrer Erinnerung zu zentralen Objekten ihrer Kunst geworden waren und eine Verbindung zu einer ihr verlorenen Welt darstellen, die nur noch in ihrem Unterbewusstsein existierte. Dazu gehört auch ein immer wiederkehrendes Kleidungsstück in ihren Arbeiten, ein rotes T-Shirt.

Erst 2017 zum 70. Jahrestag der Teilung Indiens wurde in den britischen Medien deutlich über das bisher nicht ausreichend konfrontierte Trauma gesprochen. „Lumen“ lässt dieses Trauma und die damit verbundenen Erfahrungen in England nachfühlen. Der Film gibt der Hoffnung Ausdruck, wie Sutapa Biswas dem Kurator des Baltic-Kunstzentrums erzählte, „… dass du akzeptiert wirst mit all deinen Idiosynkrasien, als Mensch, der du bist“. Lumen stelle deshalb das Licht der Hoffnung und aller Menschen dar.

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