40 Jahre nach Brand in London: Fanal des Kampfes gegen Rassismus

Vor 40 Jahren trieb die Wut über Rassismus Zehntausende Schwarze in London auf die Straße. Es war die Geburtsstunde ihrer Selbstorganisation.

Der Protestmarsch vom 2. März 1981: Am Ende Polizeieinsatz Foto: Mirrorpix/Ullstein

LONDON taz | Eng gedrängt marschieren die Menschen durch den Londoner Regen, sie halten Plakate, singen, fordern „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“, skandieren „Mörder“. Es ist der 2. März 1981. Rund 20.000 Menschen, die meisten Schwarze, sind zum bisher größten Protest seiner Art in Großbritannien zusammengekommen, zum „Black People’s Day of Action“.

Menschen aller Altersgruppen sind auf den Filmaufnahmen zu sehen. Und immer wieder rufen sie diesen einen Spruch: „Thirteen Dead, Nothing Said“: 13 tot, niemand sagt was dazu. Es war damals erst wenige Wochen her, dass 13 schwarze junge Menschen ihr Leben bei einem Brand gelassen hatten – und in der Folge vielen schwarzen Bri­t*in­nen klar wurde, dass sie sich nicht auf Polizei und Justiz verlassen können. Noch heute ist das „New Cross Fire“ ein wunder Punkt in der Community.

Der Brand war am 18. Januar 1981 in einem Südlondoner Reihenhaus in den frühen Morgenstunden ausgebrochen. Dort hatte am Abend ein Mädchen namens Yvonne Ruddock zu einer Party zu ihrem 16. Geburtstag eingeladen, eine Nacht mit Soundsystem und DJ. Gegen fünf Uhr morgens, angeblich zum Sound von Wailing Souls „Kingdom Rise, Kingdom Fall“, breitete sich Feuer und Rauch vom Parterre aus und schnitt den jungen Menschen den Fluchtweg ab. Unter den späteren Opfern war auch das Geburtstagskind, das den Sturz aus einem Fenster nicht überlebte. Über 50 Personen entkamen mit teilweise schweren Verletzungen.

Schon zuvor hatten Neonazis in dieser Gegend Südlondons Brände gelegt. Aber die Polizei behandelte die Überlebenden von New Cross vor allem als Verdächtige. Junge Männer hätten gestritten und das Feuer gelegt – eine Anschuldigung, die sich als frei erfunden herausstellte. Bis heute kam es nie zu einer Verurteilung, Verantwortliche wurden nie ausgemacht.

Dean Gordon, Lehrer

„Es geht darum, dass schwarze Geschichte endlich anerkannt wird“

Die schwarze Community sah sich auf sich selbst gestellt. Bald gründeten Ak­ti­vis­t*in­nen das New Cross Massacre Action Committee (NCMAC). Es begannen eigene Ermittlungen, die von der gerichtsmedizinischen Untersuchung später ignoriert wurden.

Aus dieser Selbstorganisation erwuchs die große Demonstration am 2. März 1981. Acht Stunden lang marschierten die Protestierenden friedlich von Fordham Park gegenüber der Brandstelle in New Cross ins Zentrum von London, zum Hyde Park, vorbei am High Court of Justice, an 10 Downing Street, am Parlament und an Scotland Yard.

Fanal

„Das Feuer war es, was nach Jahrzehnten rassistischer Diskriminierung vonseiten der Polizei und in der allgemeinen Gesellschaft das Fass zum Überlaufen brachte. Es war der Grund, weswegen ich in die Politik eintrat“, sagt Janet Daby. Aufgewachsen in einer „schwarz-asia­tisch-karibischen“ Familie, wie sie sagt, ist sie seit 2018 Labour-Parlamentsabgeordnete für den Wahlkreis Lewisham-Ost, zu dem New Cross gehört. Für sie war der Black People’s Day of Action 1981 der endgültige Entschluss der schwarzen Gemeinschaft in Lewisham, sich zu organisieren.

Tatsächlich gingen weder Regierung noch Polizei damals auf die Forderungen ein. Stattdessen kam es zur „Operation Swamp 81“ – eine vorgeblich zur Kriminalitätsprävention durchgeführte Polizeiaktion im vor allem von Schwarzen bewohnten Innenstadtviertel Brixton, in der Polizisten in Zivil innerhalb von sechs Tagen an die 1.000 Schwarze durchsuchten und um die 100 festnahmen.

Die schwarzen Süd­lon­do­ne­r*in­nen hatten genug. Im April kam es zu Aufständen in Brixton und in anderen britischen Städten. Als ganze Stadtteile in Trümmern lagen, beauftragte Premierministerin Margaret Thatcher einen Richter, Leslie Scarman, die Unruhen zu untersuchen. Scarman verwies ohne Umstände direkt auf Dinge, die die Politik ansonsten ignorierte: unverhältnismäßige und willkürliche Polizeigewalt gegen schwarze Menschen unmittelbar vor den Aufständen. Gleichzeitig und unabhängig davon kritisierte der Gerichtsmediziner im Falle New Cross die polizeilichen Ermittlungen.

Kontinuitäten

Offener Rassismus, wie er damals in Großbritannien in weiten Teilen der Gesellschaft noch salonfähig war, ist heute selten geworden. Doch Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber ethnischen Minderheiten sehen viele von deren Angehörigen auch heute noch. Etwa beim Brand im Londoner Sozialbau „Grenfell Tower“ im Juni 2017. Das Feuer forderte 72 Menschenleben, viele davon Nichtweiße.

Die Aktivistin Yvette Williams gründete nach der Katastrophe mit anderen die Organisation Justice 4 Grenfell. Für sie, im mittelenglischen Birmingham aufgewachsen, als eine von wenigen Schwarzen in ihrer Gegend und auf ihrer Schule, waren die 1970er und die frühen 1980er Jahre eine prägende Zeit.

„Zuerst kam die Film­serie,Roots', dann mein allererster Protest“, erinnert sie sich. Dieser Protest war der Black People’s Day of Action. „Wir büxten aus der Schule aus und fuhren mit einem Bus nach London.“ Zwei Jahre später zog Williams nach London und wurde in der schwarzen Gemeinschaft in Notting Hill aktiv.

Williams erinnert sich an historische Momente: die Wahl der ersten vier schwarzen Abgeordneten ins britische Unterhaus im Jahr 1987, die Ermordung des schwarzen Teenagers Stephen Lawrence durch eine rassistische Gruppe junger Weißer im Jahr 1993 in Elton, ein Steinwurf von New Cross entfernt, infolge dessen 1999 eine offizielle Untersuchung, die der Londoner Polizei „institutionellen Rassismus“ vorwarf. Die damalige Kampagne „Gerechtigkeit für Stephen Lawrence“ wurde von der Polizei schamlos ausspioniert, ebenso die Eltern des Ermordeten, erinnert sich Williams. „Die Polizei machten, was sie wollten.“

Sogar ältere Damen seien auf den Weg zur Sonntagskirche gestoppt und aufgefordert worden, ihre Handtaschen zu öffnen: „Da hat sogar meine konservativere Mutter begriffen, dass die polizeilichen Maßnahmen nicht einfach damit zu erklären waren, dass schwarze Jugendliche Probleme machten.“

Was Grenfell betreffe, habe es immer noch keine richtige Untersuchung gegeben und keine Anklagen, mahnt Williams. „Wir brauchen echte Strafverfahren und kompromisslosen Druck.“

Neue Generation

Kaum zehn Minuten Fußweg von New Cross gibt es Ansätze, dass die nächste Generation ihrem Anliegen folgt. In den Grundschulen Grinling Gibbons und Lucas Vale haben sich zehn- und elfjährige Schü­le­r*in­nen mithilfe ihrer Leh­re­r*in­nen mit den Ereignissen in New Cross 1981 auseinandergesetzt. Zum 40. Jahrestag des Feuers trugen sie eigene Gedichte vor dem Denkmal an die Brandopfer vor, mit einer Schweigeminute und Blumen vor der 439 New Cross Road zu Bob Marleys „No Woman No Cry“.

Einer der Schuldirektoren ist der in Jamaika geborene Dean Gordon, 47. Er sieht Überschneidungen zwischen der Lage der Schwarzen 1981 und heute: „Der angenommene niedrige Wert schwarzer Leben. Die Mikroagressionen gegen Schwarze. Wie Erwachsene unsere Kinder behandeln. Opfer, die als Verdächtige angesehen werden – all das hängt immer noch über unseren Häuptern.“

Er verweist auf die Black-Lives-Matter-Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt im vergangenen Jahr. Symbol wurde der Sturz der Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol. So wie 1981 war auch diesmal die Reaktion der Regierung abweisend. Patrick Vernon, Aktivist und Autor, fasst es gegenüber der taz zusammen: „Statt Verständnis und Sympathie für die Anliegen schwarzer Menschen gab es gesetzliche Verschärfungen, um britische Statuen und die Unversehrtheit britischer Geschichte zu schützen.“

Es gehe nicht um Denkmalsturz, betont Gordon, „sondern darum, dass schwarze Geschichte endlich anerkannt wird, damit unsere Kinder sich selber in der Geschichte dieses Landes und dieses Ortes wiedererkennen können. Es ist unsere Aufgabe als Schulleiter, unsere Geschichte weiterzugeben.“ Über das New-Cross-Feuer sagt er: „Dieses Ereignis und der Kampf um Gerechtigkeit, der folgte, wird nie vergessen werden.“

Die Abgeordnete Janet Daby glaubt, dass das Feuer von 1981 eine offene Wunde bleibt. „Die schwarze Gemeinschaft in Lewisham hat immer noch keine Antworten und keinen Schlussstrich. Wir wissen nicht, wer das Feuer schürte und wer in den höheren Etagen der Polizei oder dem Innenministerium versagte. Aber ich bin mir sicher,“ sagt sie, „meine Community wird den Kampf gegen Ungerechtigkeit nicht aufgeben.“

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